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VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 20.06.2025 - 15 A 5378/24 - asyl.net: M33669
https://www.asyl.net/rsdb/m33669
Leitsatz:

Keine ungewisse Lage in Syrien:

Es besteht keine ungewisse Lage mehr in Syrien, so dass eine Entscheidung über den Asylantrag nicht gemäß § 24 Abs. 5 AsylG ausgesetzt werden kann. Zudem liegen diverse Erkenntnismittel zur hinreichend sicheren Beurteilung der veränderten Lage in Syrien vor, so dass eine rechtliche Bewertung der Lage möglich ist. 

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Syrien, Untätigkeitsklage, ungewisse Lage, Entscheidungsfrist
Normen: AsylG § 24 Abs. 5, VwGO § 75
Auszüge:

[...]

Die Beklagte hat ohne zureichenden Grund nicht über den Asylantrag des Klägers entschieden, sodass das Verfahren nicht nach § 75 Satz 3 VwGO unter Setzung einer Entscheidungsfrist auszusetzen, sondern die Beklagte – ohne weitere Entscheidungsvorgaben – zur Entscheidung über den Asylantrag zu verpflichten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.7.2018, 1 C 18/17, juris Rn. 56 f.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 18.3.2019, OVG 2 L 32.18, juris Rn. 3). Die Beklagte hat über den Asylantrag des Klägers nunmehr unverzüglich zu entscheiden (vgl. BVerwG, Urteil v. 11.7.2018, 1 C 18/17, juris Rn. 57).

1. Ob ein zureichender Grund für die Verzögerung vorliegt, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. [...]

a. Ein solcher – zureichender – Grund besteht zunächst nicht in Hinblick auf den Einwand der Beklagten im Schreiben an den Kläger vom 11. Oktober 2024, wonach sich die von ihm eingereichten Unterlagen – gemeint sind wohl die ID-Karte und die Heiratsurkunde – noch in der Überprüfung befänden. Denn soweit die Beklagte die Prüfung der ID-Karte meint, so hat der Kläger diese bereits am 9. Januar 2024 im Rahmen seiner Antragstellung vorgelegt. Gründe dafür, weshalb die bereits am 14. Februar 2024 von der Beklagten in Auftrag gegebene Überprüfung des Ausweises heute – mehr als ein Jahr später – noch nicht abgeschlossen ist, sind für das Gericht nicht ersichtlich und ergeben sich auch nicht aus der beigezogenen Sachakte. Sofern die Beklagte in diesem Zusammenhang auf die im Sommer 2024 vom Kläger auf ihr Verlangen hin nachgereichte Heiratsurkunde abstellen sollte, ist für das Gericht nicht ersichtlich, weshalb das Ergebnis der Überprüfung einer Entscheidung über den Asylantrag entgegenstehen sollte. Zudem geht aus der dem Gericht vorliegenden Sachakte nicht hervor, dass die Beklagte tatsächlich einen entsprechenden Prüfauftrag gestellt hat.

b. Es liegt derzeit – worauf sich die Beklagte im Schriftsatz vom 30. April 2025 beruft – auch kein Fall des § 24 Abs. 5 Satz 1 AsylG vor. Denn es besteht in Syrien keine vorübergehend ungewisse Lage mehr, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dazu berechtigten würde, die Entscheidung über den Asylantrag des Klägers aufzuschieben (so auch VG Karlsruhe, GB v. 23.5.2025, A 8 K 5682/24, juris Ls.).

Anlass für die vorübergehende Aussetzung von Entscheidungen nach § 24 Abs. 5 AsylG ist eine für die Beurteilung notwendige besondere Aufklärung der asyl- und abschiebungs-relevanten Lage in einem Herkunftsland. Der Zweck des Zuwartens besteht also darin, weitere Ermittlungen und Aufklärungen zu ermöglichen. Nicht die rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeit der Beurteilung darf der Grund für Verzögerungen sein, sondern nur die Not-wendigkeit besonderer Aufklärung. Darunter sind zusätzliche allgemeine Aufklärungsmaßnahmen in Form eigener Ermittlungen des Bundesamts oder der Einholung von Sachverständigengutachten oder sonstigen Auskünften sachverständiger Stellen oder Personen zu verstehen, die auch einen größeren Zeitaufwand erfordern. Sie können asylrechtlich relevante Tatsachen und Entwicklungen betreffen, aber auch solche Umstände, aus denen sich sonstige Abschiebungshindernisse nach § 60 AufenthG ergeben können. Dagegen kann es sich grundsätzlich nicht um Tatsachen handeln, die den Vollzug der Abschiebungsandrohung beeinflussen könnten (z. B. Schließung der Flughäfen oder sonstige Zugangshindernisse); denn hierdurch wird die zwingend zu erlassende Abschiebungsandrohung nicht tangiert (vgl. Bergmann/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 15. Aufl. 2025, AsylG, § 24 Rn. 24). Die Aussetzung der Entscheidungen ist nur für ein bestimmtes Herkunftsland im Ganzen zulässig. Sie darf nicht auf eine bestimmte Region oder eine bestimmte Bevölkerungsgruppe begrenzt werden (vgl. Bergmann/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 15. Aufl. 2025, AsylG, § 24 Rn. 26).

Die in Syrien bestehende Lage ist nicht (mehr) vorübergehend ungewiss. Das Regime von Bashar Al-Assad herrscht bereits seit 8. Dezember 2024 nicht mehr über Syrien. Die neue syrische Regierung unter der Führung der Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) hält sich seitdem stabil an der Macht und übt die Kontrolle über weite Teile des Landes aus. Eine umfassendere Kontrolle besteht vor allem in und um Damaskus sowie in den Gouvernements Idlib und Hama, außerdem in Teilen der Gouvernements Aleppo und Homs [...].

Es liegen inzwischen diverse Erkenntnismittel zu dieser veränderten Lage in Syrien vor. So hat insbesondere auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge selbst im März 2025 einen ausführlichen Länderreport „Syrien nach Assad - Gegenwärtige Entwicklungen“ erstellt, der auf alle für die Prüfung des Flüchtlingsschutzes nach §§ 3 ff. AsylG, des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG sowie des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG relevanten Fragen unter Auswertung verschiedener Erkenntnismittel eingeht. Des Weiteren liegt seit März 2025 eine Country of Origin Information der European Union Agency for Asylum „Syria: Country Focus“ vor. Am 8. Mai 2025 veröffentlichte zudem das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in ihrer Staatendokumentation aktuelle Länderinformationen zu Syrien, in denen es auf mehreren hundert Seiten unter Auswertung verschiedener Erkenntnismittel auf die für die Prüfung von Asylanträgen relevante Fragen eingeht. Zuletzt ist unter dem 30. Mai 2025 nunmehr auch ein aktueller Bericht des Auswärtigen Amtes zur Lage in der Arabischen Republik Syrien veröffentlicht worden. [...]