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LG Marburg

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Zitieren als:
LG Marburg, Beschluss vom 17.10.2025 - 3 T 89.24 - asyl.net: M33695
https://www.asyl.net/rsdb/m33695
Leitsatz:

Eine Verfahrenspflegerin ist keine Rechtanwältin: 

1. Die Pflicht zur Bestellung einer anwaltlichen Vertretung aus § 62d AufenthG ist nicht erfüllt, wenn dem Betroffenen eine Verfahrenspflegerin bestellt wird, auch wenn die Verfahrenspflegerin zugleich Anwältin ist. 

2. § 62d AufenthG findet auf Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eingeschränkte Anwendung. Die Bestellung einer anwaltlichen Vertretung hat nicht bereits vor Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erfolgen, spätestens aber nach der Festnahme und zur Anhörung.

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Pflichtanwalt, Verfahrenspfleger,
Normen: AufenthG § 62d, FamG § 427 Abs. 3 S. 2
Auszüge:

[...]

Die fehlende Bestellung eines anwaltlichen Vertreters nach § 62d AufenthG hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.

a) Die Bestellung eines anwaltlichen Vertreters war aufgrund des am 27.02.2024 in Kraft getretenen § 62d AufenthG auch für die Anordnung der Haft zur Sicherung der Überstellung erforderlich, wie sich aus § 2 Nr. 14 S. 5 AufenthG ergibt. Eine solche Bestellung erfolgte durch das Amtsgericht nicht und konnte insbesondere auch nicht durch die Bestellung einer Verfahrensbeiständin ersetzt werden. Die in § 419 FamFG vorgesehene Verfahrenspflegschaft weist zwar Ähnlichkeiten mit der anwaltlichen Vertretung auf, soll aber vornehmlich der Kompensation der eigenen Fähigkeiten des Betroffenen dienen, etwa wenn dieser aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes seine Rechte im Verfahren nicht selbst ausüben kann [...] Die anwaltliche Interessenvertretung schließt dies zwar mit ein, ist aber im Sinne einer umfassenden Interessenvertretung weitergehend, da sie auch einer rechtlichen Beratung bzw. rechtlichem Beistand im Bereich der besonders komplexen Regelungen des AufenthG zur Abschiebehaft dienen soll [...]. Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Aufgabenkreise ist vorliegend eine Heilung auch nicht deshalb eingetreten, weil die bestellte Verfahrensbeiständin zugleich Rechtsanwältin ist. [...]

b) Darüber hinaus bedurfte es zwar vor Erlass der einstweiligen Anordnung nicht der Bestellung eines anwaltlichen Vertreters, spätestens jedoch nach der Festnahme des Betroffenen und dessen Anhörung hätte das Amtsgericht dem Betroffenen einen anwaltlichen Vertreter bestellen müssen.

Die Frage, ob und in welcher Form § 62d AufenthG im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 427 Abs. 3 FamFG Anwendung findet, ist bislang obergerichtlich nicht geklärt und auch die einschlägige Kommentarliteratur verhält sich überwiegend nicht eindeutig [...]. Die Kammer ist insofern der Auffassung, dass § 62d AufenthG im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 427 Abs. 3 FamFG zumindest eingeschränkte Anwendung findet. Der Wortlaut des § 62d AufenthG, der seine Anwendung auf die richterliche Entscheidung über die "Anordnung der Abschiebungshaft nach § 62" bzw. den "Ausreisegewahrsam nach § 62b" bestimmt, ist danach nur von beschränkter Aussagekraft, als dass § 51 Abs. 2 FamFG vorsieht, dass das Verfahren der einstweiligen Anordnung sich grundsätzlich nach den Vorschriften, die für eine entsprechende Hauptsache gelten, richtet, soweit sich nicht aus den Besonderheiten des einstweiligen Rechtsschutzes etwas anderes ergibt. Im Ausgangspunkt ist danach von einer Anwendbarkeit des § 62d AufenthG auszugehen, wobei aber die Besonderheiten der einstweiligen Anordnung nach § 427 Abs. 3 FamFG in Fällen des Ausreisegewahrsams bzw. der Abschiebehaft eine einschränkende Auslegung gebieten. Dies folgt bereits aus dem systematischen Zusammenspiel der Normen, denn - wie bereits vom Bundesrat im Gesetzgebungserfahren angemerkt - würde der Zweck des § 427 Abs. 3 FamFG unterlaufen, wenn das Gericht in den einschlägigen Fällen den Betroffenen vor Erlass der einstweiligen Anordnung nicht zur Anhörung laden, ihm jedoch einen anwaltlichen Vertreter bestellen müsste [...]. Denn dieser könnte seine Aufgabe, die Rechte des Betroffenen zu wahren, ohne Kontaktaufnahme mit dem Betroffenen nicht zweckmäßig wahrnehmen.

Insofern ist § 62d AufenthG für das Verfahren der einstweiligen Anordnung dahingehend auszulegen, dass der anwaltliche Vertreter jedenfalls aber dann zu bestellen ist, wenn die nach § 427 Abs. 3 S. 2 FamFG unverzüglich nachzuholende Anhörung - d.h. regelmäßig nach der Festnahme des Betroffenen - anberaumt wird [...]. Wenn - wie regelmäßig - die Anhörung gemäß § 427 Abs. 3 Satz 2 FamFG mit der Anhörung im Hauptsacheverfahren zusammenfällt, genügt es folglich aber auch, den anwaltlichen Vertreter im Hauptsacheverfahren zu bestellen [...]. Bei einem solchen Vorgehen werden die Interessen des Betroffenen und die der Öffentlichkeit zu einem angemessenen Ausgleich gebracht [...]; einer doppelten Bestellung käme unter Rechtsschutzgesichtspunkten kein Mehrwert zu. [...]