Verpflichtung zur Einreise aus konkludent bekanntgegebener Aufnahmezusage:
1. Das Auswärtige Amt muss die Einreise einer Person ermöglichen, der zumindest konkludent eine Aufnahmezusage nach § 23 Abs. 4 AufenthG erteilt worden ist. Das schließt die Ausstellung eines Visums, eines Reiseausweises und die Organisation der Reise nach Deutschland mit ein.
2. Das BAMF hatte als zuständige Behörde auf die Nachfrage einer Unterstützerin der Familie, der die Aufnahmezusage erteilt worden war, mitgeteilt, dass lediglich auf die Exit Permits der kenianischen Behörden gewartet werden muss und dann die Ausreise erfolgen kann. Hierin ist eine Bekanntgabe zu sehen, weil die Behörde auch davon ausgehen musste, dass diese Information von der Unterstützerin an die Familie weitergegeben wird, was auch geschehen ist. Will man dies anders sehen, so ist jedenfalls in der Übermittlung des Flugplans und dem Tansfer der Familie nach Nairobi eine Bekanntgabe zu sehen.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Beschwerdevorbringen, das den Umfang der Überprüfung im Beschwerdeverfahren bestimmt (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt die Änderung der angegriffenen Entscheidung und führt zum Erlass der aus dem Tenor ersichtlichen einstweiligen Anordnung. Die Antragstellerin macht mit ihrer Beschwerde erfolgreich glaubhaft, dass ihr nach den Gesamtumständen des für sie und ihre Familienangehörigen durchgeführten Aufnahmeverfahrens zumindest konkludent eine Aufnahmezusage gemäß § 23 Abs. 4 AufenthG erteilt worden ist und die Antragsgegnerin infolgedessen verpflichtet ist, ihr die Einreise in das Bundesgebiet zu ermöglichen. Dies schließt die Ausstellung eines Visums, eines Reiseausweises und die Organisation der Reise in das Bundesgebiet ein.
Der von der Antragsgegnerin vorgelegte Visumvorgang enthält einen unterschriebenen und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Aufnahmebescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1. Februar 2025, wonach für die Antragstellerin und fünf Familienangehörige (nach der von der Antragstellerin vorgelegten Registrierungsurkunde der IOM handelt es sich um ihre Mutter, ihren Bruder sowie drei Enkel ihrer Mutter) eine Aufnahmezusage gemäß § 23 Abs. 4 AufenthG (Resettlement-Aufnahme) erteilt wird, unter der Bedingung, dass das Visumverfahren erfolgreich abgeschlossen wird, und mit Gültigkeit für sechs Monate ab Bekanntgabe dieser Entscheidung. Für den gleichen Zeitraum wird zudem eine Ausnahme von der Passpflicht im Rahmen der Gültigkeit des Visums zugelassen. Nach einem Vermerk der Botschaft [...] wurden die Interviews vom Bundesamt geführt, das auch die Fingerabdrücke genommen hat. Bei den Auswahlgesprächen und bei der Sicherheits-/Gesundheitsprüfung sei kein Anlass zum Zweifel an den Angaben und der Aufnahmewürdigkeit der antragstellenden Personen begründet worden. Es lägen keine Erkenntnisse vor, die gegen die Erteilung eines Visums zur Aufnahme im Rahmen des Resettlement-Programms sprächen. Mangels visierfähigen Ausweisdokuments werde dem Antragstellenden durch die Auslandsvertretung ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt. Abschließend heißt es: "Das Visum wurde erteilt am 16.01.2025".
Die Beschwerde stellt nicht in Frage, dass der Aufnahmebescheid des Bundesamtes vom 1. Februar 2025 der Antragstellerin nicht ausgehändigt worden ist. Sie weist aber zu Recht darauf hin, dass ein Verwaltungsakt nach § 37 Abs. 2 Satz 1 VwVfG nicht nur schriftlich oder mündlich, sondern auch in anderer Weise - etwa durch konkludentes Verhalten - erlassen und auch bekannt gegeben werden kann [...]. Das setzt voraus, dass das entsprechende Behördenverhalten nach seinem objektiven Erklärungsgehalt aus der Sicht des Adressaten bei verständiger Würdigung als hoheitliche Regelung eines Einzelfalls verstanden werden musste [...]. Diese Anforderungen sind hier - wie die Beschwerde zutreffend geltend macht - erfüllt. Die Aufnahmezusage ist der Antragstellerin nach den Gesamtumständen des durchgeführten Aufnahmeverfahrens in anderer Weise als durch Aushändigung des Bescheides ohne einschränkende Nebenbestimmungen bekannt gegeben worden. [...]
Nach Erstellung des Aufnahmebescheides teilte das Bundesamt als zuständige Behörde einer Unterstützerin der Antragstellerin, die sich mit der Bitte um Beschleunigung an die Botschaft in Nairobi gewandt hatte, mit E-Mail vom 6. März 2025 mit, dass es derzeit noch auf die Ausstellung der Exit Permits durch die kenianische Regierung warte, und erklärte dazu: "Sobald diese vorliegen, wird die Familie nach Deutschland reisen". Schon hierin ist eine Bekanntgabe der bereits getroffenen Aufnahmezusage des Bundesamts zu sehen, weil es angesichts der vor - ausgegangenen Anfrage davon ausgehen musste, dass seine Antwort von der Unterstützerin an die Antragstellerin - wie geschehen - weitergeleitet würde. Das Bundesamt nahm zu diesem Zeitpunkt erkennbar an, dass es tatsächlich zu einer Aufnahme der Antragstellerin im Bundesgebiet kommen würde, sodass an dem erforderlichen Bekanntgabewillen - auch bei objektiver Betrachtung - keine Zweifel bestanden.
Selbst wenn man dies anders sehen wollte, erfolgte die Bekanntgabe der Aufnahmeentscheidung jedenfalls dadurch, dass der Antragstellerin und ihren in den Aufnahmebescheid aufgenommenen Familienangehörigen von IOM in Nairobi unter dem 30. April 2025 - und unter Nennung des Aktenzeichens des Bundesamts - ein Flugplan übermittelt wurde, wonach sie am 8. Mai 2025 von Nairobi nach Deutschland geflogen werden sollten, und sie zu diesem Zweck Anfang Mai von Kakuma nach Nairobi geflogen wurden. Die Mitteilung des Flugplans (verbunden mit detaillierten Anweisungen zum mitzuführenden Gepäck) und der nachfolgende Transfer nach Nairobi konnten nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt aus der Sicht der Antragstellerin und ihrer Familienangehörigen nur als Mitteilung der verbindlichen Entscheidung über die Aufnahme in Deutschland verstanden werden. Soweit hieran Mitarbeiter anderer Stellen wie IOM beteiligt waren, ergibt sich aus dem Zusammenhang mit dem Resettlement-Verfahren, dass deren Handeln vom Bundesamt veranlasst war und diesem zuzurechnen ist. [...]
Dass es sich nach dem Empfängerhorizont nicht um bloße Verfahrensschritte mit Blick auf eine erst noch zu treffende Aufnahmeentscheidung handelte, zeigt sich auch daran, dass die Antragstellerin und ihre Familie mit der Abreise aus Kakuma ihre Unterkunft im Flüchtlingslager aufgeben mussten und sich deshalb im Gegenzug darauf verlassen durften, dass nunmehr verbindlich über ihre Aufnahme entschieden war.
Das allgemein gehaltene Vorbringen der Antragsgegnerin, die Betroffenen würden "stets auch darauf hingewiesen", dass keiner der Verfahrensschritte zwingend zu einer Aufnahme nach Deutschland führe, sondern das Verfahren erst mit der Aushändigung des Aufnahmebescheides und des Visums kurz vor der Ausreise abgeschlossen sei, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Welche Hinweise die Antragstellerin und ihre Familie zu welchem Zeitpunkt erhalten haben, geht daraus nicht konkret hervor und ergibt sich auch nicht aus dem vorgelegten Visumvorgang. Ihm lässt sich ganz im Gegenteil entnehmen, dass das Visum bereits "am 16.01.2025" ausgestellt ("erteilt") worden war. Dass Aufnahmebescheid und Visum, wie die Antragsgegnerin vorträgt, erst kurz vor der Ausreise übergeben werden, kann praktische Gründe haben, rechtfertigt aber angesichts der angeführten Umstände, insbesondere der Erklärung des Bundesamtes von März 2025, die Ausreise hänge nur noch von der Ausreisegenehmigung der kenianischen Behörden ab, nicht die Annahme, dass - für die Antragstellerin als Adressatin erkennbar - eine verbindliche Entscheidung über die Aufnahme bis zu diesem Zeitpunkt trotz des bereits organisierten und angekündigten Flugs nach Deutschland sowie der Verbringung nach Nairobi offen gehalten werden sollte. Hiervon gingen - wie dargelegt - im Übrigen offensichtlich weder die Antragsgegnerin noch das Bundesamt aus, weil die Ausreise unmittelbar bevorstand.
Die Antragstellerin kann aus dem ihr gegenüber wirksam gewordenen Aufnahmebescheid des Bundesamts einen Anspruch auf Ermöglichung ihrer umgehenden Einreise ableiten, denn die weiteren Voraussetzungen der Visumerteilung sind auch nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin gegeben. Aus dem Aufnahmebescheid des Bundesamtes vom 1. Februar 2025 und dem Vermerk der Botschaft (S. 11 des Visumvorgangs) ergibt sich, dass die Identität der Antragstellerin überprüft wurde und die Sicherheitsüberprüfung keine gegen die Erteilung eines Visums sprechenden Erkenntnisse ergeben hat (§ 5 Abs. 1 Nr. 1a, Nr. 2, Nr. 3 AufenthG). Ebenso wenig sind öffentliche Interessen ersichtlich, die es trotz der Aufnahmezusage und entgegen den bisher getroffenen Entscheidungen rechtfertigen könnten, die erforderliche Ausnahme von der Passpflicht nicht zuzulassen (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 4, § 3 Abs. 2 AufenthG) oder nicht vom Regelerfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts abzusehen (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 AufenthG). [...]