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VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.10.2025 - A 13 S 1907/24 - asyl.net: M33791
https://www.asyl.net/rsdb/m33791
Leitsatz:

Keine Verfolgung von Kurden im türkischen Militärdienst: 

Es ist weiterhin nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Wehrdienstleistende mit kurdischer Volkszugehörigkeit im Rahmen des Militärdienstes in der Türkei Verfolgung erleiden (Fortführung der Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteil vom 17.11.2022 - A 13 S 3741/20 -).

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Kurden, Türkei, Militärdienst, Berufungszulassungsantrag, Grundsätzliche Bedeutung, Erneuter Klärungsbedarf,
Normen: AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, AsylG § 78 Abs. 4 S. 4
Auszüge:

[...]

1 Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, weil der Kläger die Voraussetzungen für die von ihm geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) und des Vorliegens eines Verfahrensmangels in Form der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) nicht den Anforderungen von § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt hat. [...]

7 Eine neuerliche Klärungsbedürftigkeit kann zwar unter anderem dann bestehen, wenn sich die Erkenntnislage zu bereits bewerteten Verhältnissen oder Zeiträumen durch zusätzliche Informationen wesentlich verändert hat oder wenn die zusätzlichen Erkenntnismittel zumindest geeignet erscheinen, eine durch das Berufungsgericht bereits vorgenommene Bewertung in Zweifel zu ziehen [...]. Dem in der Zulassungsschrift allein benannten Erkenntnismittel fehlt es jedoch an der von dem Kläger in Bezug genommenen Stelle an hinreichender Aussagekraft. Ohne eigene Feststellungen zu treffen, bezieht sich der Bericht des UK Home Office ausschließlich auf eine Aussage des US State Department [...]. Darin wird ausgeführt, dass Medien über die Ergebnisse der Vereinigung für verdächtige Todesfälle und Opfer [...] berichtet hätten. Demnach seien 80 Prozent der während der Wehrpflicht verstorbenen Personen entweder alevitischer oder kurdischer Herkunft gewesen. Die den Medienberichten zugrundeliegende Meldung dürfte auf die Organisation "Şüpheli Ölümler ve Mağdurları Derneği" (Vereinigung der Angehörigen von Opfern verdächtiger Todesfälle) zurückgehen, nachdem diese ausdrücklich in dem Bericht des US State Department benannt ist. Im April 2021 legte die Organisation ihre Statistiken offen, denen zufolge zwischen 2000 und 2020 über 3000 Soldaten unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen seien; laut Sprecher der Organisation sollen etwa 80 Prozent der Soldaten, die unter verdächtigen Umständen in der türkischen Armee gestorben seien, Kurden oder Aleviten gewesen sein [...]. Jedoch kann nicht nachvollzogen werden, anhand welcher Daten diese Organisation die konkrete Anzahl und die ethnische Zusammensetzung der Todesfälle bestimmt hat, zumal im Bericht des UK Home Office vom 01.10.2023 S. 37 f. ausgeführt wird, dass die türkischen Behörden keine Angaben zu den Wehrpflichtigen auf der Grundlage ihrer ethnischen Zugehörigkeit machen würden. Vor diesem Hintergrund können die in der von dem Kläger genannten Stelle zitierten Zahlen nur von der Organisation "Şüpheli Ölümler ve Mağdurları Derneği" selbst ermittelt worden sein, ohne dass klar wird, wie diese Organisation ohne entsprechende offizielle Statistiken diese Zahlen überhaupt hat erheben können. Vor allem aber ergeben sich weder aus dem von dem Kläger zitierten Bericht des UK Home Office noch aus dem dort aufgegriffenen Bericht des US State Department Hinweise zu den Todesumständen im Einzelnen oder zu sonstigen Umständen, aus denen sich hinreichende Anhaltspunkte für eine systematische Diskriminierung von Kurden und Aleviten beim Ableisten des Militärdiensts ableiten ließen. Zudem benennt der Kläger keine weiteren Quellen, die von ähnlichen Fallzahlen oder sonstigen Umständen berichten, aus denen sich eine signifikant erhöhte Sterberate oder eine sonstige strukturell bedingte Gefährdung kurdischer oder alevitischer Wehrdienstleistender ergeben würden. Er legt auch keine sonstigen Erkenntnismittel vor, in denen der zitierte Bericht des US State Department seit seinem Erscheinungsdatum am 02.06.2022 bestätigt oder ergänzt wird. Angesichts dessen kann die Wertung des Klägers, es handele sich um ein Erkenntnismittel von besonderer Aktualität, nicht nachvollzogen werden. Zwar enthält die aktuelle Fassung des Berichts des UK Home Office vom 01.07.2025 weiterhin die vom Kläger zitierte Stelle. Sie stützt sich aber noch immer ausschließlich auf den Bericht des US State Department für das Jahr 2021, der am 02.06.2022 erschienen ist. Schließlich benennt der letzte Abschnitt des vom Kläger zitierten Ausschnitts aus dem Bericht des UK Home Office vom 01.10.2023 lediglich ein Einzelschicksal, aus dem sich ebenfalls eine strukturelle, verfolgungsrelevante Diskriminierung nicht ergeben kann. Aufgrund des vom Kläger herangezogenen Berichts des UK Home Office lässt sich somit eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung von kurdischen Rekruten im türkischen Militär nicht begründen. Die im verwaltungsgerichtlichen Urteil ausgewerteten Länderinformationen der Staatendokumentation: Türkei des Österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 07.03.2024 [...], mit denen sich der Zulassungsantrag nicht auseinandersetzt, bestätigen auch unter Berücksichtigung der Angaben der Organisation "Şüpheli Ölümler ve Mağdurları Derneği" zur Zahl der verdächtigen Todesfälle im Militär die Einschätzung des Senats in seinem Urteil vom 17.11.2022 [...], dass die in den Erkenntnismitteln dokumentierten Einzelfälle angesichts der Grundbedingungen der Wehrdienstleistung selbst bei Unterstellung einer gewissen Dunkelziffer nicht geeignet sind, eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung von kurdischen Rekruten im türkischen Militär zu begründen. [...]