BlueSky

VG Leipzig

Merkliste
Zitieren als:
VG Leipzig, Urteil vom 07.08.2025 - 4 K 1783/25.A - asyl.net: M33801
https://www.asyl.net/rsdb/m33801
Leitsatz:

Einstufung Georgiens als sicherer Herkunftsstaat ist unionsrechtswidrig: 

1. Es steht im Sinne eines acte éclairé fest, dass die Bestimmung Geogiens als sicherer Herkunftsstaat unionsrechtswidrig ist.

2. Das Offensichtlichkeitsurteil und das üblicherweise zugleich angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG wird regelmäßig aufzuheben sein, wenn im Übrigen die Klage erfolglos ist.

(Leitsätze der Redaktion; Bezugnehmend auf EuGH, Urteile vom 4. Oktober 2024 - C406/22, CV gg. Tschechien - asyl.net: M32819 und EuGH, Urteil vom 01.08.2025 - C-758/24 und C-759/24 - LC und CP gg. Italien [Alace] und [Canpelli] - asyl.net: M33501)

Schlagwörter: Georgien, sichere Herkunftsstaaten, offensichtlich unbegründet, Einreise- und Aufenthaltsverbot
Normen: AsylG § 29a, GG Art. 16a Abs. 3, AsylG § 36, AufenthG § 11 Abs. 7
Auszüge:

[...]

19 B. Die Klage ist lediglich insoweit erfolgreich, als der Kläger (mit dem vierten Hilfsantrag) das auf § 29a Abs. 1 AsylG gestützte Offensichtlichkeitsurteil in Ziffern 1 bis 3 sowie die daran anknüpfende Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 7 AufenthG in Ziffer 6 des Bescheides vom 11. Juni 2025 anficht (dazu III. 4.). Im Übrigen hat die Klage mit den auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Anerkennung als Asylberechtigter und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (dazu I.) sowie auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (dazu II.) gerichteten Verpflichtungsanträgen (Hauptantrag sowie erster bis dritter Hilfsantrag) ebenso wenig Erfolg wie mit dem (weiteren mit dem vierten Hilfsantrag verfolgten) Begehren auf Aufhebung sämtlicher Regelungen des streitigen Bescheides, die den Kläger jenseits der Ablehnung der mit den Verpflichtungsanträgen geltend gemachten Ansprüche belasten (dazu III. 1. bis 3.). [...]

63 III. Die (mit dem vierten Hilfsantrag verfolgte) Klage auf Aufhebung der Regelungen des streitigen Bescheides, die den Kläger ungeachtet der Ablehnung der mit den Verpflichtungsbegehren geltend gemachten Ansprüche belasten (1.), ist, soweit sie zulässig ist (2.), lediglich in dem tenorierten Umfang erfolgreich (4.), im Übrigen unbegründet (3.)

64 1. Ausgehend davon, dass der Kläger das weitest gehende Rechtsschutzziel anstrebt, ist Gegenstand des hilfsweise zu den nicht erfolgreichen Verpflichtungsanträgen verfolgten (bloßen) Aufhebungsbegehrens neben der Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 sowie den Einreise- und Aufenthaltsverboten in Ziffern 6 und 7 auch das Offensichtlichkeitsurteil in Ziffern 1 bis 3 des streitigen Bescheides. Mit der behördlichen Qualifizierung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet gehen für den Kläger Belastungen einher, die über die Verneinung der vorrangig verfolgten (Schutz-) Ansprüche hinausgehen. Zum einen stellen sich die allgemein mit einem Offensichtlichkeitsausspruch des Bundesamtes verbundenen Folgen für die Ausreisefrist - unabhängig von der Frage der Zulässigkeit einer dagegen gerichteten Anfechtungsklage (dazu 2. c)) - als rechtlich nachteilig dar. Die Ausreisefrist verkürzt sich abweichend von der Regelung des § 38 Abs. 1 AsylG für nicht entsprechend qualifiziert abgelehnte Asylanträge auf eine Woche (§ 36 Abs. 1 Alt. 2 AsylG) und beginnt auch bei einer Klageerhebung vor der Bestandskraft des Bescheides zu laufen. Zum anderen ergibt sich für den Kläger eine darüber hinausgehende Belastung des Offensichtlichkeitsurteils daraus, dass dieses vom Bundesamt auf die für Staatsangehörige eines sicheren Herkunftsstaates geltende Regelung des § 29a Abs. 1 AsylG gestützt wurde. Abgesehen von weiteren Rechtsfolgen (vgl. § 47 Abs. 1a AsylG) ist die Ablehnung des Asylantrags als nach § 29a Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet Grundlage für das (auch) gegenüber dem Kläger angeordnete, von einer Abschiebung unabhängige Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG. Dieses hat neben dem Verbot, nach der Ausreise erneut in das Bundesgebiet und das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder der anderen Schengen-Staaten einzureisen und sich darin aufzuhalten, zur Folge, dass dem Betroffenen selbst im Fall eines im Aufenthaltsgesetz vorgesehenen Anspruchs kein Aufenthaltstitel erteilt werden darf (§ 11 Abs. 7 Satz 3 i. V. m. § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Dieser (besonderen) Rechtswirkung des Offensichtlichkeitsausspruchs in Ziffern 1 bis 3 des streitigen Bescheides steht nicht etwa entgegen, dass § 29a Abs. 1 AsylG im Bescheidtenor keine Erwähnung findet. Maßgeblich dafür, ob der Asylantrag nach § 29a Abs. 1 AsylG abgelehnt wurde, ist der gesamte Inhalt des Bundesamtsbescheides. Zwar muss sich dieser eindeutig auf § 29a Abs. 1 AsylG beziehen. Hierfür genügt aber, dass die Vorschrift (wie hier) in der Begründung als Rechtsgrundlage des Offensichtlichkeitsurteils angeführt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 25. August 2009 - 1 C 30/18 -, juris Rn. 19).

65 2. Mit den entsprechenden Rechtsschutzzielen ist die insoweit statthafte Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Fall 1 VwGO) mit Ausnahme des Begehrens, das Offensichtlichkeitsurteil in Ziffern 1 bis 3 des angegriffenen Bescheides vollständig aufzuheben, zulässig. [...]

67 b) Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Anfechtungsklage sind auch erfüllt, soweit damit die Aufhebung des auf § 29a Abs. 1 AsylG gestützten Offensichtlichkeitsausspruchs in Ziffern 1 bis 3 des streitigen Bescheides begehrt wird. Insbesondere besteht insofern aufgrund der Funktion dieses Offensichtlichkeitsurteils als Grundlage (insbesondere) für ein Einreise- und  Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG ein Rechtsschutzbedürfnis für die beantragte Aufhebung. Der vorliegende Fall ist insoweit vergleichbar mit den Fällen, in denen ein Asylantrag  nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 bis 7 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird. Für diese Offensichtlichkeitsurteile des Bundesamtes, die gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eine gesetzliche Sperre für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auslösen, ist in der Rechtsprechung ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Aufhebung anerkannt (vgl. BVerwG, Urt. v. 21. November 2006 - 1 C  10.06 -, juris Rn. 21 f.). Der Bescheid des Bundesamtes ist einer entsprechenden Teilaufhebung zugänglich (vgl. VG Schleswig-Holstein, Urt. v. 19. Oktober 2006 - 4 A 57/05 -; VG  Gelsenkirchen, Urt. v. 12. Dezember 2012 - 6a K 5617/10.A -; VG Aachen, Urt. v. 26. Februar 2018 - 6 K 1978/17.A -; VG Berlin, Urt. v. 28. November 2018 - 6 K 745/16.A -; jeweils juris). Das Rechtsschutzinteresse des Klägers an der Aufhebung des auf § 29a Abs. 1 AsylG gestützten Offensichtlichkeitsausspruchs des Bundesamtes entfällt nicht etwa deshalb, weil er zugleich das darauf aufbauende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG angefochten hat. Nach der Formulierung des § 11 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 AufenthG knüpft die Vorschrift nicht an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 29a Abs. 1 AsylG, sondern (allein) an die auf diese Rechtsgrundlage gestützte behördliche Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet an. Ausgehend vom Wortlaut ist die Vorschrift daher - wie § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG - keiner inzidenten Prüfung des maßgeblichen Offensichtlichkeitsurteils des Bundesamtes zugänglich. Vielmehr muss dieses aufgehoben werden, um einer Anwendung des § 11 Abs. 7 AufenthG die Grundlage zu entziehen. Im Übrigen knüpfen wie dargelegt auch andere Vorschriften als § 11 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (nachteilige) Rechtsfolgen an die Ablehnung eines Asylantrags als nach § 29a Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, die mit der Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 7 AufenthG nicht (verbindlich) beseitigt werden können.

68 c) Soweit die Anfechtungsklage (in Orientierung am weitest gehenden Rechtsschutzziel) dahin auszulegen ist, dass mit ihr das Offensichtlichkeitsurteil in Ziffern 1 bis 3 des streitigen Bescheides (über dessen Anknüpfung an § 29a Abs. 1 AsylG hinaus) insgesamt angegriffen wird, ist die Klage unzulässig. Für eine vollständige Aufhebung des Offensichtlichkeitsausspruchs besteht kein Rechtsschutzbedürfnis. Ein solches ergibt sich insbesondere nicht aus dessen Folgen für die Ausreisefrist. Diese lassen sich nicht mit einer Aufhebung des behördlichen Offensichtlichkeitsurteils beseitigen. Aus der Sonderregelung des § 37 Abs. 2 AsylG zu den Auswirkungen einer stattgebenden gerichtlichen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO auf die Ausreisefrist ergibt sich, dass deren Verlängerung im Fall eines als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylantrags im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu erstreiten ist. Einer Aufhebung des behördlichen Offensichtlichkeitsurteils im Klageverfahren bedarf es danach nicht. Dies gilt auch dann, wenn der Eilantrag - wie hier - nicht erfolgreich war. Als  Rechtsschutzinstrument steht dann allein das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO zur Verfügung. Eine Aufhebung des Offensichtlichkeitsausspruchs im Hauptsacheverfahren ändert nicht die (regelmäßig bereits verstrichene) Ausreisefrist. Weder § 37 Abs. 2 AsylG noch § 38 Abs. 1 AsylG sind in diesen Fällen entsprechend anwendbar (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Beschl. v. 17. Februar 1986 - 1 B 30.86 -, juris Rn. 3 f.; Urt. v. 3. April 2001 - 9 C 22.00 -, juris Rn. 10 ff.; Urt. v. 21. November 2006, a. a. O., Rn. 21; Urt. v. 16. Dezember 2008 - 1 C 37.07
-, juris Rn. 14). [...]

75 4. Soweit die Anfechtungsklage gegen das auf § 29a Abs. 1 AsylG gestützte Offensichtlichkeitsurteil in Ziffern 1 bis 3 sowie die daran anknüpfende Anordnung des Einreise und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 7 AufenthG in Ziffer 6 des Bescheides vom 11. Juni 2025 gerichtet ist, ist sie begründet. Diese Regelungsinhalte des Bescheides sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

76 a) Das Offensichtlichkeitsurteil in Ziffern 1 bis 3 des streitigen Bescheides kann nicht auf § 29a Abs. 1 AsylG gestützt werden. Die Heranziehung dieser Vorschrift durch das Bundesamt ist rechtswidrig.

77 Nach § 29a Abs. 1 AsylG ist der Asylantrag eines Schutzsuchenden aus einem Staat i. S. d. Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG (sicherer Herkunftsstaat) als offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn, die von ihm angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Verfolgung i. S. d. § 3 Abs. 1 AsylG oder ein ernsthafter Schaden i. S. d. § 4 Abs. 1 AsylG droht. Mit dem Gesetz zur Bestimmung Georgiens und der Republik Moldau als sichere Herkunftsstaaten vom 19. Dezember 2023 wurde Georgien mit Wirkung zum 23. Dezember 2023 in die Anlage II zu § 29a AsylG aufgenommen und damit vom Gesetzgeber zum sicheren Herkunftsstaat erklärt (§ 29a Abs. 2 AsylG). Diese gesetzliche Regelung verstößt gegen das Unionsrecht, so dass sie nicht anwendbar ist.

78 aa) Die Bestimmung Georgiens als sicherer Herkunftsstaat steht mit den hierfür maßgeblichen, der gerichtlichen Prüfung unterliegenden Vorgaben des Unionsrechts nicht in Einklang. [...]

85 (2) Angesichts dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union steht aufgrund der im vorliegenden Verfahren gebotenen gerichtlichen Kontrolle fest, dass die Bestimmung Georgiens als sicherer Herkunftsstaat gegen das Unionsrecht verstößt. 

86 (a) Die nach dem Urteil des Gerichtshofs vom 4. Oktober 2024 für die Bestimmung eines Drittstaates als sicherer Herkunftsstaat unionsrechtlich erforderlichen materiellen Voraussetzungen liegen für Georgien nicht vor. Die Verhältnisse in den völkerrechtlich zu Georgien gehörenden Regionen Abchasien und Südossetien entsprechen nicht den materiellen Vorgaben des Anhangs I der Richtlinie 2013/32/EU.

87 Die Landesteile Abchasien und Südossetien haben sich unterstützt von Russland als unabhängig erklärt. In diesen sog. abtrünnigen Gebieten haben sich de facto politische Systeme mit Regierung, Parlament und Justiz etabliert. Diese sind international nicht bzw. nur sehr begrenzt anerkannt. Völkerrechtlich sind Abchasien und Südossetien Bestandteil Georgiens. Die Regierung in Tiflis hat allerdings keine Verwaltungshoheit über diese Gebiete. Weder die Rechtslage noch die Anwendung der Rechtsvorschriften in Abchasien und Südossetien rechtfertigen die Annahme, dass dort keine Verfolgung i. S. v. Art. 9 der Richtlinie 2011/95/EU und auch keine (einen subsidiären Schutzanspruch auslösende) Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe zu befürchten ist. Vielmehr entsprechen die de facto politischen Systeme und die allgemeine politische Lage nicht den in Anhang I der Richtlinie 2013/32/EU für die Annahme eines sicheren Herkunftsstaates bestimmten Anforderungen. Der UN-Menschenrechtsrat verabschiedet jährlich Resolutionen, welche die große Besorgnis über die  Menschenrechtssituation in Abchasien und Südossetien ausdrücken, wobei der Fokus insbesondere auf der Umsetzung des Rückkehrrechts von Geflüchteten sowie die mangelnde Freizügigkeit und Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft liegt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 10. Juni 2025, S. 16 f.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl,  Länderinformationen vom 7. Februar 2025, S. 6 ff.; vgl. auch Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, 2. Sektion, Entscheidung vom 9. April 2024, 39611/18, mit der Feststellung, dass in Abchasien und Süossetien Verstöße von Seiten Russlands gegen das Recht auf Leben, das Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, das Recht auf Schutz des Eigentums, das Recht auf Bildung sowie die Bewegungsfreiheit vorliegen).

88 Vor diesem Hintergrund wird - soweit ersichtlich - übereinstimmend davon ausgegangen, dass in den völkerrechtlich zu Georgien gehörenden Gebieten Abchasien und Südossetien die materiellen Voraussetzungen des Anhangs I der Richtlinie 2013/32/EU für die Annahme eines sicheren Herkunftsstaates nicht erfüllt sind (vgl. VG Berlin, Beschl. v. 11. März 2025 - 31 L 473/24.A -, juris Rn. 19; VG Lüneburg, Beschl. v. 3. April 2025 - 2 B 62/25 -, juris Rn. 13; VG Leipzig, Beschl. v. 16. Mai 2025, a. a. O., Rn. 28; VG Dresden, Beschl. v. 5. Juni 2025 - 7 L 592/25.A -, juris Rn. 24; VG Chemnitz, Beschl. v. 6. Juni 2025 - 1 L 265/25.A -, juris Rn. 28; VG Karlsruhe, Beschl. v. 17. Juli 2025 - A 18 K 4138/25 -, juris Rn. 26). Entgegenstehende Einschätzungen sind der Kammer nicht bekannt. Auch die Beklagte hat gegenüber der ihr - u. a. durch den veröffentlichten Beschluss vom 16. Mai 2025 (4 L 406/25.A) und den zum Eilantrag des Klägers ergangenen Beschluss vom 9. Juli 2025 (4 L 623/25.A) - bekannten Bewertung der Kammer keine Einwände erhoben. Dem entspricht es, dass nach der Begründung für das Gesetz zur Bestimmung Georgiens und der Republik Moldau als sichere Herkunftsstaaten (vgl. BT-Drs. 20/8629, S. 10) auch der Bundesgesetzgeber ersichtlich davon ausgeht, dass für die Landesteile Abchasien und Südossetien die Voraussetzungen für die Qualifizierung als sichere Herkunftsgebiete nicht vorliegen (dazu näher (d)). 

89 (b) Der Umstand, dass das Urteil des Gerichtshofs vom 4. Oktober 2024 zur Einstufung der Republik Moldau als sicherer Herkunftsstaat ergangen ist, rechtfertigt keine Zweifel an der Übertragbarkeit der Entscheidung auf die Beurteilung der Unionsrechtskonformität der entsprechenden Einstufung Georgiens (vgl. VG Berlin, Beschl. v. 11. März 2025, a. a. O.; VG Lüneburg, Beschl. v. 3. April 2025, a. a. O.; VG Leipzig, Beschl. v. 16. Mai 2025, a. a. O., Rn. 29 ff.). Der Gerichtshof hat mit seiner Feststellung, dass Art. 37 der Richtlinie 2013/32/EU der Bestimmung eines Drittstaates als sicheres Herkunftsland entgegensteht, wenn Teile seines Hoheitsgebiets die in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen für eine solche Einstufung nicht erfüllen, eine allgemeine und keine auf die Republik Moldau beschränkte Aussage getroffen (VG Leipzig, Beschl. v. 16. Mai 2025, a. a. O., Rn. 30). Zudem entsprechen die dem Urteil vom 4. Oktober 2024in tatsächlicher Hinsicht zugrunde liegenden Verhältnisse der Republik Moldau den dargelegten Verhältnissen in Georgien (vgl. VG Berlin, Beschl. v. 11. März 2025, a. a. O.; VG Lüneburg, Beschl. v. 3. April 2025, a. a. O.; VG Leipzig, Beschl. v. 16. Mai 2025, a. a. O., Rn. 31). Ausgangspunkt der Entscheidung des Gerichtshofs ist die der maßgeblichen Regelung der Tschechischen Republik zugrunde liegende Bewertung, dass in dem völkerrechtlich zur Republik Moldau gehörenden Landesteil Transnistrien die materiellen Voraussetzungen des Anhangs I der Richtlinie 2013/32/EU nicht erfüllt sind. Insoweit gleicht die Situation Transnistriens derjenigen der georgischen Landesteile Abchasien und Südossetien. Ebenso wie diese Landesteile steht Transnistrien maßgeblich unter dem Einfluss  Russlands und verfügt als sog. abtrünniges Gebiet über ein international grundsätzlich nicht anerkanntes eigenes de facto politisches System außerhalb der Kontrolle der Regierung der Republik Moldau (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Moldau vom 8. April 2024, S. 15 f.; [Österreichisches] Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Republik Moldau, 16. Februar 2022, S. 11 ff.). Dieser Parallelität der Verhältnisse entspricht es, dass der Bundesgesetzgeber bei der zeitgleichen Bestimmung Georgiens und der Republik Moldau als sichere Herkunftsstaaten in der Gesetzesbegründung einheitlich und ohne inhaltliche Differenzierung festgestellt hat, dass sowohl Georgien mit Abchasien und Südossetien als auch die Republik Moldau mit Transnistrien jeweils über sog. abtrünnige Gebiete verfügen (dazu näher (d)).

90 (c) Bedenken, dass sich aus dem Urteil des Gerichtshofs vom 4. Oktober 2024 die Unionsrechtswidrigkeit des Gesetzes zur Bestimmung Georgiens als sicherer Herkunftsstaat vom 19. Dezember 2023 ergibt, sind auch nicht wegen der Unterschiede zwischen diesem Gesetz und der dem Urteil des Gerichtshofs zugrunde liegenden Regelung der Tschechischen Republik veranlasst.

91 (aa) Der formale Unterschied, dass die Bestimmung des Drittstaates (Republik Moldau) als sicherer Herkunftsstaat in der Tschechischen Republik anders als in Deutschland nicht durch ein (förmliches) Gesetz, sondern im Wege einer ministeriellen Verordnung erfolgt ist (vgl. EuGH, Urt. v. 4. Oktober 2024, a. a. O., Rn. 26 f.), ist unerheblich. Insbesondere berührt dieser Umstand nach dem Urteil des Gerichtshofs vom 1. August 2025 (a. a. O., Rn. 68) nicht die gerichtliche Kontrollbefugnis.

92 (bb) Ebenso unerheblich ist der Umstand, dass die tschechische Regelung den nicht als sicher eingestuften abtrünnigen Landesteil (Transnistrien) ausdrücklich aus der Bestimmung des Drittstaates (Republik Moldau) als sicherer Herkunftsstaat ausgenommen hat, während der Bundesgesetzgeber Georgien (wie auch die Republik Moldau) insgesamt als sicheren Herkunftsstaat bestimmt und lediglich in der Begründung ausgeführt hat, dass dies nicht für die nicht der Kontrolle der Regierung unterliegenden abtrünnigen Landesteile gilt (dazu näher (d)) Dieser Regelungsunterschied stellt angesichts des Inhalts der Antwort des Gerichtshofs auf die maßgebliche Vorlagefrage sowie der Begründung für diese Entscheidung die Übertragbarkeit des Urteils vom 4. Oktober 2024 auf die bundesdeutsche Regelung nicht in Frage. Der Gerichtshof hat die ihm gestellte Frage, ob Art. 37 der Richtlinie 2013/32/EU dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die (wie die maßgebliche tschechische Regelung) einen Drittstaat ausgenommen bestimmter Teile seines Hoheitsgebiets als sicheren Herkunftsstaat bestimmt, nicht lediglich dahin beantwortet, dass das Unionsrecht bei der Bestimmung von sicheren Herkunftsstaaten (formal) eine Ausklammerung von nicht sicheren Landesteilen untersagt. Vielmehr hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 37 der Richtlinie 2013/32/  EU (materiell) die Bestimmung eines Drittstaates als sicherer Herkunftsstaat (gänzlich) ausschließt, wenn in Teilen des Hoheitsgebiets die in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen für eine solche Einstufung nicht erfüllt sind. Die dargelegte, auf den Wortlaut, den Regelungszusammenhang, den Ausnahmecharakter des Konzepts der sicheren Herkunftsstaaten sowie die Entstehungsgeschichte des Art. 37 der Richtlinie 2013/32/EU abstellende Begründung des Urteils vom 4. Oktober 2024 bestätigt, dass das Unionsrecht insgesamt der Einstufung eines Staates als sicherer Herkunftsstaat entgegensteht, wenn für Teile seines Hoheitsgebiets die insoweit erforderlichen materiellen Voraussetzungen nicht vorliegen, und nicht lediglich „gesetzgebungstechnisch“ die Ausklammerung der nicht sicheren Landesteile untersagt (vgl. VG Berlin, Beschl. v. 11. März 2025, a. a. O.; VG Leipzig, Beschl. v. 16. Mai 2025, a. a. O., Rn. 34 ff.; VG Dresden, Beschl. v. 5. Juni 2025, a. a. O., Rn. 25; VG Karlsruhe, Beschl. v. 17. Juli 2025, a. a. O., Rn. 25). Ohnehin ist nicht ersichtlich, warum allein solche Regelungen unionsrechtswidrig sein sollten, die nicht sichere Landesteile ausdrücklich ausnehmen, nicht hingegen solche, die den gesamten Drittstaat einschließlich der nicht sicheren Landesteile als sicheres Herkunftsland einstufen (VG Karlsruhe, Beschl. v. 17. Juli 2025, a. a. O., Rn. 25). Nach dem Urteil des Gerichtshofs vom 4. Oktober 2024 ist für eine solche Annahme entgegen der Antwort der Bundesregierung in der Befragung im Deutschen Bundestag am 16. Oktober 2024 (Plenarprotokoll 20/193, Frage 26; vgl. auch VG Düsseldorf, Beschl. v. 15. April 2025 - 30 L 905/25.A -, juris Rn. 25; Dörig, NVwZ 2024, 1914, 1915) kein Raum.

93 (d) Die in der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Bestimmung Georgiens (und der Republik Moldau) als sicherer Herkunftsstaat zu den abtrünnigen Landesteilen Abchasien
und Südossetien (sowie Transnistrien) angestellten Erwägungen stellen die Unionsrechtswidrigkeit der Vorschrift nicht in Frage. Vielmehr offenbaren sie, dass der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben verkannt hat.

94 Der Gesetzgeber hat mit Blick auf die abtrünnigen Gebiete ausgeführt, dass entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (Urt. v. 14. Mai 1996 - 2 BvR 1507/93, 2 BvR 1508/93 -, juris Rn. 70 f.) geprüft worden sei, ob die Verfolgungsfreiheit landesweit bestehe. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei für die Beurteilung der Verfolgungsfreiheit in dem jeweiligen Staat aber nicht zu entnehmen, dass dieser in jeglichem Landesteil die Verfügungsgewalt besitzen oder der effektive Schutz der Regierungsgewalt auch in einem abtrünnigen Gebiet gewährleistet sein müsse. Es komme darauf an, dass der Landesteil, der der Kontrolle der Regierung untersteht, verfolgungsfrei sei bzw. dort effektiver Schutz durch die staatlichen Stellen gewährt werde. Hieraus hat der Gesetzgeber gefolgert, dass der Umstand, dass Georgien über abtrünnige Gebiete verfüge, der Bestimmung als sicherer Herkunftsstaat nicht entgegenstehe. Rückführungen nach Georgien fänden ausschließlich in die Hauptstadt und damit in den unter der Kontrolle der Regierung stehenden, verfolgungsfreien Landesteil statt. Der Umgang mit Antragstellenden aus den abtrünnigen Gebieten unterscheide sich insoweit nicht von dem Umgang mit Antragstellenden aus der völkerrechtlich nicht anerkannten sog. Türkischen Republik Zypern im Nordteil der Insel. Die gesamte Insel Zypern gelte aufgrund der Zugehörigkeit der Republik Zypern zur Europäischen Union als sicherer Herkunftsstaat, obwohl die Republik Zypern lediglich den Südteil der Insel kontrolliere (BT-Drucks. 20/8629 S. 10).

95 Ausweislich dieser Ausführungen hat der Gesetzgeber seiner Entscheidung, Georgien als sicheren Herkunftsstaat zu bestimmen, (jedenfalls) unionsrechtlich einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt. Für seine Erwägung, die Verhältnisse in Abchasien und Südossetien seien irrelevant, weil sich diese Gebiete außerhalb der Kontrolle der Regierung Georgiens befinden und es nur darauf ankomme, dass der der Kontrolle der Regierung unterstehende Landesteil verfolgungsfrei sei bzw. dort effektiver staatlicher Schutz gewährt werde, ist nach dem Urteil des Gerichtshofs vom 4. Oktober 2024 unionsrechtlich kein Raum (vgl. VG Karlsruhe, Beschl. v. 17. Juli 2025, a. a. O., Rn. 25). Es handelt sich um eine auch von der Kommission gegenüber dem Gerichtshof angeführte Überlegung (vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts vom 30. Mai 2024 in der Rechtssache C-406/22, juris Rn. 88). Dem ist der Gerichtshof (in Übereinstimmung mit dem Generalanwalt) nicht gefolgt. Vielmehr hat er vor dem Hintergrund der dem Verfahren zugrunde liegenden entsprechenden Verhältnisse in Transnistrien die allgemeine Aussage getroffen, dass Art. 37 der Richtlinie 2013/32/EU der Bestimmung eines Drittstaates als sicherer Herkunftsstaat entgegensteht, wenn Teile seines Hoheitsgebiets die in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen für eine solche Einstufung nicht erfüllen. Diese allgemeine Aussage erfasst angesichts des Anlasses und der Begründung des Urteils vom 4. Oktober 2024 auch die Fälle, in denen die Nichterfüllung der materiellen Voraussetzungen des Anhangs I der Richtlinie in einem Landesteil des zu beurteilenden Drittstaates darauf beruht, dass dessen staatliche Organe in diesem Landesteil ihre Hoheitsbefugnisse nicht wirksam ausüben können (VG Leipzig, Beschl. v. 16. Mai 2025, a. a. O., Rn. 40).

96 Auch die Überlegung des Gesetzgebers, die Bestimmung Georgiens als sicheres Herkunftsland mit der entsprechenden Einstufung der Republik Zypern zu rechtfertigen, geht fehl. Die Einstufung der Republik Zypern als sicherer Herkunftsstaat beruht auf der Zugehörigkeit zur Europäischen Union. Sie unterfällt damit nicht dem in Art. 36 und 37 der Richtlinie 2013/32/EU für „Drittstaaten“ geregelten Konzept der sicheren Herkunftsstaaten (VG Leipzig, Beschl. v. 16. Mai 2025, a. a. O., Rn. 41; VG Dresden, Beschl. v. 5. Juni 2025, a. a. O., Rn. 25; VG Karlsruhe, Beschl. v. 17. Juli 2025, a. a. O., Rn. 25). Die Entscheidung zur Einstufung der Republik Zypern als sicherer Herkunftsstaat ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt für die Auslegung des Art. 37 der Richtlinie 2013/32/ EU relevant. Dementsprechend vermag auch der maßgeblich auf diese Erwägung des Bundesgesetzgebers abstellende Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 15. April 2025 (a. a. O., Rn. 14 ff., 22) nicht zu überzeugen. Entgegen der diesem Beschluss zugrunde liegenden Annahme (a. a. O., Rn. 18 ff.) räumt das Unionsrecht dem Bundesgesetzgeber keinen Entscheidungs- und Wertungsspielraum dahin ein, Georgien zum sicheren Herkunftsstaat zu bestimmen, obwohl in den zum Staatsgebiet gehörenden abtrünnigen Gebieten Abchasien und Südossetien die in Anhang I der Richtlinie 2013/32/EU genannten materiellen Voraussetzungen nicht vorliegen (VG Leipzig, Beschl. v. 16. Mai 2025, a. a. O., Rn. 41).

97 Ist die Bestimmung Georgiens zum sicheren Herkunftsstaat aus den vorstehenden Gründen unionsrechtswidrig, kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen des Art. 37 der Richtlinie 2013/32/EU in Verbindung mit deren Anhang I für Georgien auch aus anderen Gründen nicht oder - angesichts der Entwicklung in Georgien seit Inkrafttreten des Gesetzes vom 19. Dezember 2023 (vgl. dazu Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 10. Juni 2025, S. 4 ff.) - nicht mehr vorliegen. 

98 bb) Die Unionsrechtswidrigkeit der Bestimmung Georgiens zum sicheren Herkunftsstaat führt dazu, dass § 29a AsylG keine Anwendung findet. [...]