In Syrien droht keine Gefahr:
1. Es besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für die Annahme, in Syrien (hier Damaskus und Latakia nebst Provinzen) bestehe für Ausländer gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 3 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
2. Syrern droht im Falle einer Rückkehr generell keine allgemeine Notlage im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.
3. Dem Erlass einer Abschiebungsandrohung steht das Innehaben einer zur Durchführung des Asylverfahrens vorgesehenen Aufenthaltsgestattung eines Familienangehörigen nach § 55 AsylG nicht aufgrund von § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG entgegen.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
1. Die Ablehnung des Asylantrages des Antragstellers als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist rechtlich nicht zu beanstanden. [...]
aaa) Gemessen an seinem Vortrag liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG nicht vor. Der Antragsteller hat sich bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt als gänzlich unpolitische Person dargestellt. Er sei weder Mitglied in einer politischen Partei oder Organisation noch in einer sonstigen Gruppierung oder überhaupt politisch aktiv gewesen. Soweit er Syrien wegen des Krieges und der allgemein desolaten Lage verlassen hat, begründet dies mangels individueller, in der Person des Antragstellers bestehender Verfolgungsgründe im Sinne von §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG und mangels gezielter ausgrenzender Rechtsverletzungen in Anknüpfung an asyl- und flüchtlingsrelevante Merkmale, keine politische Verfolgung. Nichts Anderes ergibt sich aus dem Gesamtkomplex Militärdienstentziehung bzw. Einberufung durch das Regime zum Reservedienst oder dazu durch sonstige Gruppierungen. [...]
Weitere – auch nach Verlassen des Heimatlandes eingetretene – Gründe, die es rechtfertigten von einer begründeten Furcht vor Verfolgung gemäß § 3 Abs. 1 AsylG auszugehen, sind nicht beachtlich dargelegt und auch sonst nicht rechtsrelevant ersichtlich. Vor allem ist darauf hinzuweisen, dass das Assad-Regime, auf dessen Verfolgung sich der Antragsteller maßgeblich beruft, am 8. Dezember 2024 gestürzt wurde und keine Herrschaftsgewalt mehr in Syrien ausübt [...].
bbb) Schließlich ist der Vortrag des Antragstellers auch nach dem dargelegten Maßstab ungeeignet, ihm zur Zuerkennung subsidiären Schutze gem. § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 AsylG zu verhelfen. [...]
(3) Es bestehen auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Gründe für die Annahme, dem Antragsteller drohe in Syrien gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 3 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Zur näheren Begründung wird zunächst, eingedenk des im hiesigen Verfahren geltenden Prüfungsmaßstabes, auf die entsprechende Rechtsprechung der Kammer Bezug genommen (vgl. VG Düsseldorf Urteil vom 18. März 2025 – 17 K 7040/21.A –, juris Rn. 66 ff., m.w.N.).
Sofern der Antragsteller vor der Ausreise in Damaskus oder Umland gelebt haben sollte, gelten die Ausführungen in der zuvor zitierten Entscheidung unmittelbar, sofern er nach dem Jahre 2000 seinen gewöhnlichen Aufenthalt ständig in der Provinz Latakia gehabt haben sollte (Jabla; vgl. Anhörung vor dem Bundesamt am 7. Oktober 2025, S. 5), gilt Folgendes: Das Ausmaß willkürlicher Gewalt in der Heimatregion des Antragstellers, Latakia und Provinz, ist nicht derart hoch, dass er allein aufgrund seiner Anwesenheit dort einer ernsthaften individuellen Bedrohung für sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit ausgesetzt wäre (vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 16. Juli 2024 - 14 A 2847/19.A -, juris Rn. 271 - 273 m.w.N.).
Eine andere Bewertung folgt insbesondere nicht aus dem Sturz des Assad-Regimes am 8. Dezember 2024 und der Einnahme u.a. von Latakia und Provinz durch die Kämpfer des neuen Machthabers. [...]
Die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle nahm in Latakia und der Provinz vielmehr zwischen Dezember 2024 und April 2025 leicht ab, auch im Mai 2025 zeigte sich keine signifikante Veränderung (zwischen 30 bis 24 Vorfälle bei einer Bewohnerzahl von etwa 1,45 Millionen Personen; im April 9 und Mai 24 zivile Todesopfer) (vgl. EUAA, Syria: Country Focus, Juli 2025, S. 123, 128 f.).
Einen "Ausreißermonat" bildet dabei der März 2025 mit 111 sicherheitsrelevanten Vorfällen (vgl. EUAA, Syria: Country Focus, Juli 2025, S. 128). Insbesondere vom 6. bis zum 10. März 2025 kam es in der Region (Latakia, Tartus) im Rahmen von Angriffen Assad-getreuer Gruppierungen auf die neuen syrischen Sicherheitskräfte und entsprechender Kampfhandlungen zu zahlreichen extralegalen Hinrichtungen und Massakern (mit Schwerpunt bei der alawitischen Bevölkerung, zu der der Antragsteller als Sunnit – vgl. Bl. 504 Bundesamtsakte – nicht gehört) (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 30. Mai 2025, Stand März 2025, S. 14; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, Briefing Notes vom 17. März 2025, S. 9).
Hierbei handelt es sich jedoch im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung um Einzelfälle, denen in ihrer Gesamtschau kein hinreichend anderes Gewicht zur Bewertung des Falles und der derzeitigen Sicherheitslage in Syrien beizumessen ist. Es fehlt ihnen auch gemessen an den Vormonaten und den Nachmonaten an belastbarer Substanz und hinreichender Allgemeingültigkeit, um deswegen zu einer veränderten Bewertung gelangen zu können. Zudem hat der neue syrische Machthaber nicht nur die Gräueltaten verurteilt, sondern eine unabhängige Untersuchungskommission eingesetzt sowie strafrechtliche Konsequenzen für jene angedroht, die für die extralegalen Tötungen verantwortlich seien, auch für entsprechende Verbündete seiner Truppen (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, Länderreport, Syrien nach Assad, Gegenwärtige Entwicklungen, Stand März 2025, S. 27).
Daher ist die Annahme gerechtfertigt, es handele sich um ein Einzelvorkommnis. Dafür spricht nicht zuletzt auch der Monatsbericht des Syrian Human Rights Committee (SHRC), der für Latakia und Provinz im Juni sieben, im Juli sechs sowie im August 2025 vier zivile Todesfälle bei einer Bevölkerung von ca. 1,45 Mio. Menschen und auf einer Provinzfläche von fast 3.000 qkm auflistet (vgl. SHRC, Victims of Human Rights Violations in June, July and August 2025, www.shrc.org/en/, ...34448, ...34463; aufger. am 31. Oktober 2025).
Bei umfassender Würdigung dieser Umstände besteht daher in Latakia und Umgebung keine Situation, in der Zivilpersonen allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären, auch wenn es noch eine niedrigschwellige Zahl an zivilen Todesopfer gibt. [...]
2. Ein Anspruch auf Zuerkennung eines Abschiebungsverbots ist ebenfalls abzulehnen, da weder die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) (a)) noch diejenigen des § 60 Abs. 7 AufenthG (b)) hinsichtlich Syriens vorliegen. [...]
(aaa) Zunächst kann auf Grundlage der dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse nicht festgestellt werden, jedem Syrer drohe im Fall einer Rückkehr unabhängig von den individuellen Verhältnissen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Notlage im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. [...]
Mit den von der Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid (Seite 9) ausführlich dargestellten Rückkehrhilfen, wie dem seit Januar 2025 angelaufenen REAG/GARP Programm, möglichen Sonderbeträgen, Reisebeihilfen und Starthilfen sowie grundsätzlich möglichen Kostenübernahmen im Falle von medizinischem Unterstützungsbedarf und dem seit Februar 2025 aufgelegten Nationalen Reintegrationsprogramm Syrien (EURP SYR), welches sowohl kurzfristige ("Post Arrival Package") wie auch langfristige Hilfen ("Post Return Package") vor Ort vorsieht, wird der Antragsteller zunächst trotz der angespannten humanitären Situation in Syrien in der Lage sein, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum nach der Rückkehr zu befriedigen (vgl. zu den verschiedenen Rückkehrprogrammen www.returningfromgermany.de/en/countries/syria/; aufger. am 3. November 2025).
Nicht entscheidend ist dabei, ob sein Existenzminimum in dem Herkunftsland nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, juris Rn. 25).
Kann der Rückkehrer – wie hier – Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, die eine Verelendung innerhalb eines absehbaren Zeitraums ausschließen, so kann Abschiebungsschutz ausnahmsweise nur dann gewährt werden, wenn bereits zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt davon auszugehen ist, dass dem Ausländer nach dem Verbrauch der Rückkehrhilfen in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine Verelendung mit hoher Wahrscheinlichkeit droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, juris Rn. 25). [...]
bbb) Aus anderen Gründen liegt schließlich ebenso kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vor. Insbesondere folgt ein solches nicht aus einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Gefahr von Übergriffen oder sonstigen konfliktbedingten Gefahren, wie bereits unter A. II. 1. b) bb) bbb) (3) dargelegt wurde. [...]
Dementsprechend ist derzeit ein aus dem Aufenthalt der Familie des Antragstellers folgendes Hindernis für seine Abschiebung als lediglich vorübergehend zu bewerten und daher unter Berücksichtigung des Wohls des Kindes und der familiären Bindungen die Abschiebungsandrohung unions- und im Übrigen auch im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz verfassungskonform.
bbb) Selbst wenn nach der vorzitierten abweichenden Ansicht angenommen würde, Art. 5 Rückführungsrichtlinie fände dem Grunde nach auch im Fall des Vorliegens einer Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG Anwendung, ist die Abschiebungsandrohung im gegebenen Fall deshalb nicht zu beanstanden, weil das öffentliche Interesse an einer Rückführung des Antragstellers höher zu gewichten wäre als das Interesse des Antragstellers und seiner Familienmitglieder an einer Fortsetzung der familiären Bindungen im Bundesgebiet.
Aus Art. 5 lit. a) und b) Rückführungsrichtlinie folgt ausweislich des Wortlauts keine absolute Beachtenspflicht, sondern ein die Abwägung beeinflussendes Berücksichtigungsgebot (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 4. August 2023 – 17 L 1407/23.A –. S. 12 Beschlussabdruck, n.v.; VG Minden, Beschluss vom 4. Mai 2023 ‒ 2 L 847/22.A ‒, juris Rn. 20; VG Würzburg, Urteil vom 15. Juli 2022 – W 7 K 21.30924 –, juris Rn. 36). [...]
So liegt der Fall hier. Es handelt sich zwar um eine besonders schützenswerte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen Eltern und ihrem – mit einem Alter von fast 16 Jahren indes schon jugendlichem – Kind. Keinem Mitglied der Kernfamilie des Antragstellers steht jedoch im Entscheidungszeitpunkt ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland zu. Die Eheleute und ihr Kind verfügen vielmehr lediglich über eine auf die Dauer der Durchführung ihres Asylverfahrens beschränkte Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Für die Familie bestand mithin zu keinem Zeitpunkt die berechtigte Erwartung, ihr Familienleben in Deutschland weiterführen zu können. Hinzu kommt, dass eine Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft in Syrien grundsätzlich möglich und zumutbar ist.
Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass die Prüfung der nationalen Vorgaben über eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung durch die Ausländerbehörde (§ 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG) oder ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis in Form einer Duldung aufgrund einer sich aus Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK ergebenden rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung (§ 60a Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG) zur durchgehenden Wahrung der Familieneinheit unberührt bleibt. [...]