BlueSky

VGH Baden-Württemberg

Merkliste
Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.10.2025 - 11 S 1799/25 - asyl.net: M33815
https://www.asyl.net/rsdb/m33815
Leitsatz:

Ununterbrochener Aufenthalt beim Chancen-Aufenthaltsrecht meint tatsächlichen Aufenthalt:

1. Das Erfordernis des fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthalts beim Chancen-Aufenthaltsrecht (§ 104c AufenthG) erfordert neben einer durchgängig vorhandenen Statuskette (im Sinne einer Duldung, Aufenthaltsgestattung oder Aufenthaltserlaubnis) auch den tatsächlichen Aufenthalt.

2. Die Regelungen über das Erlöschen von Aufenthaltstiteln (§§ 51 Abs. 1 S. Nr. 6 und 7 AufenthG), sowie zu Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts (§ 85 AufenthG) sind weder direkt noch analog anwendbar.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Chancen-Aufenthaltsrecht, Voraufenthaltszeit, ununterbrochener Aufenthalt, tatsächlicher Aufenthalt, Statuskette, Erlöschen von Aufenthaltstiteln
Normen: AufenthG § 104c, AufenthG § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, AufenthG § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7, AufenthG § 85
Auszüge:

[...]

12 Nach § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG soll einem geduldeten Ausländer abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1, 1a und 4 sowie § 5 Abs. 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich am 31.10.2022 seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten hat, er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt (Nr. 1) und nicht wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde; Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylgesetz nur von Ausländern begangen werden können, oder Verurteilungen nach dem Jugendstrafrecht, die nicht auf Jugendstrafe lauten, bleiben dabei grundsätzlich außer Betracht (Nr. 2).

13 Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Antragsteller hat sich vom 14.09.2017 bis zum 06.02.2018 - mithin für nahezu fünf Monate - in China aufgehalten. Sein tatsächlicher Voraufenthalt im Bundesgebiet war daher nicht ununterbrochen (vgl. zu diesem Kriterium auch BVerwG, Urteil vom 27.02.2025 - 1 C 13.23 - juris Rn. 24). 

14 Für die Frage, ob der relevante Voraufenthalt ununterbrochen im Sinne des § 104c Abs. 1 AufenthG war, kommt es nicht lediglich auf die - auch erforderliche - durchgängige Statuskette, sondern zusätzlich auf den tatsächlichen Aufenthalt "im Bundesgebiet" an. In der Folge finden die Regelungen in § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 AufenthG, wonach kurzfristige Ausreisen mit Aufenthaltstitel für dessen Wirksamkeit unschädlich sind, solange sie vorübergehend sind bzw. sechs Monate nicht überschreiten, im Rahmen des Chancen-Aufenthaltsrechts bezüglich des Erfordernisses des tatsächlichen Aufenthalts keine entsprechende Anwendung [...].

15 Dieses im Wege der Gesetzesauslegung gefundene Ergebnis folgt bereits aus dem klaren Wortlaut der Norm, wonach sich der Ausländer "ununterbrochen (…) im Bundesgebiet aufgehalten" haben muss. Der Wortlaut stellt einen ausdrücklichen Konnex zum physischen Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet her. Für eine Anknüpfung dergestalt, dass lediglich keine Lücke in der Statuskette eingetreten sein darf, gibt der Wortlaut dagegen nichts her. [...]

18 Dies zeigt auch der systematische Vergleich mit der entsprechenden Regelung des "ununterbrochenen Aufenthalts (…) im Bundesgebiet" in § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG (BTDrucksache 18/4097, S. 43). Auch in diesem Fall, in dem dieselbe Formulierung gewählt wurde, sollen nach der Begründung des einschlägigen Gesetzentwurfs nur kurzfristige Unterbrechungen von bis zu drei Monaten unschädlich sein. [...]

22 Schließlich kann die Bestimmung in § 85 AufenthG nicht unmittelbar herangezogen werden (vgl. Kluth, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 45. Edition, Stand: 01.10.2024, § 104c AufenthG Rn. 8). Die Vorschrift regelt nur Unterbrechungen des rechtmäßigen Aufenthalts, wohingegen die - von § 104c AufenthG auch erfasste - Duldung keinen rechtmäßigen Aufenthalt begründet. § 85 AufenthG lässt sich im vorliegenden Zusammenhang auch nicht analog anwenden [...]. Es widerspräche sowohl dem eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Regelung, der einen "ununterbrochenen Aufenthalt (…) im Bundesgebiet" voraussetzt, als auch dem sich aus den Materialien ableitbaren Willen des Gesetzgebers, einen derart langen Zeitraum als unschädlich zu betrachten. [...]