Gesetzesänderung ab dem 1. Juli 2022: Abschiebungshaft und Strafvollzug sind wieder zu trennen

Seit dem 1. Juli 2022 darf Abschiebungshaft grundsätzlich nicht mehr in Justizvollzugsanstalten vollstreckt werden. Eine Übergangsregelung, die dies seit dem August 2019 ermöglicht hatte, lief am 30. Juni 2022 aus. Obwohl sie mit einem hohen Bedarf an Haftplätzen begründet worden war, war die Ausnahmeregelung in der Praxis offenbar kaum zur Anwendung gekommen.

Hintergrund: Das Gebot der Trennung von Abschiebungshaft und Strafvollzug

Das Trennungsgebot (auch als "Abstandsgebot" bezeichnet) findet sich nun seit dem 1. Juli 2022 wieder in § 62a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Es sieht vor, dass "Abschiebungshaft grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen" zu vollziehen ist. Diese Einrichtungen müssen räumlich von einer gewöhnlichen Haftanstalt getrennt sein und sich auch in ihrer Ausgestaltung von Haftanstalten unterscheiden. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Abschiebungshäftlinge nicht aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung inhaftiert sind und entsprechend auch nur den Freiheitsbeschränkungen unterworfen sein sollen, die zur Sicherstellung der Abschiebung notwendig sind. Ein Abweichen von dieser Regelung ist zulässig, wenn von der inhaftierten Person eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder für bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht – nur in diesem Ausnahmefall ist die Vollziehung von Abschiebungshaft in einer "sonstigen Haftanstalt" möglich.

Die Regelung im deutschen Recht geht zurück auf Art. 16 der europäischen Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG). Auch dort ist vorgesehen, dass Abschiebungshaft grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen werden muss. Die Unterbringung in "gewöhnlichen Haftanstalten" ist demnach nur zulässig, wenn in einem EU-Staat keine derartigen speziellen Einrichtungen vorhanden sind. Im Juli 2014 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Bezug auf die Situation in Deutschland geurteilt, dass von dieser Regelung nicht mit Hinweis auf die föderale Struktur eines EU-Staates abgewichen werden darf: Die Unterbringung von Abschiebungshäftlingen in Haftanstalten durfte demnach – im Gegensatz zur damaligen deutschen Rechtslage – nicht damit begründet werden, dass ein Bundesland nicht über eine eine spezielle Einrichtung verfügte. Vielmehr muss das Trennungsgebot in ganz Deutschland angewandt werden, selbst wenn spezielle Hafteinrichtungen nur in einzelnen Bundesländern existieren (EuGH, Urteil vom 17.7.2014 – C-473/13; C-514/13: Bero u.a. gegen Deutschland – Asylmagazin 9/2014, S. 314 f., asyl.net: M22086). Aufgrund des EuGH-Urteils war der Wortlaut des § 62a AufenthG im Juli 2015 angepasst worden, sodass Ausnahmen vom Trennungsgebot für einzelne Bundesländer nicht mehr vorgesehen waren. Die Bundesländer, die nicht über ein Abschiebungsgewahrsam verfügten, waren in der Folge dazu übergegangen, entsprechende Einrichtungen aufzubauen oder sie schlossen Vereinbarungen mit anderen Bundesländern, um dort Haftplätze zu nutzen.

Aussetzung des Trennungsgebots und Verfahren beim EuGH

Durch das "Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht" war das Trennungsgebot im Jahr 2019 befristet bis zum 30. Juni 2022 ausgesetzt worden. Während dieses Zeitraums hieß es in § 62a AufenthG nur noch, dass »Abschiebungsgefangene […] getrennt von Strafgefangenen unterzubringen« seien. Dies ermöglichte die Unterbringung von Abschiebungshäftlingen in Justizvollzugsanstalten. Begründet wurde dies mit einem Mangel an Abschiebungshaftplätzen, durch den es notwendig gewesen sei, bis zu 500 weitere Plätze für den Zweck der Abschiebungshaft bereitzustellen (Gesetzesbegründung im Entwurf des o.g. Gesetzes, S. 25). Das Abweichen von den Vorgaben des europäischen Rechts wurde mit einer Notlage im Sinne des Art. 18 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie begründet. Im Fall einer solchen Notlage, die durch eine "außergewöhnlich große Zahl von Drittstaatsangehörigen, deren Rückkehr sicherzustellen ist," hervorgerufen wird, dürfen die EU-Staaten laut dieser Bestimmung vom Trennungsgebot des Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie abweichen. 

Ob eine Notlage im Sinne dieser Vorschrift im Jahr 2019 tatsächlich vorgelegen hatte, war allerdings umstritten: Das Amtsgericht Hannover sah dies nicht als erwiesen an, da seiner Auffassung nach die Gesetzesbegründung "keine überzeugende Darstellung einer Notlage" enthalten habe. Dort seien weder Angaben zur Auslastung der Hafteinrichtungen enthalten gewesen noch sei die zu erwartende Zahl der Personen, bei denen auch Haftgründe gegeben sein könnten, genannt worden. Die bloße Nennung der existierenden und geplanten Haftplätze stelle noch kein Argument für eine Überlastung dar. Vor diesem Hintergrund hätte Deutschland nicht vom Trennungsgebot des Art. 16 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie abweichen dürfen. Das Amtsgericht wandte sich aufgrund seiner Bedenken an den Europäischen Gerichtshof. Diesem legte es unter anderem die Frage vor, "ob das [nationale] Gericht das Vorliegen einer Notlage selbst [...] feststellen muss oder die Feststellung des Gesetzgebers ohne eigene Prüfung im Einzelfall hinnehmen muss." (Amtsgericht Hannover, Beschluss vom 12.10.2020 – 44 XIV 43/20 B – abrufbar beim EuGH, externer Link von dejure.org).

Der EuGH hat am 10. März 2022 über die Vorlage des Amtsgerichts Hannover entschieden. In seinem Urteil kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass nationale Gerichte im Rahmen der Prüfung eines Antrags auf Abschiebungshaft auch darüber entscheiden müssen, ob eine Notlage vorliegt, die das Abweichen vom Trennungsgebot rechtfertigt. Kommt das nationale Gericht zu dem Ergebnis, dass die entsprechenden Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, ist es wegen des Vorrangs des Unionsrechts an das Trennungsgebot gebunden (EuGH, Urteil vom 10.03.2022 - C-519/20 Deutschland gg. K - asyl.net: M30495 abrufbar beim EuGH unter curia.europa.eu; siehe hierzu ausführlich: Pro Asyl Meldung vom 16.3.2022). Damit beantwortet der EuGH die Frage, ob in den Jahren 2019/2020 eine Notlage im Sinne der Rückführungsrichtlinie vorgelegen hat, also nicht abschließend, sondern überlässt die Entscheidung den nationalen Gerichten. Diese dürfen und müssen laut dem Gerichtshof die Vorgaben des nationalen Gesetzgebers überprüfen. Dabei hat der EuGH in seiner Entscheidung zugleich einige Prüfungsmaßstäbe aufgeführt, die erkennen lassen, dass der Gerichtshof die Zweifel des Amtsgerichts Hannover am Vorliegen einer Notlage im Sinne von Art. 18 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie offenbar für begründet hielt (siehe hierzu auch die Kommentierung des Urteils von Tanja Podolski, "Das war wohl keine Notlage", lto.de vom 10.3.2022): So genügt laut EuGH die "bloße Anwesenheit einer außergewöhnlich großen Zahl von Drittstaatsangehörigen, deren Rückkehr sicherzustellen ist," nicht für den Nachweis der geforderten Notlage (Rn. 72 des Urteils). Dabei sei zu berücksichtigen, dass Abschiebungshaft nur als letztes Mittel zulässig sei, wenn andere Zwangsmaßnahmen nicht wirksam angewandt werden könnten. Entsprechend sei davon auszugehen, dass nur ein Teil der ausreisepflichtigen Personen tatsächlich in Abschiebungshaft genommen werden dürfte. Daher müsse ein Mitgliedstaat, der vom Trennungsgebot abweichen wolle, nachweisen, dass "die Zahl der in Abschiebehaft genommenen Drittstaatsangehörigen derartig hoch ist, dass sie zu einer unvorhergesehenen Überlastung der Kapazitäten der speziellen Hafteinrichtungen in seinem gesamten Hoheitsgebiet führt" (Rn. 73, Hervorhebung durch die Red.). Der EuGH griff damit also den Hinweis des Amtsgerichts Hannover auf, wonach es für die Feststellung einer Notlage auf die zu erwartende Zahl der Personen ankommt, bei denen Haftgründe gegeben sein könnten.

Auswirkungen der Aussetzung des Trennungsgebots und Bewertung

Im August 2021 hatte die Bundesregierung erklärt, dass sie das Bestehen der Notlage im Sinne der Rückführungsrichtlinie "fortwährend" bewerte. Zugleich verwies sie darauf, dass "die gesetzliche Regelung" von der Beendigung der Notlage ab dem 1. Juli 2022 "ausgeht" (Auskunft auf die Große Anfrage der Fraktion Die Linke, BT-Drs. 19/31669 vom 4.8.2021, S. 130). Die Frage, auf welche Zahlen sich die Annahme einer (anhaltenden) Überlastung der Abschiebungshaftkapazitäten stütze, wurde von der Regierung nicht beantwortet.

Allerdings ergibt sich aus der zitierten Auskunft der Bundesregierung zugleich, dass die Möglichkeit der Inhaftierung von Abschiebungshäftlingen in Justizvollzugsanstalten äußerst selten genutzt wurde. Lediglich die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt hatten nach eigenen Angaben überhaupt von der Übergangsregelung Gebrauch gemacht, dies aber nur in insgesamt 10 Fällen (Mecklenburg-Vorpommern: 3, Sachsen-Anhalt: 7 in den Jahren 2020 und 2021, Übersicht in der o.g. Auskunft der Bundesregierung, BT-Drs. 19/31669, S. 20-22). Dabei ist zwar zu berücksichtigen, dass einige Bundesländer auch auf Schwierigkeiten hingewiesen haben, entsprechende Daten bei den Ausländerbehörden zu erheben. Selbst wenn in der Auskunft der Bundesregierung aus diesem Grund nicht alle Fälle erfasst worden sein sollten, ist aber festzustellen, dass die tatsächlich in Anspruch genommene Haftkapazität lediglich einen Bruchteil der 500 (zusätzlichen) Plätze ausmacht, die im Jahr 2019 als Bedarf genannt worden waren. Angesichts der von der Bundesregierung selbst vorgelegten Zahlen bleibt jedenfalls vollkommen unklar, auf welcher Grundlage diese Schätzung beruhte, die immerhin ausschlaggebend für die Annahme einer Notlage war und damit die zentrale Rechtfertigung der Gesetzesänderung darstellte. Vor diesem Hintergrund spricht also Vieles dafür, dass sich die bereits im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Zweifel an der Notwendigkeit und der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestätigen lassen.

Unabhängig davon ist durch das Auslaufen der Übergangsregelung nun wieder eindeutig gesetzlich geregelt, dass Abschiebungshaft regelmäßig nur in dafür vorgesehenen speziellen Einrichtungen vollzogen werden darf.


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