Analyse der Regelsätze des Asylbewerberleistungsgesetzes

PRO ASYL und der Berliner Flüchtlingsrat haben in einer im November 2022 erschienenen Studie die Regelsätze nach dem AsylbLG sowie die im AsylbLG vorgesehenen Leistungskürzungen analysiert. Die Publikation basiert auf einer Stellungnahme, die für das Bundesverfassungsgericht geschrieben wurde.

Analyse des AsylbLG (November 2022)

Autor der Studie ist Georg Classen (Flüchtlingsrat Berlin), der sich seit der Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) im Jahr 1993 mit dessen Regelungen befasst. Er zeichnet die Entwicklung des Gesetzes seit den Anfängen nach. Im Mittelpunkt stehen dabei die Neuregelungen seit dem Jahr 2015: Mit dem "Gesetz zur Änderung des AsylbLG und des SGG" sollte seinerzeit das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.7.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, asyl.net: M19839) umgesetzt werden, in dem die bis dahin geltenden Leistungen des AsylbLG als "evident unzureichend" eingestuft worden waren. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung festgestellt, dass das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für alle in Deutschland lebenden Menschen gilt und die Gesetzgebung bei der Ermittlung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren darf. Derartige Differenzierungen – sprich: Leistungskürzungen – seien nur möglich, wenn bei einer Personengruppe der Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweiche. Dies müsse in einem inhaltlich transparenten Verfahren belegt werden.

Vor diesem Hintergrund werden seit 2015 Leistungskürzungen im AsylbLG regelmäßig damit begründet, dass Asylsuchende verschiedene Bedarfspositionen, die sonst in Sozialleistungen enthalten sind, nicht benötigen würden. Beispielsweise wurde schon bei der Neuregelung im Jahr 2015 die Bedarfsposition für Hausrat aus der Berechnung der AsylbLG-Leistungen vollständig herausgenommen, weil die dort enthaltenen Bedarfe laut Gesetzesbegründung gesondert erbracht werden. In den Folgejahren kam es zu weiteren Kürzungen, die wiederum mit einem angenommenen geringeren Bedarf von Asylsuchenden begründet wurden. So wurden etwa im Jahr 2019 die Leistungen für alleinstehende Personen, die in Sammelunterkünften leben, um rund 10% gekürzt – mit der Begründung, dass Personen in Sammelunterkünften eine "Schicksalsgemeinschaft" bildeten und daher ähnlich wie Eheleute durch gemeinsames Wirtschaften Einspareffekte erzielen könnten. 

Nicht zuletzt aufgrund dieser Änderungen haben Sozialgerichte immer wieder Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des AsylbLG in seiner derzeitigen Form geäußert. Zur Zeit sind beim Bundesverfassungsgericht zwei Verfahren anhängig, in denen Fragen im Zusammenhang mit dem AsylbLG zu klären sind:

  • Verfahren 1 BvL 3/21 auf Vorlage des SG Düsseldorf, Beschluss vom 13.4.2021 – S 17 AY 21/20 – asyl.net: M29541 (zur Höhe der Leistungen für Alleinstehende in Sammelunterkünften)
  • Verfahren 1 BvL 5/21 auf Vorlage des LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26.1.2021 - L 8 AY 21/19 - asyl.net: M29967 (zur unterbliebenen Anpassung der Leistungen in den Jahren 2017 bis 2019 sowie zur Nachvollziehbarkeit der Berechnung von Minderbedarfen)

Die aktuelle, mehr als 230 Seiten umfassende Analyse von PRO ASYL und Berliner Flüchtlingsrat wurde in ihrer ursprünglichen Fassung als Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht geschrieben. Im Detail werden Historie und Zielsetzung des Gesetzes sowie die Methodik zur Ermittlung der Regelsätze bzw. der verringerten Leistungssätze des AsylbLG untersucht. Alle "Bedarfsposten", aus denen sich die Regelsätze zusammensetzen, werden einzeln analysiert und insbesondere die Begründungen für die Kürzungen von Positionen werden auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüft. Speziell zur Lebenssituation von Asylsuchenden in Sammelunterkünften wurde eine bundesweite Umfrage durchgeführt, deren Ergebnisse in die Analyse mit einfließen.

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich bei der "Bedarfsermittlung" im Rahmen des AsylbLG gravierende Mängel zeigen. Gegenüber den Regelsätzen des SGB (Sozialgesetzbücher II und XII) seien die Leistungen von Asylsuchenden von der Gesetzgebung in den meisten Fällen ohne nachvollziehbare Begründung reduziert worden. In anderen Fällen hielten die Begründungen für die Kürzungen einem Abgleich mit der Lebensrealität der Betroffenen nicht stand. In einigen Bereichen, in denen das Gesetz von Minderbedarfen Asylsuchender ausgehe, ließen sich sogar Mehrbedarfe für diese Gruppen begründen. So gehe die Gesetzgebung beispielsweise davon aus, dass in allen Sammelunterkünften Zugang zu einem Festnetztelefon und zu WLAN existiere und setzt daher die Bedarfe von Asylsuchenden für Telekommunikation niedriger an. In der Praxis sei der Zugang zu diesen Kommunikationsmitteln aber nicht immer gegeben, dadurch entstünden für viele Bewohner*innen von Sammelunterkünften sogar deutlich erhöhte Kosten, da sie für die Nutzung des Internets sowie für Internettelefonie auf mobile Datenpakete angewiesen seien. "Gruppenspezifische Minderbedarfe" von Asylsuchenden könnten insgesamt also nicht belegt werden. Demgegenüber könne gezeigt werden, dass die Gesetzgebung auch bei den Neuregelungen des AsylbLG seit 2015 vor allem von haushaltspolitischen und migrationspolitischen Zielsetzungen geleitet worden sei – obwohl derartige Erwägungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Bedarfsermittlung existenzsichernder Leistungen gerade nicht ausschlaggebend sein dürfen.


Hinweis

Aufgrund vielfältiger Gesetzesänderungen können einzelne Arbeitshilfen in Teilen nicht mehr aktuell sein. Wir bemühen uns, so schnell wie möglich eine aktualisierte Version zu verlinken. Bis dahin bitten wir Sie, auf das Datum der Publikation zu achten und zu überprüfen, ob die Informationen noch korrekt sind.

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