BVerwG hebt Urteile auf, in denen Wehrdienstentziehern aus Syrien Flüchtlingsschutz gewährt worden war

Die Frage, welcher Schutzstatus Wehrdienstverweigerern aus Syrien zuzusprechen ist, ist schon seit Jahren umstritten. Häufig gewährten Gerichte nur den subsidiären Schutz statt des Flüchtlingsschutzes. Das OVG Berlin-Brandenburg hatte allerdings aufgrund einer Entscheidung des EuGH seine Rechtsprechung geändert und Flüchtlingsschutz gewährt. Die entsprechenden Urteile des OVG wurden nun wiederum vom BVerwG aufgehoben.

Von den Verwaltungs- und sodann den Oberverwaltungsgerichten wurde die Frage, ob Wehrdienstentziehern aus Syrien die Flüchtlingsanerkennung oder lediglich der subsidiäre Schutz zuzusprechen ist, unterschiedlich beantwortet (Siehe asyl.net, Meldungen vom 25.8.2016 und vom 24.2.2017). Weitgehend unumstritten ist dabei, dass syrische Wehrdienstentzieher im Fall einer Rückkehr nach Syrien derzeit von schwerwiegenden Verfolgungshandlungen bedroht sind (z.B. drohende Folter, Misshandlungen). Allerdings ist umstritten, ob diese Verfolgungshandlungen auch an einen Verfolgungsgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention "anknüpfen" – eine solche Anknüpfung der Verfolgungshandlung an einen Verfolgungsgrund ist Voraussetzung dafür, dass Flüchtlingsschutz gewährt werden kann.

Vor allem infrage kommt in der vorliegenden Fallkonstellation, dass die drohende Verfolgungshandlung an die politische Überzeugung der betroffenen Person anknüpft (also aus politischen Gründen erfolgt). Dies wäre dann der Fall, wenn der syrische Staat den Personen, die sich dem Militärdienst durch Flucht ins Ausland entziehen, eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und aus diesem Grund diese Personen verfolgt. Wird hingegen davon ausgegangen, dass der syrische Staat mit der Verfolgung nicht die (unterstellte) politische Gesinnung der Betroffenen treffen will, sondern "nur" die Wehrdienstentziehung bestrafen will, fehlt es an der notwendigen Verknüpfung von Verfolgungshandlung mit einem maßgeblichen Verfolgungsgrund. Nach dieser Auffassung ist wegen drohender unmenschlicher und erniedrigender Behandlung zwar immer noch Schutz in Deutschland zu gewähren, hier aber nur der subsidiäre Schutz. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vertrat in den letzten Jahren diese Linie und sprach zahlreichen syrischen Schutzsuchenden den subsidiären Schutz zu. Für die Betroffenen bedeutet dies, dass sie insbesondere hinsichtlich der Aufenthaltsverfestigung sowie beim Familiennachzug rechtlich schlechter gestellt sind als anerkannte Flüchtlinge. Aus diesem Grund zogen viele Betroffene vor Gericht, um die Anerkennung als Flüchtlinge zu erreichen (sogenannte Upgrade-Klagen). Die Mehrzahl der Gerichte lehnte entsprechende Klagen aber ab und schloss sich der Auffassung des BAMF an, wonach die Verfolgung der Wehrdienstenziehung in Syrien nicht an den Grund der politischen Überzeugung anknüpfe.

Auch eine Grundsatzentscheidung des EuGH von 2020 änderte hieran nichts. Der EuGH stellte fest, dass bei der Wehrdienstverweigerung im Rahmen eines völkerrechtswidrigen Konflikts eine „starke Vermutung“ dafür spreche, dass die Verfolgung im Zusammenhang mit den für die Flüchtlingseigenschaft vorausgesetzten Verfolgungsgründen stehe (asyl.net: M29016). Aufgrund des Urteils wurde vielfach davon ausgegangen, dass nun der Flüchtlingsschutz zuzuerkennen sei. Viele Betroffene stellten daraufhin Asylfolgeanträge. In der Folgezeit ergangene BAMF- und Gerichtsentscheidungen blieben jedoch grundsätzlich bei der Feststellung, dass die Flüchtlingseigenschaft nicht vorliege, wenn nicht weitere Verfolgungsgründe hinzukämen (ausführlich hierzu siehe Beitrag von Anya Lean und Johanna Mantel im Asylmagazin 12/2021). Als einziges Obergericht änderte das OVG Berlin-Brandenburg seine Rechtsprechung unter Bezug auf das EuGH-Urteil (asyl.net: M29482).

Aufgrund von Revisionen des BAMF gegen die Entscheidungen des OVG Berlin-Brandenburg hatte nunmehr das BVerwG über diese Fragen zu entscheiden. Das BVerwG entschied in 25 Verfahren. Bisher liegt lediglich die Pressemitteilung vor (asyl.net: M31239). Aus dieser ergibt sich, dass das BVerwG sich zwar auf die durch den EuGH aufgestellte Vermutung des Vorliegens einer Verknüpfung bezieht, jedoch die vom EuGH weiterhin geforderte Prüfung der Plausibilität des Verfolgungsgrundes und der Verknüpfung in den Vordergrund stellt. Laut BVerwG ergebe sich aus der vom EuGH aufgestellten Vermutung keine Absenkung des „Regelbeweismaßes der vollen richterlichen Überzeugungsgewissheit nach § 108 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung“. Dabei ist der Pressemitteilung zu entnehmen, dass das BVerwG die Prüfung durch das OVG für unzureichend hält. Denn der Prüfung „genügt es nicht, wenn die Voraussetzungen des Flüchtlingsschutzes auf einer diffusen Tatsachengrundlage und unter Unterschreitung des Regelbeweismaßes der vollen richterlichen Überzeugungsgewissheit bejaht werden.“

Rechtsprechung:

  • EuGH, Urteil vom 19.11.2020 - C-238/19 EZ gg. Deutschland (Asylmagazin 12/2020, S. 424 ff.) - asyl.net: M29016
  • OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.01.2021 - 3 B 109.18 (Asylmagazin 5/2021, S. 168 ff.) - asyl.net: M29482
  • BVerwG, Urteil vom 19.01.2023 - 1 C 1.22 u.a. (Pressemitteilung) - asyl.net: M31239

Beitrag:

  • EuGH zu syrischen Wehrdienstverweigerern – Grundsatzurteil ohne Wirkung? Rechtsprechungsübersicht zu den Auswirkungen des Urteils »EZ gg. Deutschland«, Beitrag von Anya Lean und Johanna Mantel im Asylmagazin 12/2021.

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