BlueSky

UN-Sozialausschuss fordert existenzsichernde Unterstützung für einen Geflüchteten nach Leistungsausschluss

Aufgrund einer Individualbeschwerde hat der Sozialausschuss der Vereinten Nationen deutsche Behörden in einem Eilbeschluss aufgefordert, einem Geflüchteten existenzsichernde Leistungen zu gewähren. Dem Betroffenen war zuvor aufgrund einer Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) jegliche Unterstützung – einschließlich Unterbringung und Lebensmittel – entzogen worden.

Hintergrund: Der Leistungsausschluss in § 1 Abs. 4 AsylbLG

Am 31. Oktober 2024 trat im Zuge des sogenannten "Sicherheitspakets" eine Änderung von § 1 Abs. 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes in Kraft. Demnach werden Personen, deren Asylanträge im Dublin-Verfahren als "unzulässig" abgelehnt wurden, von sämtlicher Unterstützung ausgeschlossen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Abschiebung angeordnet hat und die Ausreise für rechtlich und tatsächlich möglich hält. Nur noch für einen Zeitraum von maximal zwei Wochen sollen in diesen Fällen "Überbrückungsleistungen" gewährt werden. Anschließend ist eine Unterstützung der Betroffenen laut Gesetz nur noch möglich, wenn dies "im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage" geboten ist. Mit der Neuregelung wurde eine ähnliche Bestimmung, die zuvor nur für sogenannte "Anerkannten-Fälle" gegolten hatte (also für Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, weil sie bereits in einem anderen europäischen Staat einen Schutzstatus erhalten haben) erheblich ausgeweitet und verschärft.

Bereits im Gesetzgebungsverfahren war darauf hingewiesen worden, dass die neue gesetzliche Norm eine Reihe von rechtlichen Auslegungs- und Anwendungsproblemen mit sich bringen werde – schon deshalb, weil die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise im "Dublin-Verfahren" in aller Regel nicht vorgesehen ist und deshalb unklar sei, ob die gesetzliche Voraussetzung einer rechtlich und tatsächlich möglichen Ausreise überhaupt erfüllbar sei. Vor allem aber wurde häufig kritisiert, dass die Norm zur Verelendung der Betroffenen führen werde und daher nicht mit dem Grundgesetz sowie dem Europa- und internationalem Recht vereinbar sei (siehe die Meldung bei asyl.net vom 4.11.2024 und darin den Link zu den Stellungnahmen der Sachverständigen im Gesetzgebungsverfahren).

Nach Mitteilungen aus der Praxis wird die Regelung von den Behörden in Deutschland sehr unterschiedlich umgesetzt – so werde häufig unter Rückgriff auf die Härtefallklausel zumindest ein Mindestmaß an Unterstützung gewährt. Andere Behörden haben die Norm hingegen so umgesetzt, dass sie Betroffenen sämtliche Leistungen entzogen und sie auf die Straße gesetzt haben. Dies war allerdings von den meisten Sozialgerichten wegen erheblicher europa- und verfassungsrechtlicher Bedenken für unzulässig erklärt worden, sodass in den entsprechenden Fällen die Behörden zur Leistungsgewährung verpflichtet wurden (siehe hierzu den Überblick der GGUA Flüchtlingshilfe sowie die Rechtsprechungskategorie "AsylblG" bei asyl.net). Im Unterschied zu diesen Gerichten urteilten allerdings das Sozialgericht Gotha und das Landessozialgericht Thüringen, dass der Leistungsausschluss rechtmäßig sei (zur Kritik an der Entscheidung des Landessozialgerichts Thüringen siehe den Beitrag von Volker Gerloff im Asylmagazin 9/2025, S. 295–301). Das Bundesverfassungsgericht nahm eine daraufhin erhobene Beschwerde nicht zur Entscheidung an, sondern verwies auf die Möglichkeit, einstweiligen Rechtsschutz gegen die geplante Überstellung im Dublin-Verfahren beim zuständigen Verwaltungsgericht zu beantragen. Nachdem ein entsprechender Antrag vom VG Meiningen zurückgewiesen worden war, waren die auf nationaler Ebene zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ausgeschöpft, sodass für den Betroffenen der Weg frei war, sich an den UN-Sozialausschuss zu wenden.  

Die Beschwerde beim UN-Sozialausschuss

Laut einer Mitteilung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) wurde in diesem Fall erstmals eine Individualbeschwerde aus Deutschland beim UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Committee on Economic, Social and Cultural Rights, CESCR, kurz: UN-Sozialausschuss) eingelegt. An dieses Gremium können sich Menschen wenden, die eine Verletzung von Rechten geltend machen wollen, welche im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR, auch: WSK-Pakt) garantiert werden. Zu diesen Rechten gehört der Zugang zu einem Sozialsystem, welches eine grundlegende Versorgung u.a. mit Unterkunft, Lebensmitteln und sanitären Einrichtungen umfassen muss. Der Pakt hat in Deutschland den Rang eines Bundesgesetzes und ist daher auch bei der Auslegung deutscher Gesetze zu beachten. Wenn deutsche Gerichte bei einer drohenden Verletzung dieser Rechte aber keine Abhilfe schaffen, kann seit Juli 2023 Beschwerde beim UN-Sozialausschuss erhoben werden.

Kurz nach dem Eingang der Beschwerde erließ der UN-Sozialausschuss nun eine "interim measure " (einstweilige Maßnahme), mit der Deutschland aufgefordert wird, dem Beschwerdeführer für die Dauer des Verfahrens Unterstützung in Form von "basic housing, healthcare and access to minimum subsistence support" zu gewähren ("elementare Unterkunft, Gesundheitsversorgung und Zugang zu einen Mindestmaß an lebensnotwendiger Unterstützung", zitiert nach der unten verlinkten Mitteilung der GFF, die Entscheidung des Sozialausschusses liegt nicht im Volltext vor).

Der UN-Sozialausschuss bestätigt somit, dass eine Verletzung der sozialen Menschenrechte durch die aktuelle deutsche Rechtslage und die Praxis der zuständigen Behörde in Thüringen im Raum steht, weshalb er ein sofortiges Einschreiten bis zur Entscheidung über die Beschwerde als notwendig erachtete.


Hinweis

Aufgrund vielfältiger Gesetzesänderungen können einzelne Arbeitshilfen in Teilen nicht mehr aktuell sein. Wir bemühen uns, so schnell wie möglich eine aktualisierte Version zu verlinken. Bis dahin bitten wir Sie, auf das Datum der Publikation zu achten und zu überprüfen, ob die Informationen noch korrekt sind.

basiswissen.asyl.net

Wissen kompakt und mehrsprachige Materialien:

Thema Familiennachzug