VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 01.08.2001 - 3 K 226/94.A - asyl.net: M0917
https://www.asyl.net/rsdb/M0917
Leitsatz:

Extreme Gefahr für Rückkehrer wegen katastrophaler Lebensbedingungen in der Demokratischen Republik Kongo.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Extreme Gefahrenlage, Versorgungslage, Arbeitslosigkeit, Medizinische Versorgung, Infektionsrisiko
Normen: AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

Es besteht ein Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG in Bezug auf die Demokratische Republik Kongo wegen Vorliegens einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben.

In Auswertung der ihr vorliegenden Erkenntnismittel geht die Kammer davon aus, dass jeder abgeschobene Staatsangehörige der Demokratischen Republik Kongo in die extreme Gefahr gerät, mangels jeglicher ausreichender Lebensgrundlage dem baldigen Hungertod oder lebensbedrohender, nicht zu heilender oder lindernder Erkrankung ausgeliefert zu werden.

Diese Gefahr besteht so typischer Weise, dass denkbare wenige Ausnahmen insbesondere mit Rücksicht auf den Umstand, dass verlässliche Tatsachen über die Entwicklung der Lebensumstände im Einzelfall nach der Rückkehr schlechterdings nicht zu ermitteln sind, zu vernachlässigen sind.

Das Auswärtige Amt beschreibt in seinem Lagebericht vom 5. Mai 2001 die Allgemeine Politische Lage in der Demokratischen Republik Kongo wie folgt (Abdruck auszugsweise): ...

Die so beschriebene Entwicklung wird vom Auswärtigen Amt in seiner Auskunft vom 7. März 2001 an das VG Hannover zutreffend mit sich ständig verschlechternden Lebensverhältnissen und wirtschaftlichem Niedergang bezeichnet.

Zu Beginn des Kabila-Regimes 1997 sprach das Auswärtige Amt von einer katastrophalen wirtschaftlichen Situation für die Einwohner der großen Städte. Das Institut für Afrika-Kunde, Auskunft vom 14. Juli 1997 an das VG Sigmaringen, stellte die wirtschaftliche, soziale und infrastrukturelle Zerrüttung der Demokratischen Republik Kongo fest, die so weit reichend sei, dass ein halbwegs angemessenes Versorgungsniveau erst nach Jahren erwartet werden könne. Es sah vor dem Hintergrund der allgemeinen Zerrüttung der Volkswirtschaft die Möglichkeiten, aus dem Ausland kommend wirtschaftlich und sozial Fuß zu fassen, für alle Kongolesen als schlecht an (vgl. Auskunft vom 23. Juni 1997 an das VG Frankfurt/Main).

Die Zerrüttung ist nicht behoben worden, sondern dramatisch fortgeschritten. Bereits im Mai 1999 erteilte das Institut für Afrika-Kunde dem VG München (Auskunft vom 18. Mai 1999) die Auskunft:

Aufgrund der schlechten militärischen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hängt das Überleben der Menschen in der Demokratischen Republik Kongo mehr denn je von Improvisationsvermögen, Durchhaltewillen und Durchsetzungskraft individuell handelnder Menschen ab. Kleinbäuerliche Selbstversorgungswirtschaft und ohne jede soziale Sicherheit praktizierte Erwerbstätigkeit im sog. informellen Sektor der Städte bilden die Hauptgrundlage für das Überleben. Diese Konstellation, ein durchaus Darwinscher Existenzkampf, macht die Schwachen der Gesellschaft - arme Bevölkerungsschichten, Frauen, Kinder (vor allem Säuglinge und Kleinkinder), Alte, Behinderte und Kranke - nahezu automatisch zu Verlierern.

Seither hat sich die Lage weiter zugespitzt. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Selbst wenn es gelingen sollte, den seit 1998 andauernden Krieg im Kongo zu beenden, was ernstlich zu bezweifeln ist, weil die auslösenden Konflikte ungelöst sind und die zahlreichen Kriegsparteien von höchst unterschiedlichen Eigeninteressen geleitet werden (Die Tageszeitung vom 15. Mai 2001), ist eine Konsolidierung des in jeder Hinsicht kollabierten Staates kurzfristig nicht zu erwarten.

Nach der Überzeugung der Kammer ist es überwiegend wahrscheinlich, dass Staatsangehörige der Demokratischen Republik Kongo, die nach erfolglosem Asylverfahren in Deutschland nach Kinshasa - andere Abschiebeziele fehlen, (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 5. Mai 2001) - zurückkehren, dort binnen kurzer Zeit in Folge fehlender Ernährung den Tod oder schwerste Gesundheitsschäden finden. Sie sind ohne Vermögen und ohne Chance, Einkommen zu erzielen. Der Arbeitsmarkt ist geprägt durch eine Arbeitslosigkeit von 90 %.

Die bereits durch das Fehlen der Grundversorgung gegebene extreme Gefahrenlage wird zusätzlich verschärft durch die hohe Gefahr, lebensbedrohlich oder mit schwersten Leiden verbunden zu erkranken und absehbar keine medizinische Hilfe zu finden. Die Krankheitsgefahr wird zunächst durch die Mangelernährung indiziert. Zusätzlich besteht nach der Rückkehr (oder bei in Deutschland geborenen Kindern nach der Einreise) infolge fehlender oder verlorener Immunisierung ein hohes Risiko, an Infektionskrankheiten, vor allem Malaria, zu erkranken, die unbehandelt zum Tode oder Siechtum führen (Junghanns, Gutachten zu Gesundheitsrisiken nach Rückkehr in die Demokratische Republik Kongo vom 9. Februar 2001).

Eine Behandlung derartiger Krankheiten für Rückkehrer aus Deutschland ist im Hinblick auf ihre bestehende und voraussichtlich anhaltende Mittellosigkeit auszuschließen.