BVerwG

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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 24.07.2001 - 1 B 123.01 (1 PKH 18 - asyl.net: M0961
https://www.asyl.net/rsdb/M0961
Leitsatz:

Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen fehlender Offenlegung tatsächlicher Grundlagen.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Revision, Nichtzulassungsbeschwerde, Rechtliches Gehör, Drittstaatenregelung, Einreise, Luftweg, Glaubwürdigkeit, Iran, Datum, Umrechnungskalender, Allgemeinkundige Tatsachen, Amtsermittlungsgrundsatz, Richterliche Überzeugungsbildung, Erkenntnismittel, Verfahrensgegenstand
Normen: GG Art. 102 Abs. 1; VwGO § 108 Abs. 2
Auszüge:

Das Berufungsgericht hat den Asylanspruch der Klägerin wegen fehlenden Nachweises der Einreise auf dem Luftweg und damit ohne Kontakt zu einem sicheren Drittstaat (Art. 16 a Abs. 2 S. 1 GG) verneint. Diese Entscheidung hat es maßgeblich darauf gestützt, dass das von der Klägerin angegebene Einreisedatum - (...) des persischen Kalenders - nicht zutreffen könne. Dieses Datum sei nämlich nach dem vom Senat seit Jahren benutzten Umnrechnungskalender vom Bundesamt richtig mit (...) (Montag) übertragen worden: Das anlässlich der Anfrage des Verwaltungsgerichts vom Büro der Iran-Air angegebene und vom Verwaltungsgericht übernommene Umrechnungsdatum (...) (Sonntag) sei dagegen unzutreffend. Da die Maschinen der Iran-Air jeweils nur Donnerstag und Sonntag in Hamburg landeten, sei das Vorbringen der Klägerin zu ihrer Einreise nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen in Einklang zu bringen und deshalb unschlüssig.

Das Berufungsgericht hat damit seine Überzeugungsbildung wesentlich auf tatsächliche Grundlagen, nämlich einen Umrechnungskalender, gestützt, die es zuvor nicht offen gelegt hat. Auch mit den beiden Anhörungsmitteilungen des Berufungsgerichts zu § 130 a VwGO ist die Klägerin lediglich aufgefordert worden, weitere Angaben zu ihrer Einreise zu machen und Nachweise hierfür vorzulegen, nicht aber über die Grundlagen für die vom Senat beabsichtigte, von der des Verwaltungsgerichts abweichenden Umrechnung des Einreisedatums unterrichtet worden. Dies wäre aber zur Wahrung des rechtlichen Gehörs der Klägerin erforderlich gewesen. Ein entsprechender Hinweis durfte auch nicht etwa wegen Allgemeinkundigkeit unterbleiben (zur Verwertung allgemeinkundiger Tatsachen vgl. Beschluss vom 11. Februar 1982 - BVerwG 9 B 429.81 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 36). Denn die hier streitigen Grundlagen der Umrechnung des persischen Kalenders können schon angesichts der auch im vorliegenden Fall zu Tage getretenen Differenzen nicht als allgemeinkundig angesehen werden. Als gerichtskundige oder auf besonderer Sachkunde beruhende Tatsachengrundlage hätte der Umrechnungskalender aber in jedem Fall zur Wahrung des rechtlichen Gehörs in das Verfahren eingeführt werden müssen, um verwertet werden zu können (vgl. allgemein zu dieser Verpflichtung Beschluss vom 26. November 1979 - BVerwG 7 c 44.79 - Buchholz 310 § 108 BWGO Nr. 111). Das Berufungsgericht wird daher die Frage der richtigen Umrechung erneut zu prüfen haben, erforderlichenfalls - etwa wegen der Problematik von Schaltjahren - sogar unter Heranziehung eines Sachverständigen.

Die Berufungsentscheidung beruht auch auf diesem Verfahrensmangel (§ 138 Nr. 3 VwGO). Insbesondere kann der Senat den Entscheidungsgründen nicht entnehmen, dass das Berufungsgericht sein Ergebnis unabhängig von dem Widerspruch hinsichtlich des Einreisedatums auf selbständig tragende andere Gründe gestützt hat. Denn die von ihm angeführten weiteren Gesichtspunkte - wie etwa das Fehlen von Reiseunterlagen, die angebliche Unkenntnis des bei der Einreise benutzen (falschen) Namens und der verbleibende Widerspruch bei der genauen Ankunftszeit - haben ersichtlich nur in Verbindung mit dem als entscheidend bezeichneten Widerspruch hinsichtlich des Einreisedatums zu der vom Gericht gewonnen Überzeugung geführt.