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OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 19.03.2007 - 9 LB 373/06 - asyl.net: M10061
https://www.asyl.net/rsdb/M10061
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung bei Verfolgung wegen der Religion ist nicht auf das "religiöse Existenzminimum" beschränkt; Maßnahmen gegen die private oder öffentliche Religionsausübung stellen jedenfalls dann Verfolgungshandlungen dar, wenn sie zugleich auch mit Gefahr für Leib und Leben oder einer Ausgrenzung verbunden sind (hier: Jeside aus dem Irak).

 

Schlagwörter: Irak, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Jesiden, Gruppenverfolgung, Verfolgungsdichte, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, nichtstaatliche Akteure, Islamisten, Anerkennungsrichtlinie, Religion, Religionsfreiheit, religiös motivierte Verfolgung, religiöses Existenzminimum, Verfolgungshandlung, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Situation bei Rückkehr, Versorgungslage, Sicherheitslage, medizinische Versorgung, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, ernsthafter Schaden, bewaffneter Konflikt, Erlasslage, Abschiebungsstopp
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b; AufenthG § 60 Abs. 7; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung bei Verfolgung wegen der Religion ist nicht auf das "religiöse Existenzminimum" beschränkt; Maßnahmen gegen die private oder öffentliche Religionsausübung stellen jedenfalls dann Verfolgungshandlungen dar, wenn sie zugleich auch mit Gefahr für Leib und Leben oder einer Ausgrenzung verbunden sind (hier: Jeside aus dem Irak).

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Der Widerruf der Feststellung, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG) vorliegen, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Nach den Beschlüssen des erkennenden Senats vom 16. Februar 2006 (9 LB 27/03 u. a.) ist spätestens den Lageberichten des Auswärtigen Amtes vom 10. Juni 2005 und 24. November 2005 mit völliger Eindeutigkeit zu entnehmen, dass sich die politische Lage im Irak durch die am 20. März 2003 begonnene und am 1. Mai 2003 mit der Erklärung des US-Präsidenten Bush für beendet erklärte Militäraktion grundlegend verändert hat.

Eine Verfolgung aus im Vergleich zur früheren Bedrohung andersartigen Gründen droht dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak nicht. Der Kläger muss - entgegen seiner mit der Berufung in erster Linie verfolgten Behauptung - nicht befürchten, schon allein wegen seiner Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Yeziden im Irak verfolgt zu werden. Es fehlt an hinreichend konkreten Anhaltspunkten für eine - allgemeine oder regionale, aktuelle oder unmittelbar bevorstehende - Verfolgung aller Yeziden im Irak wegen ihrer Religionszugehörigkeit.

Für eine vom irakischen Staat ausgehende (unmittelbare oder mittelbare) Verfolgung religiöser Minderheiten, zu denen auch die Yeziden gehören, bestehen keine Anhaltspunkte.

Für die Annahme einer mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung fehlt es schon an der dafür erforderlichen hinreichenden Schutzfähigkeit des irakischen Staates als Anknüpfungspunkt für eine Zurechnung.

Dem Kläger droht bei einer Rückkehr in den Irak auch nicht eine quasi-staatliche Verfolgung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (z. B. Beschl. v. 10.8.2000 - 2 BvR 260 u. 1353/98 - NVwZ 2000, 1165). Gruppierungen, die - wie vor allem die Koalitionsstreitkräfte - als "staatsähnliche" Verfolger in Betracht kommen, üben zwar mannigfaltig Repressionen aus. Es fehlt aber jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass sich ihre mit der Anwendung von Gewalt verbundenen Handlungen auch gegen Yeziden und deren Religionsausübung richten.

Gegenwärtig lässt sich auch nicht feststellen, dass Yeziden im Irak als Gruppe wegen ihrer Religion von nichtstaatlichen Akteuren im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4c AufenthG verfolgt werden. Gemäß dieser Vorschrift kann eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG - unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht - (auch) von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 18.7.2006 - 1 C 15.05 - a.a.O.) erfasst die Vorschrift alle nichtstaatlichen Akteure ohne weitere Einschränkung, namentlich auch Einzelpersonen, sofern von ihnen Verfolgungshandlungen im Sinne des Satzes 1 ausgehen. Die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.7.1994 - 9 C 158.94 - u. v. 18.7.2006 - 1 C 15.05 - sowie Beschl. v. 5.1.2007 - 1 B 59.06 - jeweils a.a.O.) zur unmittelbaren und mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze sind prinzipiell auch auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar (BVerwG, Urt. v. 18.7.2006 - 1 C 15/05 u. v. 1.2.2007 - 1 C 24.06 - jeweils a.a.O.).

Bei der Beurteilung, ob Yeziden einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt sind, ist nach der dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zunächst die Zahl der im Irak lebenden Yeziden zu ermitteln. Über ihre genaue Anzahl gibt es - auch angesichts der neuerlichen Fluchtbewegungen - keine zuverlässigen Angaben. Auf der Grundlage dieser Erkenntnismittel, die eine genauere Festlegung nicht ermöglichen, erscheint es dem erkennenden Senat angemessen, bei der Bestimmung der Verfolgungsdichte einen in etwa mittleren Wert zugrunde zu legen und daher davon auszugehen, dass zurzeit noch etwa 400.000 Yeziden im Irak leben.

Diese Zahl ist nunmehr zu messen an der Menge der asylerheblichen Übergriffe gegen Yeziden. Selbst nach gründlicher Auswertung der vorhandenen Erkenntnismittel fällt auf, dass für den Zeitraum ab Mai 2005 verlässliche und detaillierte Zahlen zu Übergriffen gegen Yeziden, insbesondere zu Morden, Morddrohungen und Anschlägen, nur in geringem Umfang zur Verfügung stehen.

Trotz dieser Schwierigkeiten ist der Senat davon überzeugt, dass bereits die vorhandenen Erkenntnismittel eine ausreichende Entscheidungsgrundlage bieten und die Einholung weiterer Gutachten ins Gewicht fallende zusätzliche Erkenntnisse nicht vermitteln würde.

Ausgehend von dieser allgemein für Yeziden bestehenden Gefährdungslage ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung eine Gruppenverfolgung der Yeziden bisher überwiegend verneint worden. Der VGH Baden-Württemberg geht in seinem Urteil vom 16. November 2006 (A 2 S 1150/04, zitiert nach juris) auf der Grundlage der ihm verfügbaren Erkenntnismittel von landesweit etwa 100 Gewalttaten gegenüber Yeziden aus. Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes stellt in seinem Beschluss vom 5. März 2007 (3 A 12/07, zitiert nach juris) landesweit 137 asylerhebliche Übergriffe gegen Yeziden fest, wobei es sich ebenfalls auf die Auskünfte von amnesty international, des UNHCR und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe stützt. Das Gericht hält ebenfalls die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte nicht für gegeben, weil sich bezogen auf die 475.000 im Irak lebenden Yeziden eine Anschlagsdichte von lediglich 1:3467 ergebe, was einen sicheren Abstand zur kritischen Verfolgungsdichte beinhalte. Das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht (Urt. v. 14.12.2006 - 1 LB 67/05 -) nimmt an, bei den irakischen Yeziden sei nur ein Anteil von weit unter 1 Promille von Gewalttaten betroffen; werde zusätzlich berücksichtigt, dass den Erkenntnisquellen weder ein fester Zusammenhang zwischen den Gewalttaten und der yezidischen Religionszugehörigkeit noch ein Anteil von Fällen, in denen ein solcher Zusammenhang vorliege, zu entnehmen sei, verringere sich die rechnerisch darstellbare Betroffenheit weiter; auf dieser Grundlage könne nicht festgestellt werden, dass yezidische Gläubige oder Personen, die als solche erschienen, im Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr von Übergriffen staatsähnlicher oder nichtstaatlicher Akteure ausgesetzt seien.

Auch der erkennende Senat vermag nach den Maßstäben der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Gruppenverfolgung der Yeziden im Irak nicht festzustellen. Soweit Leib und Leben der Yeziden betroffen sind, geht der Senat für die Zeit ab 2004 von höchstens 200 Referenzfällen aus.

Bei der gebotenen Prüfung, ob Gewalttaten gegenüber Yeziden auf deren Glaubenszugehörigkeit zurückzuführen und daher für die Festlegung der Verfolgungsdichte relevant sind, ist zu berücksichtigen, dass sich - auch wegen des Fehlens einer funktionstüchtigen Polizei und Justiz - häufig nicht abschließend ermitteln lässt, inwieweit die Taten politisch-religiös motiviert oder aber nur Ausdruck der allgemein instabilen Sicherheitslage sind und daher jeden Iraker hätten treffen können. So sind beispielsweise Entführungen landesweit üblich und sowohl Ausdruck von Gewaltkriminalität und Sozialneid als auch Mittel, um in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu wecken. Ferner sind sie Ausdruck einer immer stärker werdenden, Muslime gleichermaßen betreffenden Islamisierung des Alltags (Auskunft des Europäischen Zentrums für kurdische Studien vom 3.7.2005, Lagebericht Irak vom 10.6.2005).

Aufgrund der vorstehenden Überlegungen müsste bei der Festlegung der genauen Verfolgungsdichte - wenn es entscheidungserheblich wäre - die Zahl der festgestellten Gewalttaten gegenüber Yeziden noch um die Anzahl der Taten gemindert werden, die nicht politisch-religiös motiviert waren. Von einer solchen (tatsächlich kaum durchführbaren) Reduzierung sieht der Senat ab, weil selbst alle aufgelisteten Gewalttaten gegenüber irakischen Yeziden im Verhältnis zur Gesamtzahl der im Irak lebenden Yeziden letztlich nur einen so geringen prozentualen Anteil ausmachen, dass nicht jeder Angehörige dieser Gruppe aktuell und konkret mit einer Gefährdung seiner Person rechnen muss. Die höchstens 200 Referenzfälle stehen zur Gesamtzahl aller Yeziden im Irak (etwa 400.000) im Verhältnis von ungefähr 1 zu 2000.

Nach alledem kann nicht angenommen werden, Yeziden im Irak seien hinsichtlich ihres Lebens, ihrer körperlichen Unversehrtheit und ihrer Freiheit einer allgemeinen, nicht an individuelle Verhaltensweisen, sondern an die Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft anknüpfenden (Gruppen-) Verfolgungsgefahr durch staatliche, staatsähnliche oder nichtstaatliche Akteure ausgesetzt.

Der Senat hat auch nicht feststellen können, dass irakischen Yeziden im Hinblick auf unzumutbar eingeschränkte Möglichkeiten zur Religionsausübung schon allein wegen ihrer Gruppenzugehörigkeit Verfolgung droht und daher Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu gewähren ist:

Religiöse oder religiös motivierte Verfolgung ist allgemeiner Ansicht nach asylrelevante Verfolgung, wenn sie nach Art und Schwere geeignet ist, die Menschenwürde zu verletzen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. - BVerfGE 54, 341, 357; Urt. v. 1.7.1987 - 2 BvR 478, 962/86 - BVerfGE 76, 143, 158). Art. 16a GG und mithin § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG schützen daher nach dieser Rechtsprechung jedenfalls vor Verfolgung im privaten Bereich und damit zumindest das "religiöse Existenzminimum". Dieses ist u.a. berührt, wenn dem Betroffenen seine religiöse Identität geraubt wird, indem ihm etwa unter Androhung von Strafen für Leib, Leben oder persönliche Freiheit eine Verleugnung oder gar Preisgabe tragender Inhalte seiner Glaubensüberzeugung zugemutet oder er daran gehindert wird, seinen eigenen Glauben, so wie er ihn versteht, im privaten Bereich und zusammen mit anderen Gläubigen zu bekennen. Steht nicht die Gruppe der Gläubigen im Blickfeld der Verfolger, ist zudem zu fordern, dass die Verfolgung am Herkunftsort die "religiös personale" Identität des Betroffenen betrifft (vgl. BVerfG, Urt. v. 1.7.1987, a.a.O., 159 f.).

Religiös motivierte Verfolgung ist ferner anzunehmen bei Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 b der Richtlinie 2004/83/EG des Rats vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (sog. Qualifikationsrichtlinie). Nach Art. 38 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie ist der Mitgliedsstaat verpflichtet, sein innerstaatliches Recht und seine Verwaltungspraxis mit der Richtlinie spätestens bis zum 10. Oktober 2006 in Übereinstimmung zu bringen. Seit Ablauf dieser Umsetzungsfrist - und damit auch im vorliegenden Berufungsverfahren - ist von der unmittelbaren Geltung der Richtlinie auszugehen (vgl. z.B. Urt. d. erk. Sen. v. 16.6.2006 - 9 LB 104/06 - AuAS 2006, 259 = InfAuslR 2006, 421; Beschl. v. 19.2.2007 - 9 LA 441/05 -).

Zwecks Erreichung einer einheitlichen Asylpolitik dehnt Art. 10 Abs. 1 b der Qualifikationsrichtlinie den Schutz vor Verfolgung wegen Religionszugehörigkeit auf solche Maßnahmen aus, die sich nicht auf den privaten Bereich beschränken, sondern an die öffentliche Glaubensbetätigung anknüpfen (ebenso VGH Baden-Württemberg, a.a.O. sowie VG Karlsruhe, Urt. v. 19.10.2006 - A 6 K 10335/04 - Asylmagazin 11/2006 S. 23 f.). Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, bei der Prüfung der Verfolgungsgründe zu berücksichtigen, dass der Begriff der Religion die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, ebenso umfasst wie sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Über den auf der nationalen Ebene der Bundesrepublik Deutschland lediglich gewährten Schutz des sog. religiösen Existenzminimums deutlich hinausgehend, schützt Art. 10 Abs. 1 Satz 1 b der Qualifikationsrichtlinie die religiöse Identität des Einzelnen nunmehr umfassend. Auch das im öffentlichen Bereich - sei es durch die Vornahme bestimmter religiöser Riten, sei es durch die Kundgabe einer bloßen religiösen Meinungsäußerung - erfolgte Bekenntnis zu einem bestimmten Glauben steht unter dem Schutz vor politischer Verfolgung. Der Betroffene kann im Gegensatz zur früheren Rechtslage in Deutschland nicht mehr darauf verwiesen werden, seinen Glauben bzw. die nach seinem Glauben wesentlichsten Riten allein im Rahmen seiner Privatsphäre zu verrichten. Unter den Begriff der Ausübung religiöser Riten im öffentlichen Bereich fällt insbesondere die ungehinderte Teilnahme an öffentlichen bzw. öffentlich zugänglichen Gottesdiensten in Gotteshäusern, aber auch unter freiem Himmel, wie sie etwa für die christliche Religion allgemein üblich und vorgesehen ist. Die Qualifikationsrichtlinie lehnt sich insoweit an Art. 9 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - an, wonach die jedermann zustehende Religionsfreiheit insbesondere die Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion sowie die Freiheit, seine Religion einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht sowie durch die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben, umfasst. Eine Beschränkung des Schutzes auf die Religionsausübung im privaten oder nachbarschaftlichen Rahmen ist auch danach nicht vorgesehen (wie hier VG Karlsruhe, a.a.O.).

Allerdings ist nicht jede Diskriminierung in dem so verstandenen religiösen Schutzbereich zugleich auch Verfolgung wegen der Religion. Sie muss vielmehr das Maß überschreiten, das lediglich zu einer durch die Diskriminierung eintretenden Bevorzugung anderer führt, und sich damit als ernsthafter Eingriff in die Religionsfreiheit darstellen (dazu Marx, AsylVfG, 6. Aufl., § 1 Rdnr. 212 m.w.N.). Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die auf die - häuslich-private oder öffentliche - Religionsausübung gerichtete Maßnahme zugleich mit Gefahr für Leib und Leben verbunden ist oder zu einer Ausgrenzung führt (vgl. dazu Marx, a.a.O Rdnr. 208 f. m.w.N.).

Bei Anwendung dieser Maßstäbe kann nicht angenommen werden, Yeziden im Irak würden in ihrer Religionsausübung unzumutbar beeinträchtigt. Dass das religiöse Existenzminimum im privaten Bereich durch radikale Muslime nachhaltig beeinträchtigt sei, behauptet der Kläger selbst nicht. Die von ihm geltend gemachten Störungen bei der öffentlichen Religionsausübung liegen nicht vor. Die religiösen Rituale der Yeziden dürfen nicht vor den Augen von - aus deren Sicht - Ungläubigen praktiziert werden. Yeziden üben ihre Religion daher nicht in einer öffentlichen, auch Andersgläubigen zugänglichen Weise, insbesondere nicht in äußeren religiösen Handlungen, sondern im Privatbereich aus.

Demnach entbehrt die Annahme des Klägers, dass die Yeziden im Irak wegen drohender Übergriffe von radikalen Muslimen gezwungen seien, ihre Religion nicht mehr in der Öffentlichkeit auszuüben, schon von der Art der üblichen Religionsausübung her weitgehend jeglicher Grundlage.

Dem Kläger droht bei einer Rückkehr in den Irak auch nicht eine individuelle Verfolgung wegen Zugehörigkeit zur Gruppe der Yeziden. Das OVG Mecklenburg-Vorpommern hat in zwei Beschlüssen vom 1. Februar 2006 (1 L 121/02 -, AuAS 2006, 151, und 1 L 321/02) eine solche Verfolgung beim Vorliegen besonderer Gefährdungsmerkmale bejaht und damit im Ergebnis den Auskünften des Europäischen Zentrums für kurdische Studien Rechnung getragen, wonach für Yeziden, die sich im Großraum Mosul oder Bagdad aufhalten, eine erhöhte Gefährdung besteht, wenn sie Intellektuelle mit öffentlich sichtbarem Erfolg bzw. Einfluss oder yezidische Würdenträger sind, wenn sie regelmäßig yezidische Einrichtungen besuchen, im Alkoholgeschäft oder im Gaststätten- und Hotelgewerbe oder in der Vergnügungsindustrie tätig sind, in Schönheits- oder Frisiersalons arbeiten oder - etwa als Polizisten oder Taxifahrer - in häufigen Kontakt zur moslemischen Bevölkerung treten, wenn sie aufgrund typischer Kleidungsstücke oder anderer Merkmale als Yeziden auffallen oder wenn sie als Frauen unverschleiert in die Öffentlichkeit gehen. Ob bei diesen Personengruppen letztlich die Gefahr einer Verfolgung besteht, lässt sich nach Auffassung des erkennenden Senats nicht allgemein und grundsätzlich beantworten, sondern ist eine Frage der konkreten Umstände des Einzelfalls.

Dem Kläger drohen bei einer Rückkehr in den Irak auch nicht landesweit Gefahren, die ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.

Zwar lässt sich nicht bestreiten, dass die Sicherheitslage in Teilen des Iraks nach wie vor instabil ist und sich seit September 2005 weiter verschlechtert hat (Auskunft des UNHCR vom 18.12.2006).

Auszugehen ist ferner davon, dass auch die Nahrungs-, Trinkwasser- und Stromversorgung im Irak - ebenso wie die medizinische Versorgung - trotz internationaler Hilfsgelder infolge der miserablen Sicherheitslage und wiederholter Anschläge auf die Ölinfrastruktur des Landes schlecht bleibt. Dass sich aus dieser Versorgungslage gerade beim Kläger konkrete Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ergeben, lässt sich nicht feststellen, zumal der Kläger seine Versorgung innerhalb der yezidischen Gemeinschaft wahrscheinlich noch besser sicherstellen kann als es viele andere Gruppen von Irakern in deren Lebensbereichen tun können.

Sind das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Klägers bei einer Rückkehr in den Irak somit nicht konkret gefährdet, so folgt daraus zugleich, dass es auch an einer ernsthaften Bedrohung im Sinne des Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie fehlt.

Der Bejahung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG steht ferner entgegen, dass es sich bei der allgemein unsicheren Lage, den terroristischen Anschlägen und den wirtschaftlich schlechten Lebensumständen um Gefahren allgemeiner Art handelt, die nicht zum Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen können, weil ihnen die gesamte Bevölkerung des Landes oder die Bevölkerungsgruppe, der der zurückkehrende Ausländer angehört, (wenn auch in dem dargelegten unterschiedlichen Ausmaß) allgemein ausgesetzt ist. Solche Gefahren werden nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausschließlich bei politischen Leitentscheidungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt und sind daher regelmäßig nicht Prüfungsgegenstand von Verfahren der vorliegenden Art.

Bei verfassungskonformer Auslegung und Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG ist allerdings im Einzelfall ausnahmsweise Schutz nach dessen Satz 1 zu gewähren, wenn die obersten Landesbehörden trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, aufgrund derer ein Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden würde, nicht Gebrauch gemacht haben von ihrer Entscheidungsermächtigung aus § 60 a Abs. 1 AufenthG. einen generellen Abschiebungsstopp zu verfügen (vgl. zur früheren, insoweit identischen Rechtslage BVerwG, Urt. v. 8.12.1998, a.a.O.), und ein anderweitiger Schutz, der dem aufgrund eines Erlasses nach § 60 a Abs. 1 AufenthG gewährten Schutz entspricht, nicht besteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.7.2001 - 1 C 2/01 - BVerwGE 114, 379 ff.). Auch auf der Grundlage dieser Rechtsprechung kann zugunsten des Klägers ein Abschiebungshindernis nicht festgestellt werden. Ein Durchbrechen der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil eine Abschiebung des Klägers in den Irak wegen des weiterhin geltenden und von den Ausländerbehörden in Niedersachsen auch angewendeten Erlasses des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 19. Juli 2004 (Aktenzeichen 45.11-12235/12-6-5) zurzeit ausgeschlossen ist und dem Kläger daher aufgrund der niedersächsischen Erlasslage ein der gesetzlichen Duldung nach den §§ 60 Abs. 7 Satz 2, 60 a AufenthG entsprechender und damit gleichwertiger Abschiebungsschutz zuteil wird.