Keine allgemeine extreme Gefahranlage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG für alle nach Afghanistan zurückkehrenden Personen, aber für Frauen, Minderjährige, alte und kranke Menschen sowie im Einzelfall für Kommunisten und Taliban; jedenfalls in Kabul kein bewaffneter Konflikt i.S.d. Art. 15 Bst. c der Qualifikationsrichtlinie.
Keine allgemeine extreme Gefahranlage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG für alle nach Afghanistan zurückkehrenden Personen, aber für Frauen, Minderjährige, alte und kranke Menschen sowie im Einzelfall für Kommunisten und Taliban; jedenfalls in Kabul kein bewaffneter Konflikt i.S.d. Art. 15 Bst. c der Qualifikationsrichtlinie.
(Leitsatz der Redaktion)
Ein Abschiebungsverbot iSd § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Auch insoweit sind wiederum die Regelungen der Qualifikationsrichtlinie zu berücksichtigen. Seit dem 10.10.2006 gilt deshalb auch für den subsidiären Schutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG die Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 RL. Der Sache nach ist damit der Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit bei Vorverfolgung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (vgl. z.B. Urteil vom 25.9.1984, BVerwGE 70, 169 ff.) auch bei § 60 Abs. 7 AufenthG anzuwenden (vgl. auch Hinweise des BMI, Kap. IV Ziff. 2.2.).
Der Kläger hat jedoch eine entsprechende Vorverfolgung nicht glaubhaft gemacht.
Ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG besteht auch nicht aufgrund der schlechten Wirtschafts- und Versorgungssituation in Afghanistan.
Aus dieser Auskunftslage schließt das Gericht, dass wegen der übereinstimmend geschilderten katastrophalen Versorgungslage, insbesondere im Hinblick auf Unterkunft, Lebensmittel und medizinische Versorgung, in Verbindung mit der prekären Sicherheitslage in Kabul für nicht freiwillig zurückkehrende Afghanen je nach den Umständen des Einzelfalles ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen kann. Allerdings teilt das Gericht nicht die Auffassung von Dr. Danesch, wonach ohne Ausnahme alle Rückkehrer - also auch alleinstehende (gesunde) Männer - unmittelbar in ihrer Existenz gefährdet seien und mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine extreme Gefahrenlage geraten würden, wenn sie in den Großraum Kabul abgeschoben werden. Auch vermag das Gericht nicht die Einschätzung des VG Karlsruhe (Urteil vom 09.1 1.2005, AZ.: A 10 K 12302/03 - DVBl. 2006, 391) zu teilen, wonach allgemein langjährig in Europa ansässige, nicht freiwillig zurückkehrende afghanische Flüchtlinge, die nicht auf den Rückhalt von Verwandten oder Bekannten/Freunden in Afghanistan und/oder dortigen erreichbaren Grundbesitz zurückgreifen können und/oder über für ein Leben am Existenzminimum ausreichende Ersparnisse verfügen und die deshalb außerstande sind, aus eigener Kraft für ihre Existenz zu sorgen, im Hinblick auf die Versorgungslage in Afghanistan einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt seien. Dies kann in dieser Pauschalität angesichts der von Rechts wegen hohen Anforderungen an die Annahme einer extremen Gefahrenlage nicht angenommen werden. Selbst wenn abgeschobene Rückkehrer keine Unterstützung durch internationale Hilfsorganisationen bekommen sollten, erscheint es doch immerhin möglich, dass männliche Rückkehrer - etwa im Baugewerbe - eine Erwerbsmöglichkeit finden. Diese Möglichkeit räumt auch der Gutachter Dr. Danesch ein, allerdings mit dem Hinweis, dass das zu erzielende Einkommen als Bauarbeiter in Höhe von täglich etwa 100 Afghani (d. h. ca. 2 Dollar) kaum ausreichen dürfte, eine Familie zu ernähren. Jedenfalls alleinstehende Rückkehrer müssten insoweit aber lediglich für sich selbst sorgen. Das Gericht teilt - insoweit - die Einschätzung des OVG NRW (Urteil vom 05.04.2006 - 20 A 5161/04.A - zitiert nach Juris), dass die Auskunftslage nicht den Schluss trägt, alle Rückkehrer aus Deutschland gerieten in Afghanistan in eine völlig aussichtslose Lage, ohne dass es noch entscheidend darauf ankommt, ob die Aussagen des sachverständigen Zeugen Davids vor dem 12. Senat des OVG Berlin-Brandenburg vom 27.03.2006 noch aktuell sind (zur Kritik an diesem Zeugen vgl.: Pro Asyl, Presseerklärung vom 11. Juli 2006; ferner Danesch, Auskunft an VGH Kassel vom 04.12.2006).
In einer Zusammenschau der Auskunftslage kommt das Gericht vielmehr insgesamt zu der Einschätzung, dass (auch ohne die ausdrückliche Feststellung einer Gewährleistung der Kontinuität der Finanzausstattung für rückkehrende - auch abgeschobene - Flüchtlinge) für Rückkehrer aus Deutschland in prognostischer Sicht eine dringende und ausweglose (extreme) Gefährdungssituation nicht angenommen werden kann, solange nicht besondere Zuspitzungen im Einzelfall die Gefährdung steigern.
Wohl aber ist nach Auffassung des Gerichts eine extreme Gefahrenlage für Frauen, Minderjährige, alte und kranke Menschen und sonstige unfreiwillige Rückkehrer gegeben, die aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles angesichts der katastrophalen Versorgungsverhältnisse im Großraum Kabul nicht in der Lage sein werden, sich das für ein Überleben unabdingbar Notwendige zu beschaffen. Dies gilt zunächst besonders für allein stehende zurückkehrende Frauen, aber gilt auch für gebrechliche und kranke und sonstige Personen, die aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht in der Lage sind, sich den ohnehin schwierigen Zugang zu Arbeitsmöglichkeiten in irgendwelcher Art zu erkämpfen. Das Gericht teilt insofern die von der UNHCR-Vertretung in Deutschland in der Mitteilung vom 31. August 2005 vertretene Auffassung. Danach zählen insbesondere alte und kranke Menschen sowie Menschen mit körperlichen und psychischen Behinderungen, allein stehende Frauen mit oder ohne minderjährige Kinder sowie Minderjährige zu den besonders schutzbedürftigen Personen. Auch für diese besteht - je nach Lage des Einzelfalles - ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn sie nicht auf anderweitigen Schutz, etwa aufgrund der Hilfsbereitschaft von noch in Afghanistan lebenden Familienmitgliedern zurückgreifen können. Schließlich kann - ausnahmsweise - auch eine Konstellation eine extreme Gefahrenlage und damit ein Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG begründen, die ihrer Art nach schon andere (regelmäßig vorrangige) Schutzgründe - Asyl oder § 60 Abs. 1 - 3 AufenthG - tragen könnten, dort aber aus welchen Gründen außer mangelnder Glaubhaftigkeit auch immer nicht zum Erfolg geführt haben. Beispielsweise kann dies bei Angehörigen früherer Regime - etwa der Kommunisten oder der Taliban - gegeben sein (vgl. dazu OVG NRW a.a.O.; Deutsches Orientinstitut vom 23.09.2004: Auswärtiges Amt. Lagebericht Afghanistan vom 29.11.2005 und 13.07.2006; Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 03.02.2006).
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG iVm Art. 15 c RL oder aus Art. 15 c RL unmittelbar.
Denn jedenfalls für den Großraum Kabul, in dem der Kläger vor seiner Ausreise gelebt hat und wohin er abgeschoben werden würde, kann nicht vom Vorliegen eines bewaffneten Konfliktes im Sinne des Art. 15 c RL ausgegangen werden. Der völkerrechtliche Begriff "bewaffneter Konflikt" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen ab einer bestimmten Größenordnung in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Für innerstaatliche bewaffnete Konflikte ist ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit erforderlich. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Örtlich und zeitlich begrenzte Bandenkriege fallen regelmäßig nicht darunter (Hinweise des BMI Kap. IV, Ziffer 2.5: vgl. auch Hess. VGH aaO.). Ein Konflikt dieser Größenordnung mag für den Osten, Südosten und Süden von Afghanistan angenommen werden, wo die Anti-Terror-Koalition die radikal-islamistischen-Kräfte bekämpft (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13.07.2006) und gerade in letzter Zeit der Kampf gegen die Taliban wieder erhebliche Ausmaße annimmt. Für Kabul gilt dies jedoch nicht.