Länderübergreifende Umverteilung bei religiöser Eheschließung und Schwangerschaft
Länderübergreifende Umverteilung bei religiöser Eheschließung und Schwangerschaft
(Leitsatz der Redaktion)
Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet.
1. Die Antragstellerin hat ein Bedürfnis nach Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht. Dies ergibt sich ohne Weiteres bereits aus dem fortgeschrittenen Stadium ihrer Schwangerschaft (ca. 34. Schwangerschaftswoche) und dem kurz bevorstehenden Entbindungstermin. Ein weiteres Zuwarten kann ihr in Anbetracht dessen, dass die Entscheidung in der Hauptsache voraussichtlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, nach den Umständen des Falles nicht zugemutet werden. Nach der vorgenommenen Tenorierung bedeutet die länderübergreifende Umverteilung der Antragstellerin auch nicht eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache, da die getroffene Regelung nur vorläufigen Charakter hat, die nach einem etwaigen Unterliegen in der Hauptsache rückgängig gemacht werden könnte. Selbst wenn die getroffene Regelung als Vorwegnahme der Hauptsache gewertet würde, wäre diese vorliegend ausnahmsweise zulässig. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gilt das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme einer Hauptsache dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h., wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für die Antragstellerin unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., RdNr. 14 ff. zu § 123). Auf Grund der nachstehenden Darlegungen besteht ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg der erhobenen Klage auf Umverteilung. Der gebotene effektive Rechtsschutz erfordert daher die getroffene Entscheidung, um ansonsten zu erwartende unzumutbare Nachteile für die Antragstellerin zu vermeiden.
2. Die Antragstellerin, die ihre Umverteilung als Asylbewerberin von ... in Bayern nach ... in Baden-Württemberg begehrt, hat auch einen Anordnungsanspruch im tenorierten Umfang glaubhaft gemacht.
Im Rahmen der so genannten länderübergreifenden Verteilung von Asylbewerbern ist nach § 51 Abs. 1 AsylVfG unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen die Umverteilung eines Asylbewerbers dann möglich bzw. geboten, wenn damit die Haushaltsgemeinschaft von Ehegatten oder Eltern mit ihren minderjährigen ledigen Kindern hergestellt werden kann oder sonstigen humanitären Gründen von vergleichbarem Gewicht Rechnung zu tragen ist. Umstritten ist, ob bei Vorliegen einer der in § 51 Abs. 1 AsylVfG genannten Gründe auf Grund der gesetzlichen Formulierung ein Rechtsanspruch auf länderübergreifende Verteilung besteht (so z.B. Marx, AsylVfG, 6. Aufl. 2005, RdNr. 5 zu § 51), oder ob die Entscheidung über die länderübergreifende Verteilung einer Ermessensentscheidung der zuständigen Behörde darstellt (so die weit überwiegende Meinung, z.B. Renner, AuslR, RdNr. 3 zu § 51 AsylVfG; Hailbronner, AuslR, RdNr. 16 zu § 51 AsylVfG und seit 2005 auch Jobs in GK-AsylVfG, RdNr. 5 zu § 51 sowie die weit überwiegende Rechtsprechung). Der Auffassung von Jobs (a.a.O.), dass aus der Formulierung "Rechnung zu tragen" folge, dass der Behörde noch ein gewisser Entscheidungsspielraum verbleibe, ob und wie sie den Interessen des Asylantragstellers Rechnung trage, ist zu folgen. Es handelt sich um eine intendierte Ermessensentscheidung, in der die Belange des Asylantragstellers nicht nur eingestellt werden müssen, sondern es im Regelfall bei Vorliegen der Voraussetzungen vorgegeben ist, dass den Belangen durch eine länderübergreifende Verteilung Rechnung zu tragen ist. Davon kann nur in besonders begründeten Ausnahmefällen, z.B. wenn besonders gewichtige öffentliche Interessen der Umverteilung entgegenstehen, abgewichen werden.
Ein Fall der Zusammenführung von Eltern und minderjährigen Kindern oder von Ehegatten in einer Haushaltsgemeinschaft liegt bei der Antragstellerin offensichtlich nicht vor, da sie mit ihrem Lebensgefährten nicht in zivilrechtlich gültiger Ehe verheiratet ist. Der Antragstellerin stehen aber humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht zur Seite, denen die Antragsgegnerin nicht durch eine länderübergreifende Verteilung Rechnung getragen hat. Sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht gehen über diejenigen persönlichen Bindungen außerhalb der Kernfamilie hinaus und müssen ihrem Gewicht nach mit den für die Kernfamilie geltenden Gründen vergleichbar sein. Solche Gründe liegen hier vor: Die Antragstellerin, nach eigenen Angaben niederen Bildungsstandes und Analphabetin, befindet sich in einem fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft (ca. 34 Schwangerschaftswoche). Sie ist mit ihrem Lebensgefährten, einem türkischen Staatsangehörigen, der im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist, nach religiösem Recht (so genannte Imam-Ehe) "verheiratet" und versucht seit Anfang September 2006 in andauernden Bemühungen, die zivile Eheschließung mit ihrem Lebensgefährten zu vollziehen. Die Antragstellerin hat weiter im gerichtlichen Eilverfahren unwidersprochen vorgetragen, dass ihre Versuche, eine Erlaubnis zum vorübergehenden Verlassen des räumlichen Geltungsbereichs der Aufenthaltsgestattung zu erreichen, erfolglos geblieben sind. Sie hat weiterhin geltend gemacht, auf Grund der fortgeschrittenen Schwangerschaft dringend auf den Schutz und die Hilfe ihres "Ehemannes" und der "Schwiegermutter" angewiesen zu sein; dies werde sich in den kommenden letzten Wochen vor der Entbindung noch verstärken. Ihr Lebenspartner sei in Vollzeit erwerbstätig und müsse sie ständig in ... besuchen, um sie zu beruhigen, was unzumutbar sei. Die durch die räumliche Trennung bedingte Situation sei mittlerweile unerträglich geworden. Diesem Vortrag ist die Antragsgegnerin nicht substantiiert entgegengetreten. Sie hat lediglich ausgeführt, dass die Probleme bei der Abwägung im Bescheid gewürdigt worden wären, wenn nachvollziehbar wäre, dass die Antragstellerin zum Kindvater zuziehen wolle. Jedoch lägen bislang weder eine Vaterschaftsanerkennung noch der Nachweis einer rechtsgültigen Ehe vor. Demgegenüber ist jedoch zu bemerken, dass die Antragstellerin bereits im Verwaltungsverfahren vorgetragen hat, dass die Nachholung der zivilen Eheschließung bislang daran gescheitert sei, dass es sich bei ihr um eine staatenlose Kurdin aus Syrien handle, die weder einen syrischen Reisepass noch einen syrischen Personalausweis besitze und, wie die dem Schriftsatz vom 20. März 2007 beigefügte ärztliche Bescheinigung belege, bereits im 6. Monat schwanger sei. Wenngleich auch keine Vaterschaftsanerkennung durch den Lebensgefährten der Antragstellerin vorgelegt wurde, hegt das Gericht angesichts des Vortrags der Antragstellerin keinen vernünftigen Zweifel daran, dass der Lebensgefährte der Antragstellerin der Vater des zu erwartenden Kindes ist, dessen Hilfe die Antragstellerin im Endstadium ihrer Schwangerschaft dringend benötigt. Die unter diesen Umständen von der Antragstellerin angestrebte räumliche Nähe zu ihrem Lebenspartner weist auf Grund der besonderen Umstände eine Intensität auf, die den mit Verfassungsrang ausgestatteten Instituten der Ehe und Familie vergleichbar ist. Zwischen der Antragstellerin und ihrem Lebenspartner bzw. ihrer "Schwiegermutter" ist eine einer familiären Beistandsgemeinschaft vergleichbare Gemeinschaft angestrebt, in der die Antragstellerin persönliche Lebenshilfe erwarten kann, die von anderen Personen gegenwärtig nicht hinreichend gewährt werden kann.