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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - asyl.net: M10387
https://www.asyl.net/rsdb/M10387
Leitsatz:

Der Schutz des Privatlebens gem. Art. 8 EMRK ist auch dann bei einer Ausweisung zu berücksichtigen, wenn keine familiären Bindungen im Bundesgebiet bestehen; das Stufenverhältnis der Ausweisungstatbestände genügt nicht, dem Schutz des Privatlebens Genüge zu tun, sondern es ist in jedem Fall die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung erforderlich.

 

Schlagwörter: D (A), Verfassungsbeschwerde, Rechtsweggarantie, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Sofortvollzug, Suspensiveffekt, Ausweisung, Anhörungsrüge, Privatleben, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, EGMR, Verhältnismäßigkeit, Integration, Aufenthaltsdauer, Straftaten, Regelausweisung, atypischer Ausnahmefall, besonderer Ausweisungsschutz, schwerwiegende Gründe, Drogendelikte
Normen: BVerfGG § 93a Abs. 2; BVerfGG § 93c Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4; VwGO § 152a; GG Art. 103 Abs. 1; GG Art. 6; EMRK Art. 8; AufenthG 3 56 Abs. 1
Auszüge:

Der Schutz des Privatlebens gem. Art. 8 EMRK ist auch dann bei einer Ausweisung zu berücksichtigen, wenn keine familiären Bindungen im Bundesgebiet bestehen; das Stufenverhältnis der Ausweisungstatbestände genügt nicht, dem Schutz des Privatlebens Genüge zu tun, sondern es ist in jedem Fall die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung erforderlich.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Die angegriffene Entscheidung verletzt Art. 19 Abs. 4 GG.

1. Der Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen.

a) Der Beschwerdeführer hat deutlich gemacht, dass er bereits durch die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes in verfassungsmäßigen Rechten verletzt ist (vgl. zu diesem Erfordernis BVerfGE 35, 382 <397 f.>; 53, 30 <53 f.>; 59, 63 <83 f.>; 76, 1 <40>). Er greift die in der angegriffenen Entscheidung vorgenommene Interessenabwägung und die Bestätigung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit und damit eine spezifische Besonderheit des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes an. Gerade in der sofortigen Vollziehbarkeit der Ausweisungsverfügung liegen die gerügten grundrechtsrelevanten Nachteile. Der Beschwerdeführer war daher nicht gehalten, vor der Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts zunächst den Rechtsweg in der Hauptsache zu durchlaufen.

3. Der angegriffene Beschluss verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG. Die Entscheidung verkennt die grundrechtliche Bedeutung des Rechtsschutzbegehrens des Beschwerdeführers und die daran anknüpfenden Erfordernisse für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.

b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Sie ist ausschließlich darauf gestützt, dass sich nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage die Ausweisungsverfügung als voraussichtlich rechtmäßig darstelle. Auf Tatsachen gestützte Feststellungen des Inhalts, es bestehe die begründete Besorgnis, die vom Beschwerdeführer ausgehende, mit der Ausweisung bekämpfte Gefahr werde sich bereits vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren, enthält die angegriffene Entscheidung nicht, vielmehr lässt sie ausdrücklich offen, ob die diesbezüglichen Erwägungen der Ausländerbehörde zutreffen. Der Verwaltungsgerichtshof durfte indes von Verfassungs wegen nicht darauf verzichten, das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der angefochtenen Ausweisungsverfügung zu untersuchen und gegebenenfalls mit den Aufschubinteressen des Beschwerdeführers abzuwägen, weil das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes jedenfalls im vorliegenden Fall - wie das Verwaltungsgericht der Sache nach zutreffend dargelegt hat - keine geeignete Grundlage für eine hinreichend zuverlässige Prognose der Erfolgsaussichten der Klage bietet. Die Streitsache ist von hoher Komplexität und gebietet eine vertiefte Befassung mit Fragen des Verfassungsrechts und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss. Diese - bereits im System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes und den unterschiedlichen Funktionen des vorläufigen Rechtsschutzes und des Hauptsacheverfahrens abstrakt angelegte - Einschätzung findet ihre konkrete Bestätigung darin, dass der Verwaltungsgerichtshof für die Beurteilung der Ausweisung wesentliche rechtliche Aspekte übergangen hat.

aa) Keiner vertieften Erörterung bedarf nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand allerdings die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verletzung des Art. 6 GG, der ausländerrechtliche Schutzwirkungen nicht schon aufgrund formal-rechtlicher familiärer Bindungen entfaltet. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (vgl. BVerfGE 76, 1 <42 f.>). Schutzwürdige familiäre Bindungen hat der Beschwerdeführer nicht dargelegt.

bb) Der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten ist hier aber die Frage, ob die Ausweisungsverfügung vor dem Recht auf Achtung des Privatlebens, das Art. 8 Abs. 1 EMRK neben dem Recht auf Achtung des Familienlebens schützt, Bestand haben kann. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit diesem Schutzgehalt des Art. 8 EMRK nicht gesondert und mit der Vorschrift insgesamt nur unter dem Aspekt einer notwendigen Befristung der Ausweisung und damit verkürzt befasst.

(1) Das Recht auf Achtung des Privatlebens umfasst die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind (vgl. EGMR, Urteil der Großen Kammer vom 9. Oktober 2003 - 48321/99 -, Fall Slivenko [Rn. 96], EuGRZ 2006, S. 560 <561>) und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (vgl. Thym, a.a.O., S. 544; Discher, GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff., Januar 2007, Rn. 841 ff. m.w.N.; Hoppe, ZAR 2006, S. 125 <130>). Ein Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK muss gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK eine in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahme darstellen, die durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und mit Blick auf das verfolgte legitime Ziel auch im engeren Sinne verhältnismäßig ist (vgl. EGMR, Urteil vom 18. Februar 1991 - 31/1989/191/291 -, Fall Moustaquim, EuGRZ 1993, S. 552 &lt554>; BVerwGE 106, 13 <21> m.w.N.).

(2) Der Verwaltungsgerichtshof hat die Ausweisung des Beschwerdeführers insoweit ausschließlich unter dem Aspekt näher gewürdigt, ob sie wegen des Fehlens einer Befristung ihrer Wirkungen unverhältnismäßig sein könnte, und die Frage im Hinblick darauf verneint, dass die vom Beschwerdeführer angeführten Entscheidungen des Gerichtshofs Fallgestaltungen beträfen, mit denen der Fall des Beschwerdeführers nicht vergleichbar sei. Dieser Ansatz verfehlt wesentliche Gesichtspunkte.

Die Befristung der Ausweisungswirkungen ist nur eines von mehreren Kriterien im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK (vgl. EGMR, Urteil vom 22. März 2007 - 1638/03 -, Fall Maslov, Rn. 44). Vorrangig ist im Hinblick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob die Ausweisung überhaupt - unabhängig von einer Befristung - dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entspricht. Beeinträchtigungen des Rechts auf Privatleben können anders zu gewichten sein als solche des Rechts auf Familienleben. So gibt der vorliegende Fall Anlass zur Prüfung, ob der im Bundesgebiet geborene und.aufgewachsene Beschwerdeführer ungeachtet des Umstandes, dass er in Deutschland keine durch Art. 8 EMRK geschützten familiären Bindungen hat, durch den Zwang, das Bundesgebiet nicht nur kurzzeitig zu verlassen, die für sein Privatleben konstitutiven Beziehungen unwiederbringlich verliert. Sollte sich erweisen, dass das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung des Privatlebens durch die Ausweisung in derartiger Weise schwerwiegend beeinträchtigt wird, müssen die für die Ausweisung sprechenden Gründe überragendes Gewicht haben. Die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung könnte in diesem Fall nicht durch eine Befristung ihrer Wirkungen erreicht werden, zumal das Aufenthaltsrecht nach dem Wegfall der Bindungen an das Bundesgebiet eine Wiedereinreise grundsätzlich nicht vorsieht (vgl. § 37 AufenthG; Discher, GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff., Januar 2007, Rn. 836; Marx, InfAuslR 2003, S. 374 <382 f.>) und der Wegfall des Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG daher ohne praktische Wirkung bleibt.

Vor diesem Hintergrund erweist sich die bisherige Behandlung der Vereinbarkeit der Ausweisung mit Art. 8 EMRK als unzureichend.

(3) Der Klärung im Hauptsacheverfahren bedarf vor allem, ob die der Ausweisungsverfügung zu Grunde liegende und vom Verwaltungsgerichtshof ohne weiteres gebilligte Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften mit Blick auf die Verpflichtung aller an der Entscheidungsfindung beteiligten staatlichen Organe, die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Entscheidungen des Gerichtshofs im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 111, 307 <315, 323>), dem Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Privatlebens aus Art. 8 EMRK hinreichend Rechnung tragen.

Dem langjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet kommt ausweisungsrechtlich zunächst insoweit Bedeutung zu, als der Beschwerdeführer wegen des ihm gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zukommenden besonderen Ausweisungsschutzes nicht gemäß § 53 AufenthG zwingend auszuweisen ist, sondern die Ist-Ausweisung nach § 56 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 AufenthG zu einer Regelausweisung zurückgestuft ist. Bei der daran anschließenden Frage, ob ein Regelfall im Sinne des § 54 AufenthG vorliegt, ist zu prüfen, ob eine Regel-Ausweisung einen verhältnismäßigen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK darstellt; wenn dies zu verneinen ist, liegt ein Ausnahmefall im Sinne des § 54 AufenthG vor und eine Ausweisung muss unterbleiben (vgl. Discher, GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff., Januar 2007, Rn. 886; Hailbronner, Ausländerrecht, § 54 AufenthG, 43. Aktualisierung Oktober 2005, Rn. 55 f.; s. auch Oldenburg, InfAuslR 1999, S. 174 <177>). Die konkrete Prüfung durch die Ausländerbehörde leidet an Mängeln, mit denen sich der Verwaltungsgerichtshof nicht hinreichend auseinandersetzt.

(a) Dem Umstand, dass der Beschwerdeführer seit seiner Geburt in Deutschland lebt, wird in der Ausweisungsverfügung keine Bedeutung für die Beurteilung der Frage, ob ein Regelfall vorliegt, zuerkannt, da dieser Umstand schon über die Zurückstufung der Ist- zur Regel-Ausweisung berücksichtigt worden sei.

Damit wird zunächst übergangen, dass der durch § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vermittelte besondere Ausweisungsschutz allein an den Besitz einer Niederlassungserlaubnis und einen mindestens fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet anknüpft, hingegen nicht voraussetzt, dass der betroffene Ausländer, wie hier der Beschwerdeführer, seit seiner Geburt in Deutschland lebt. Dieser Umstand wird also von § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG tatbestandlich nicht erfasst und kann bereits deshalb nicht als für die Frage des Vorliegens eines atypischen Falls "verbraucht" angesehen werden.

Auch unabhängig von diesem Gesichtspunkt verbietet sich eine Praxis der Anwendung des § 56 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit § 54 AufenthG, die diejenigen tatsächlichen Umstände, die die Gewährung besonderen Ausweisungsschutzes begründen, nicht mehr dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechend individuell würdigt, sondern schematisierend ausblendet. Denn die durch den besonderen Ausweisungsschutz bewirkte Zurückstufung der zwingenden zu einer Regel-Ausweisung führt zur selben Rechtsfolge - einer zwingend zu verfügenden Ausweisung -, sofern kein vom Regelfall abweichender (Ausnahme)Fall angenommen wird (vgl. Discher, GK-AufenthG, § 54, Januar 2007, Rn. 47). Der durch § 56 Abs. 1 AufenthG gewährte Ausweisungsschutz steht einer Ausweisung nicht entgegen. Die bloße Zurückstufung der Ist- zu einer Regel-Ausweisung garantiert daher nicht ohne weiteres die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung. Die differenzierten Regelungen des Aufenthaltsgesetzes, das die ausweisungsrechtlichen Strukturen des Ausländergesetzes übernommen hat, tragen zwar der Europäischen Menschenrechtskonvention grundsätzlich in ausreichender Weise Rechnung (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. März 2004 - 2 BvR 1570/03 -, BVerfGK 3, 4 <12>; BVerwGE 106, 13 <21 f.>; 107, 58 <73> [jeweils zum AuslG]). Diese Feststellung entbindet jedoch nicht von der Verpflichtung, im Rahmen der Prüfung, ob ein Regelfall nach § 54 AufenthG vorliegt, die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung im konkreten Fall und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs namentlich zu Art. 8 Abs. 2 EMRK zu untersuchen, sondern setzt diese Verpflichtung voraus (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. März 2004, a.a.O.; Thym, a.a.O., S. 551). Im Hauptsacheverfahren werden daher die persönlichen Verhältnisse des betroffenen Ausländers sowie das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung in ihrer Gesamtheit zu betrachten und entsprechend konkret zu gewichten und abzuwägen sein (vgl. Discher, GK-AufenthG, § 54, Januar 2007, Rn. 112, m.w.N.).

(b) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Konturierung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 8 Abs. 2 EMRK lässt es auch nicht zu, das Gewicht des für eine Ausweisung sprechenden öffentlichen Interesses allein anhand der Typisierung der den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten in den Ausweisungsvorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu bestimmen (vgl. EGMR, Urteil der Großen Kammer vom 9. Oktober 200.3 - 48321/99 -, Fall Slivenko, a.a.O., Rn. 121; Thym, a.a.O., S. 5.52 m.w.N.). Dementsprechend lässt sich bei der Beurteilung der Frage, ob ein Ausnahmefall im Sinne von § 54 AufenthG vorliegt, ein überragendes Gewicht der der Ausweisungsverfügung zu Grunde liegenden Straftaten nicht allein unter Verweis auf § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, demzufolge schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in Fällen des § 53 AufenthG vorliegen, begründen. Selbst wenn die die Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG bestimmenden objektiven Tatumstände der Straftaten gegeben sind, entbindet dies Behörden und Gerichte nicht von der Pflicht, die Straftaten unter Berücksichtigung sämtlicher - auch subjektiver - Tatumstände und der sich aus den Taten ergebenden Gefahren für Dritte zu gewichten (vgl. EGMR, Urteil vom 30. November 1999 - 34374/97 -, Fall Baghli, InfAus1R 2000, S. 53 f.; Urteil vom 10. Juli 2003 - 53441/99 -, Fall Benhebba, InfAus1R 2004, S. 182; Urteil vom 15. Juli 2003 - 52206/99 -, Fall Mokrani, InfAuslR 2004, S. 183; Urteil vom 31. Januar 2006 - 50252/99 -, Fall Sezen, InfAuslR 2006, S. 255).

Soweit sich der Verwaltungsgerichtshof in der angegriffenen Entscheidung pauschal darauf beruft, dass der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung großes Verständnis für eine konsequente Bekämpfung der Drogenkriminalität durch die Konventionsstaaten aufbringe, genügt dies diesen Anforderungen nicht und wird im Hauptsacheverfahren einer differenzierenden Würdigung zu weichen haben. Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung erfordert angesichts der Vielschichtigkeit der dabei zu berücksichtigenden tatsächlichen Umstände und der rechtlichen Komplexität eine umfassende Prüfung unter Einbeziehung der aktuellen Entwicklung des Beschwerdeführers (vgl. EGMR, Urteil vom 2. August 2001 - 54273/00 -, Fall Boultif, InfAuslR 2001, S. 476; Urteil vom 31. Oktober 2002 - 37295/97 -, Fall Yildiz, InfAuslR 2003, S. 126 <127 f.>).