VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Urteil vom 03.04.2007 - A 1 K 648/06 - asyl.net: M10392
https://www.asyl.net/rsdb/M10392
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Irak, Iraker, Passbeschaffung, Passverfügung, Zumutbarkeit, Vollstreckungsrecht, Verwaltungsvollstreckung, unmittelbarer Zwang, Androhung
Normen: AsylVfG § 15 Abs. 2 Nr. 4; AsylVfG § 15 Abs. 2 Nr. 6; VwVG § 20; VwVG § 26
Auszüge:

Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtene Passverfügung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Bei dem vorliegenden Verfahren handelt es sich um ein Verfahren nach dem Asylverfahrensgesetz. Maßgeblich ist, dass der Beklagte seine Verfügung auf Vorschriften des Asylverfahrensgesetzes gestützt hat (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 10.03.1995 - A 13 S 571/95 -, vom 13.03.1995 - A 12 S 319/95 - und vom 16.04.1996 - 11 S 776/96 -; VG Sigmaringen, Beschlüsse vom 25.09.1995 - A 1 K 12098/94 - und vom 03.11.1998 - 1 K 2216/98 -). Das gilt auch insoweit, als in der angefochtenen Verfügung die Anwendung unmittelbaren Zwangs (Zwangsvorführung, Anfertigung von Passbildern) angedroht wurde, da sie zur Durchsetzung einer Maßnahme dient, die ihre Rechtsgrundlage im Asylverfahrensgesetz hat und in unmittelbaren Zusammenhang mit ihr steht.

Für die Durchführung von Passbeschaffungen nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG gegenüber abgelehnten Asylbewerbern sind die Ausländerbehörden und nicht das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zuständig (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.03.1995 - A 13 S 571/95 -).

Die Vorschrift des § 15 Abs. 1 Nr. 4 und 6 AsylVfG ist die zutreffende Rechtsgrundlage für die vom Beklagten getroffenen Anordnung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.03.1995 -A 13 S 571/95 -; VG Sigmaringen, Beschluss vom 03.11.1998 - 1 K 2216/98 -).

In diesem Zeitpunkt steht die Rechtswidrigkeit der Ziffer 1 der "Passverfügung" fest. Der Kläger besitzt keinen Pass oder Passersatz.

Es ist auch nicht zulässig, den Kläger zur Vorsprache bei der Botschaft seines Heimatlandes zu verpflichten, da der Kläger den mit der Vorsprache verfolgten Zweck nicht erreichen kann. Nach der Auskunft des UNHCR vom 16. Januar 2007 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers kann der Identitäts- und Staatsangehörigkeitsnachweis für die Ausstellung eines irakischen Passes nur durch die Vorlage eines irakischen Personalausweises und einer irakischen Staatsangehörigkeitsurkunde im Original geführt werden. Der Kläger ist nicht im Besitz der für eine erfolgreiche Antragstellung erforderlichen Papiere. Er hat dies bereits in seiner Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Asylverfahren angegeben. Greifbare Anhaltspunkte für dafür, dass der Kläger doch im Besitz der erforderlichen Papiere ist, liegen nicht vor. Damit wird auch die Vorlage von Lichtbildern an die Botschaft hinfällig. Die Vorlage der sonstigen in der Verfügung genannte Papiere führt nach der Auskunft des UNHCR ebenfalls nicht zum Ziel der Ausstellung eines Passes oder eines vorläufigen (Ersatz-)Dokuments. Da der Kläger nicht das geforderte Dokument nicht mit Aussicht auf Erfolg beantragen kann, entfällt auch die Grundlage für die Anordnungen im letzten Absatz der Ziffer 1 der angefochtenen Verfügung.

Die auf §§ 20, 26 LVwVG gestützte Androhung unmittelbaren Zwangs (Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung) ist rechtswidrig, weil ihr die erforderliche Bestimmtheit fehlt. Sie lässt offen, was dem Kläger droht, wenn er die Verpflichtungen nicht erfüllt (Wegnahme von Papieren, Zwangsvorführung etc.). Auch wenn § 20 LVwVG für die Androhung unmittelbaren Zwangs keine § 20 Abs. 4 und 5 LVwVG vergleichbare Regelung enthält, kann daraus nicht geschlossen werden, es reiche aus, lediglich pauschal unmittelbaren Zwang anzudrohen. Denn der Grundsatz der Bestimmtheit verlangt es, dass der Pflichtige aufgrund der Androhung weiß, mit welchen Vollstreckungsmaßnahmen er zu rechnen hat. Auch bei der Androhung des unmittelbaren Zwangs muss die beabsichtigte Vollstreckungsmaßnahme zumindest so umschrieben werden, dass der Betroffene eine ungefähre Vorstellung davon hat, welche Maßnahmen die Behörde ergreifen wird, wenn er der ihm auferlegten Verpflichtung nicht nachkommt (vgl. hierzu insgesamt VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.1986 - 5 S 2592/86 -).

Darüber hinaus ist die Androhung unmittelbaren Zwangs auch deshalb rechtswidrig, weil sie sich auch auf eine vom Kläger geforderte Handlung - Pflicht zum Unterschreiben einer Einverständniserklärung und zur Übersendung einer Mehrfertigung an den Beklagten im ersten Teilabsatz des letzten Absatzes der Ziffer 1 der Verfügung - bezieht, die nicht durch die Anwendung unmittelbaren Zwang vollstreckt werden kann. Es ist rechtlich nicht zulässig, auf eine Person durch körperlichen Zwang oder Hilfsmittel körperlichen Zwangs einzuwirken, damit diese eine Willenserklärung abgibt.