VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Beschluss vom 25.05.2007 - 1 B 415/06 - asyl.net: M10455
https://www.asyl.net/rsdb/M10455
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Ausreisehindernis, Integration, Aufenthaltsdauer, Privatleben, Lebensunterhalt, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5; EMRK Art. 8; GG Art. 6; VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

Die im Rahmen der summarischen Prüfung nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem Suspensivinteresse der Antragsteller und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit der gegen sie erlassenen Maßnahme geht zu Gunsten der Antragsteller aus. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand spricht vieles dafür, dass den Antragstellern eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK bzw. Art. 6 GG erteilt werden konnte, ggfs. auch erteilt werden müsste. Insoweit bestehen Erfolgsaussichten der Klage im Sinne eines Verpflichtungs- bzw. Bescheidungsbegehrens. Die Ausreise der Antragsteller zu 4. bis 6. wird nach den derzeitigen Erkenntnissen wegen eines Schutzanspruches aus Art. 8 EMRK aller Voraussicht nach rechtlich unmöglich sein. Unter Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles spricht derzeit überwiegendes dafür, dass die Antragsteller zu 4. bis 6. als faktische Inländer anzusehen sein werden (vgl. zu den entsprechenden Anforderungen eines Schutzanspruches nach Art. 8 EMRK Nds. OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 1. November 2006 - 8 LA 101/06 - und vom 17. November 2006 - 10 ME 222/06 -). Die jetzt 15 und 17jährigen Antragsteller zu 5. und 6. sind zwar in Serbien am ... 1990 bzw. ...1991 geboren worden, sie reisten jedoch im Alter von ca. 1 1/2 Jahren bzw. 4 Monaten im November 1991 in die Bundesrepublik Deutschland ein und haben hier ihre Integration gefunden. Gleiches wird auch für den am ...1994 in Göttingen geborenen und heute 13jährigen Antragsteller zu 4. gelten. Die Antragsteller zu 4. bis 6. besuchen in der Bundesrepublik Deutschland noch Schulen, beherrschen die deutsche Sprache offensichtlich einwandfrei und haben in den hiesigen gesellschaftlichen Verhältnissen ihre Sozialisierung und Prägung erfahren. Angesichts ihrer dokumentierten schulischen Leistungen besteht auch kein Anlass zu einer Befürchtung, die Antragsteller könnten zukünftig eine eigene berufliche Existenzgrundlage nicht finden. Von daher wird dem Umstand, dass die Antragsteller als minderjährige Kinder bislang ihren eigenen Unterhalt nicht sichern konnten und der Lebensunterhalt ihrer Familie durchgängig mit öffentlichen Mitteln finanziert wurde, eine den Schutzanspruch des Art. 8 EMRK vernichtende Bedeutung voraussichtlich nicht beigemessen werden können. Die Antragsteller zu 4. bis 6. haben sich auch teilweise mit Aufenthaltstiteln in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten. Nach den derzeitigen Erkenntnissen spricht überwiegendes dafür, dass bei den Antragstellern zu 4. bis 6. von einer verfestigten Integration in der Bundesrepublik Deutschland auszugehen und eine Reintegration im Land ihrer Staatsangehörigkeit nicht möglich ist. Bei einer solchen Sachlage werden den Antragstellern auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG nicht entgegen gehalten werden können. Hieran anknüpfend können sich die Antragsteller zu 1., 2. und 3. (Eltern und jüngere Schwester) auf einen Schutz ihrer familiären Lebensgemeinschaft mit den Antragstellern zu 4. bis 6. berufen und verbietet sich bereits aus diesem Grund eine Trennung und Abschiebung der Familie vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens.

Unabhängig davon und selbstständig tragend nimmt das Gericht auch eine reine Abwägung zwischen dem Interesse der Antragsteller, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland zu verbleiben, und dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Beendigung des Aufenthalts der Antragsteller vor, die ebenfalls zu Gunsten der Antragsteller ausfällt. Die Antragsteller, die sich als Familie seit November 1991 über 15 Jahre ununterbrochen in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten (unabhängig von davor liegenden teilweise rechtmäßigen Aufenthaltszeiten), haben nach dem erfolglosen Betreiben eines Asylverfahrens Aufenthaltsbefugnisse für die Zeit von Oktober 2000 bis Oktober 2002 erhalten. Ihre fristgerecht gestellten Verlängerungsanträge vom 10. September 2002 wurden erst mit Bescheid vom 10. Mai 2006 abgelehnt. Allein mit Blick auf diesen Zeitablauf vermag das Gericht nunmehr eines sofortiges Vollzugsinteresses an einer Ausreiseverpflichtung vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens im Verhältnis zu dem berechtigten Anliegen der Antragsteller an einer umfassenden Prüfung ihres Integrationsvorbringens in einem Hauptsacheverfahren nicht zu bejahen.