Der Ausweisungsschutz von Art. 28 Abs. 3 der Unionsbürgerrichtlinie ist nicht auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anwendbar.
Der Ausweisungsschutz von Art. 28 Abs. 3 der Unionsbürgerrichtlinie ist nicht auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anwendbar.
(Leitsatz der Redaktion)
A. Mit der Beschwerde werden die überzeugenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach im Fall des Antragstellers aufgrund seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, so dass das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sein Interesse am Verbleib in Deutschland deutlich überwiegt, auch im Übrigen nicht durchgreifend in Frage gestellt. Der Senat nimmt zunächst auf die eingehende Darstellung der Einzelheiten des mit großer Brutalität ausgeführten Verbrechens, dessentwegen der Antragsteller zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden ist, Bezug.
2. Auch der Verweis auf Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 29. April 2004 (ABl. L 158 vom 30.4.2004, S. 35; ber. ABl. L 229 vom 29.6.2004, S. 35) über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten [...], (Unionsbürgerrichtlinie - im Folgenden: Richtlinie 2004/38/EG) verhilft dem Antragsteller nicht zum Erfolg. Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG ist - wie das Verwaltungsgericht festgestellt hat - auf Berechtigte nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) (im Folgenden: Assoziationsberechtigte[r/n]) nicht anwendbar (in diesem Sinne auch Nds. OVG, Beschlüsse vom 6. Juni 2005 - 11 ME 39/05 -, NVwZ-RR 2005, 654, und vom 5. Oktober 2005 - 11 ME 247/05 -, DVBl. 2006, 64 (Ls.); VG Düsseldorf, etwa Beschluss vom 10. Februar 2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 (269 ff.) sowie Urteile vom 27. April 2006 - 24 K 7588/04 -, www.nrwe.de, und vom 16. Januar 2007 - 27 K 4870/06 -; VG Arnsberg, Urteil vom 16. Mai 2006 - 8 K 2170705 -; Hailbronner, Ausländerrecht Kommentar, Band 4, D 5.2 Art. 14 Rn. 11 ff.; a.A. Hess. VGH, Beschluss vom 12. Juli 2006 - 12 TG 494/06 -, InfAuslR 2006, 393; OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil vom 5. Dezember 2006 - 7 A 10924/06 -, InfAuslR 2007, 148; VG Karlsruhe, Urteil vom 9. November 2006 - 2 K 1559/06 -, juris; Gutmann, InfAuslR 2005, 402 f. und InfAuslR 2006, 271), und damit auch nicht auf den Antragsteller, der sich auf Art. 7 ARB 1/80 berufen kann.
Nach Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG darf gegen Unionsbürger, die in den letzten zehn Jahren ihren Aufenthalt im Aufnahmestaat gehabt haben, eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedsstaaten festgelegt werden. Unmittelbar kann der Antragsteller daraus für sich nichts herleiten, weil er türkischer Staatsangehöriger und damit kein Unionsbürger ist. Über seine Ausweisung ist aber auch nicht entsprechend der Maßgaben nach Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG zu entscheiden.
Allerdings hat der EuGH wiederholt entschieden, dass die im Rahmen der Art. 48, 49 und 50 EGV (jetzt: Art. 39, 40 und 41 EG) geltenden Grundsätze über die Freizügigkeit der Unionsbürger so weit wie möglich auf Assoziationsberechtigte übertragen werden sollen (vgl. u.a. Urteile vom 6. Juni 1995, Rs. C-434/93 (Bozkurt), InfAuslR 1995, 261; vom 10. Februar 2000, Rs. C-340/97 (Nazli), DVBl. 2000, 550 m.w.N.; vom 11. November 2004, Rs. C-467/02 (Cetinkaya), DVBl. 2005, 11; und vom 2. Juni 2005, Rs. C-136/03 (Dörr und Ünal), InfAuslR 2005, 289).
Davon ausgehend hat der EuGH insbesondere bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Ausnahme Beschränkung der Assoziationsrechte aus Gründen der öffentlichen Ordnung darauf abgestellt, wie die gleiche Ausnahme Beschränkung im Bereich der Freizügigkeit solcher Arbeitnehmer, die Angehörige der Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft sind, ausgelegt wird. Hiervon ausgehend hat der EuGH Für diese waren bisher die konkreten Einzelheiten des Ausweisungsrechts nach in der Richtlinie 64/221/EWG festgelegt, die vom EuGH als Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG aufgefasst wurde, und auf Ass. übertragen (Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung sowie der Berücksichtigung neuer Umstände und Vier-Augen-Prinzip) (vgl. EuGH, Urteile vom 10. Februar 2000, Rs. C-347/97 (Nazli), a.a.O., vom 11. November 2004, Rs. C-467/02 (Cetinkaya), a.a.O., und vom 2. Juni 2005, Rs. C- 136/03 (Dörr und Ünal), a.a.O.).
Diesen Maßgaben sind Grundlage der ständigen Senatsrechtsprechung (vgl. nur OVG NRW, Beschlüsse vom 29. April 1993 - 18 B 4386/92 - , InfAuslR 1993, 288, vom 29. Januar 2001 - 18 B 116/01 -, AuAS 2001, 137, und vom 13. Februar 2004 - 17 B 1227/02 -, InfAuslR 2004, 224).
Ihnen hat sich das Bundesverwaltungsgericht angeschlossen; auch nach seiner Rechtsprechung liegt es nahe, den gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz für Assoziationsberechtigte in gleicher Weise materiellrechtlich zu begründen und auszugestalten wie für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger (BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 - 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315 (320 f.)).
Im Anschluss daran wird die Auffassung vertreten, die Grundsätze des Ausweisungsschutzes nach der Richtlinie 2004/38/EG, die an die Stelle der Richtlinie 64/221/EWG getreten ist (gemäß Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie, die nach ihren Art. 40 Abs. 1, 41 am 30. April 2004 in Kraft getreten ist und bis zum 30. April 2006 in nationales Recht umzusetzen war, ist die Richtlinie 64/221/EWG mit Wirkung vom 30. April 2006 aufgehoben worden), seien als weitere und nunmehr geltende Konkretisierung und Ausgestaltung von Art. 39 Abs. 3 EG auf Assoziationsberechtigte anzuwenden. Anhaltspunkte, warum dies anders zu sehen sein könnte, sollen nicht gegeben sein (so Hess. VGH, Beschluss vom 12. Juli 2006 - 12 TG 494/06 -; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 5. Dezember 2006 - 7 A 10924/06 -; VG Karlsruhe, Urteil vom 9. November 2006 - 2 K 1559/06 -, jeweils a.a.O.).
Dem ist nicht zu folgen.
a) Zwar hat der EuGH zu Art. 48 Abs. 3 EGV (jetzt Art. 39 Abs. 3 EG) ausgeführt, dass dieser bereits die grundlegende Regelung zur Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft enthalte und im Verhältnis dazu die Richtlinie 64/221/EWG kein neues Recht schaffe, sondern lediglich die Einzelheiten der Ausübung der unmittelbar aus dem Vertrag fließenden Rechte regele (vgl. EuGH, Urteil vom 8. April 1976 - Rs. 48/75 -, NJW 1976, 2065).
Daraus folgt jedoch nicht, dass wegen der gleichlautenden Beschränkungsregelung in Art. 39 Abs. 3 EG und Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ("aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit") die für Unionsbürger geltenden Einschränkungen stets zugleich auf Assoziationsberechtigte anzuwenden sind. Nunmehr enthält die Richtlinie 2004/38/EG jedoch Sonderregelungen, die - wie Art. 16 und 28 Abs. 2 und 3 - ausschließlich Unionsbürgern zukommen.
Erstens: Gegen die Übertragbarkeit des Ausweisungsschutzes nach Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG auf Assoziationsberechtigte spricht vor allem der qualitative Unterschied zwischen der durch den ARB 1/80 allein begründeten geregelten Arbeitnehmerfreizügigkeit und den Rechten der Unionsbürger, wie sie in der Richtlinie niedergelegt sind und den hier in Rede stehenden Bestimmungen zugrunde liegen. Diese Rechte gehen deutlich über die Gewährleistung der Arbeitnehmerfreizügigkeit hinaus.
b) Eine Auslegung des Art. 14 ARB 1/80 dahin, dass die Maßstäbe des Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG auf Assoziationsberechtigte entsprechend angewendet würden, verstieße außerdem gegen Art. 59 des Zusatzprotokolls.
B. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Abschiebungsandrohung unter Ziffer 2. der Verfügung des Antragsgegners vom 7. August 2006 ist indessen gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO anzuordnen. Das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung dieser Verfügung vorerst verschont zu bleiben, überwiegt gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung, weil die Abschiebungsandrohung so, wie sie in der Verfügung vom 7. August 2006 gefasst ist, den Anforderungen des verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmtheitsgebots nicht genügt.