VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 08.06.2007 - 8 UZ 798/06.A - asyl.net: M10521
https://www.asyl.net/rsdb/M10521
Leitsatz:
Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, grundsätzliche Bedeutung, Afghanistan, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Versorgungslage, Wiederaufgreifen des Verfahrens
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51
Auszüge:

Der Zulassungsantrag des Klägers ist nach der am 8. März 2006 erfolgten Zustellung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts Gießen vom 22. Februar 2006 innerhalb der Zwei-Wochen-Frist gemäß § 78 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AsylVfG am 21. März 2006 per Telefax beim Verwaltungsgericht eingegangen. In dem Antragsschreiben ist der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG entsprechenden Weise dargelegt.

Der Kläger hat als grundsätzlich bedeutsam die Rechts- bzw. Tatsachenfrage aufgeworfen, "ob aufgrund der vom Gericht zitierten neueren Auskünfte (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29.11.2005; Gutachten des Herrn Dr. Danesch an das VG Wiesbaden vom 13.01.2006) die allgemeine Versorgungs- und Sicherheitslage in Afghanistan sich so verschlechtert hat, sodass dort von keiner Existenzmöglichkeit mehr ausgegangen werden kann".

Diese allgemein formulierte Fragestellung ist auch vorliegend entscheidungserheblich. Aus dem weiteren Begründungszusammenhang des Antragsschreibens ergibt sich, dass sie sich auf die für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG erforderliche extreme allgemeine Gefahrenlage auch durch eine lebensbedrohliche Unterversorgung infolge der katastrophalen Verschlechterung der Lebensbedingungen in Afghanistan und auch im Bereich Kabul bezieht, und zwar für alle Rückkehrer aus dem europäischen Ausland. Dies ist hier auch entscheidungserheblich, weil das angefochtene verwaltungsgerichtliche Urteil eine Existenzmöglichkeit für einen jungen alleinstehenden Mann "unabhängig von bestehenden familiären Bindungen im Heimatland", also auch für den Fall allgemein bejaht hat, dass solche Bindungen nicht (mehr) bestehen, dabei hat es Besonderheiten in der Situation des Klägers verneint und ist nicht darauf eingegangen, dass er nicht aus Kabul stammt und in seiner Heimatprovinz Paktia häufig militärische Auseinandersetzungen mit den Taliban stattfinden.

Der Entscheidungserheblichkeit steht nicht entgegen, dass das vorliegende Verfahren auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und auf die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse gerichtet ist, weil sogar im Asylfolgeantragsverfahren gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG über alle Wiederaufgreifensgründe zu befinden ist, die im Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung geltend gemacht werden (vgl. u.a. OVG NW, Beschluss vom 25. Februar 1997- 25 A 720/97.A - AuAS 1997 S. 166 ff. = juris; Marx, AsylVfG, 6. Aufl. 2005, Rdnr. 217 zu § 71 m.w.N.), so dass dies erst recht für das unmittelbar nach § 51 VwVfG zu beurteilende Wiederaufnahmeverfahren für Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG gilt, das über einen möglichen Wiederaufgreifensanspruch hinaus gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessenentscheidung über Rücknahme oder Widerruf der bestands- oder rechtskräftigen negativen Feststellungsentscheidung des Bundesamtes gewährt, der sich etwa im Falle der hier geltend gemachten extremen Gefahrensituation zu einem strikten Anspruch verdichten kann (vgl. BVerwG. Urteil vom 7. September 1999 - 1 C 6/99 - NVwZ 200 S. 204 ff. = juris Rdnrn. 16 f.) und nach der gegenwärtigen Sach- und Rechtslage zu beurteilen ist.