VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 08.03.2007 - AN 9 K 06.30400 - asyl.net: M10581
https://www.asyl.net/rsdb/M10581
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Machtwechsel, Baath, allgemeine Gefahr, Sicherheitslage, Wegfall-der-Umstände-Klausel, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Versorgungslage, extreme Gefahrenlage, Abschiebungsstopp, Erlasslage, IMK-Beschluss, Flüchtlingsfrauen, Frauen
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; GFK Art. 1 C Nr. 5; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 12. April 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

1. Gemäß § 73 Abs. 1 AsylVfG (auch in der seit 1.1.2005 geltenden Neufassung durch das Zuwanderungsgesetz, die hier gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG anzuwenden ist) muss bzw. - im Falle des § 73 Abs. 2a AsylVfG - kann das Bundesamt die etwaige vorangegangene Asylanerkennung eines Ausländers sowie eine etwaige vorangegangene Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des so genannten "kleinen Asyls" (früher § 51 Abs. 1 AuslG, jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG) widerrufen, wenn die Voraussetzungen hierfür nicht mehr vorliegen.

Eine entscheidungserhebliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse im Irak liegt vor. Der sich aus den allgemein zugänglichen Medien und den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen (vgl. insbesondere den in das Verfahren eingeführten aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes) ergebende Sturz des Regimes von Saddam Hussein stellt genau einen solchen politischen Systemwechsel dar, wie ihn das Bundesverwaltungsgericht in seinen vorgenannten Entscheidungen angesprochen hat.

Entgegen der Auffassung des Klägervertreters kommt auch im Hinblick auf die sich eher verschlechternde Sicherheitslage im Irak - zumindest derzeit - eine andere Entscheidung bezüglich der Frage der Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht in Betracht. Wie sich aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Auskünften zur aktueller Situation im Irak, insbesondere aus dem neusten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2007, ergibt, kann trotz der Falle vor Anschlägen und davon betroffenen Personen keine grundsätzlich nicht mehr gegebene schutz- und verfolgungsmächtige Staatsgewalt im Irak gesehen werden. Dabei muss unter Berücksichtigung der Einwohnerzahl des Irak und der verschiedenen Brennpunkte, an denen sich, insbesondere auch nach den Lageberichten des Auswärtigen Amtes, die große Mehrzahl der Anschläge ereignet, davon ausgegangen werden, dass von einer Ohnmächtigkeit des irakischen Staates und der ihn unterstützenden Koalitionstruppen landesweit im Irak mach wie vor nicht ausgegangen werden kann.

Darüber hinaus kann auch deshalb nicht an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamtes zu § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gezweifelt werden, weil unter Berücksichtigung der Bestimmungen des § 60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG von einer nunmehr gegebenen zielgerichteter Verfolgung der Klägerin durch nichtstaatliche Gruppierungen, wie z.B. Angehörige anderer Ethnien oder Religionen nichts spricht. Zwar stammt die Klägerin aus Kirkuk, einer Stadt, in der die verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppierungen des Irak in ständigen Auseinandersetzungen stehen. Gleichwohl kann es der Klägerin zugemutet werden, bei einer Rückkehr in den Irak in andere, nicht so umstrittene Regionen, wie z.B. den Nordirak, auszuweichen. Dabei kommt ihr hier insoweit insbesondere auch ihre kurdische Volkszugehörigkeit zustatten.

Auch soweit das Bundesamt im angefochtenen Bescheid - zusätzlich zum Widerruf der bisherigen Schutzgewährung - die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4, 6 AuslG widerrufen und festgestellt hat, dass keine Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 ff. AufenthG bestehen, somit insbesondere auch keine Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, ist der Bescheid rechtmäßig, er verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Wie sich aus dem oben Ausgeführten ergibt, ist weder aus den allgemeinen tatsächlichen Verhältnissen im Irak noch aus dem individuellen Vorbringen der Klägerin auf das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG konkret zu schließen.

Auch die allgemeine Versorgungslage sowie die Situation des Gesundheitswesens ist, ungeachtet stellenweiser bzw. zeitweiser Engpässe, nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen im Ganzen gesehen nicht so kritisch, dass im gegebenen Fall die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ersichtlich wären.

Im Übrigen besteht der von der Innenministerkonferenz (IMK) in Jena am 20./21. November 2003 beschlossene faktische Abschiebungsstopp für irakische Staatsangehörigkeit weiter. Dieser wurde zuletzt verlängert bei der IMK in Nürnberg am 16./17. November 2006. Der dadurch erreichte Schutz bleibt nicht hinter dem Schutz zurück, der früher bei Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erreicht werden konnte (vgl. BVerwGE 114, 379) und der nunmehr durch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erreicht werden könnte. Jedenfalls aus diesem Grund kann auch ein entsprechender - sei es primär, sei es auch nur hilfsweise gestellter - Verpflichtungsantrag keinen Erfolg haben.

Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei der Klägerin um eine junge, offensichtlich nicht verheiratete Frau handelt, kann unter Zugrundelegung der derzeitigen Sicherheitslage im Irak ein Anspruch auf Zuerkennung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht erkannt werden. Zwar ist die Klägerin wegen ihres Alters und ihres Geschlechts möglicherweise bei einer Rückkehr in den Irak besonderen Belastungen ausgesetzt, andererseits ergibt sich doch, dass sie nach wie vor trotz Volljährigkeit gemeinsam mit ihrem Eltern lebt und sich daher bei einer Rückkehr in den Irak auf den Schutz dieser näheren Familie berufen kann. Dabei ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass auch der Mutter und den Geschwistern der Klägerin Asyl bzw. Abschiebungsschutz nach § 63 Abs. 1 AufenthG nicht mehr zusteht (vgl. rechtskräftiges Urteil des Gerichts von 3. Juli 2006 - AN 9 K 06.30411, 30412 und 30413).