OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Urteil vom 27.03.2007 - A 2 B 817/05 - asyl.net: M10661
https://www.asyl.net/rsdb/M10661
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Konversion, Apostasie, Christen, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, Rückwirkung, Altfälle, Vertrauensschutz, Verfassungsmäßigkeit, exilpolitische Betätigung, Monarchisten, Volksmudjaheddin, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, religiöses Existenzminimum, religiös motivierte Verfolgung, Missionierung, abgelehnte Asylbewerber, Antragstellung als Asylgrund, Situation bei Rückkehr
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2; RL 2004/83/EG Art. 5 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 5; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die zulässige Berufung des Beteiligten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben.

1. Die Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG scheidet aus.

a) Eine Verfolgung droht den Klägern nicht wegen ihrer in Deutschland zunächst entfalteten exilpolitischen Aktivitäten. Die Annahme einer Verfolgungsgefahr ist nur dann gerechtfertigt, wenn davon ausgegangen werden muss, dass den Staatssicherheitsbehörden Irans die exilpolitischen Tätigkeiten des Betroffenen bekannt geworden sind und anzunehmen ist, dass die iranischen Behörden diese als erhebliche, den Bestand des Staates gefährdende oppositionelle Aktivitäten bewerten. Grundsätzlich reicht die einfache Mitgliedschaft in einer exilpolitischen Organisation verbunden mit den hierfür typischen Aktivitäten, wie der wiederholten einfachen Demonstrationsteilnahme, der Betreuung von Büchertischen und dem Verteilen von Flugblättern nicht aus. Der Betroffene muss vielmehr aufgrund seiner Aktivitäten aus der Vielzahl der exilpolitisch aktiven Iraner hervortreten (vgl. Urt. des Senats v. 14.3.2006 - A 2 B 632/05 - und - A 2 B 633/05 - mit weiteren Nennungen aus der Rechtsprechung des Senats). Insoweit gibt auch die Amtsübernahme durch den neuen Präsidenten Irans Mahmoud Ahmadinejad im August 2005 keine Veranlassung zu einer anderen Beurteilung der Sachlage (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21.9.2006, S. 30 f.; HessVGH, Urt. v. 27.2.2006 - 11 UE 2252/04.A -, juris; BayVGH, Beschl. v. 19.9.2006 - 14 ZB 06.30733 -, juris).

Vor diesem Hintergrund begründen die von den Klägern entfalteten exilpolitischen Aktivitäten für die monarchistische Opposition - so der Kläger - und die Volksmodjaheddin - so die Klägerin - keine Verfolgungsgefahr. Eine exponierte Stellung der Kläger ist nicht ersichtlich.

b) Hinsichtlich der von der Klägern geltend gemachten Konversion zum Christentum scheidet ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG schon vom Ansatz her aus. Nach § 28 Abs. 2 AsylVfG kann in einem Folgeverfahren die Feststellung, dass dem Ausländer die in § 60 Abs. 1 AufenthG bezeichneten Gefahren drohen, in der Regel nicht mehr getroffen werden, wenn er sein Vorbringen auf Umstände im Sinne des § 28 Abs. 1 AufenthG (aus eigenem Entschluss heraus geschaffene Nachfluchttatbestände) stützt, die nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrages entstanden sind. Hier war das Erstverfahren mit Übersendung des die Zulassung der Berufung ablehnenden Beschlusses des SächsOVG v. 2.2.2001 - A 4 B 4519/98 - rechtskräftig abgeschlossen. Die Taufe der Kläger erfolgte erst danach, nämlich am ... 2001.

Die durch Art. 3 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30.7.2004 (BGBl. 1 S. 1950 [1991]) eingefügte Vorschrift des § 28 Abs. 2 AsylVfG ist auch anwendbar, obwohl sie nach Art. 15 Abs. 3 des Zuwanderungsgesetzes erst am 1.1.2005 und damit weit nach der Taufe der Kläger am 2001 in Kraft getreten ist.

Schließlich steht § 28 Abs. 2 AsylVfG auch im Einklang mit der Richtlinie des Rates 2004/83/EG vom 29.4.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie). Mit dieser Vorschrift hat der Bundesgesetzgeber von der dort in Art. 5 Abs. 3 eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Ausländer im Folgeverfahren auf den subsidiären Schutz zu verweisen, soweit Nachfluchtgründe vorgetragen werden. § 28 Abs. 2 AsylVfG ist also richtlinienkonform.

2. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.

aa) Zunächst vermag der in der Bundesrepublik Deutschland vollzogene Übertritt zum christlichen Glauben kein Abschiebungsverbot zu begründen.

Der Senat hat die insoweit einschlägige Auskunftslage im - vom Bundesverwaltungsgericht aus anderen Gründen durch Urteil vom 20.1.2004 - 1 C 9.03 - (BVerwGE 120, 16) aufgehobenen - Urteil vom 10.12.2002 - A 2 B 771/02 - ausführlich dargestellt und hieran anknüpfend mit seinen Urteilen vom 4.5.2005 (- A 2 B 524/04 - und - A 2 B 525/04 -), vom 17.11.2005 (- A 2 B 631/05 -) und vom 14.3.2006 (- A 2 B 632/05 - und - A 2 B 633/05 -; jeweils juris) fortgeführt. Insoweit hat der Senat jeweils das Vorliegen der Gefahr einer politischen Verfolgung wegen der in Deutschland erfolgten Konversion verneint.

Die seither eingegangenen Erkenntnismittel lassen auf keine grundlegende Änderung der Auskunftslage schließen (vgl. hierzu auch aus der neueren Rechtsprechung: OVG Hamburg, Urt. v. 24.3.2006 - 1 Bf 15/98.A -; NdsOVG, Urt. v. 27.4.2006 - 5 LB 106/02 -, jeweils juris).

Zusammenfassend kann den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln entnommen werden, dass grundsätzlich keine der in § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bezeichneten Gefahren wegen des in Deutschland erfolgten Übertritts zum Christentum droht. Soweit konkrete Fälle benannt werden, handelt es sich um führende Kirchenmitglieder, zumindest aber um Pastoren einer Hausgemeinschaft, oder um Fälle mit politischer Komponente wie im Fall Aghajari. Referenzfälle für die Gefährdung einfacher Mitglieder von Glaubensgemeinschaften fehlen. Lediglich im Einzelfall könne eine Konversion zu erheblichen Schwierigkeiten mit der eigenen Familie führen. Auch stellt die vom Auswärtigen Amt berichtete wirtschaftliche und gesellschaftliche Ausgrenzung und Benachteiligung keinen die Annahme eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG rechtfertigenden Umstand dar, da es insoweit an der hierfür erforderlichen Intensität der zugefügten Rechtsgutverletzung fehlt (vgl. Urt. des Senats v. 12.6.2002 - A 2 B 80/01 - sowie v. 4.5.2005 - A 2 B 524/04 - und - A 2 B 525/04 -). Aus den von den Prozessbevollmächtigten der Kläger im Berufungsverfahren vorgelegten Mitteilungen von Menschenrechtsorganisationen etc. ergibt sich nichts anderes.

Vor diesem Hintergrund besteht für die Kläger kein Abschiebungsverbot.

bb) Die Kläger können sich zur Begründung des von ihnen geltend gemachten Anspruchs auch nicht darauf berufen, dass sie im Iran wegen der von ihnen beabsichtigten Ausübung ihrer Religion einer der in § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bezeichneten Gefahren ausgesetzt wäre. Insoweit ist lediglich das religiöse Existenzminimum geschützt. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b) der Qualifikationsrichtlinie gilt nur für die Anerkennung als Flüchtling, nicht aber für den subsidiären Schutz. Die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus erfolgt gemäß Art. 18 der Qualifikationsrichtlinie, wenn die Voraussetzungen der Kapitel II und V erfüllt sind. Art. 10 ist jedoch Bestandteil des Kapitel III ("Anerkennung als Flüchtling").

Ein Eingriff in das religiöse Existenzminimum kommt grundsätzlich erst dann in Betracht, wenn die zum Christentum konvertierten Muslime im Iran auch dann mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen müssten, wenn sie sich zum gemeinsamen Gebet und Gottesdienst mit Gleichgesinnten abseits der Öffentlichkeit zusammenfinden (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.1.2004 - 1 C 9.03 -, BVerwGE 120, 16). Dies ist jedoch nicht der Fall, wie der Senat unter umfangreicher Berücksichtigung der Auskunftslage zuletzt mit Urteilen vom 4.5.2005 (- A 2 B 524/04 - und - A 2 B 525/04 -), vom 17.11.2005 (- A 2 B 631/05 -) und vom 14.3.2006 (- A 2 B 632/05 - und - A 2 B 633/05 -; jeweils juris) entschieden hat.

An dieser Einschätzung ist nach wie vor festzuhalten.

Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass die Religionsausübung für Apostaten zunächst einmal abseits der Öffentlichkeit in Hausgemeinschaften möglich ist. Es wird lediglich in Einzelfällen von einer Gefährdung von führenden Kirchenmitglieder und Pastoren sowie bei Missionierung berichtet (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21.9.2006; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Bayreuth vom 30.5.2005). Ob darüber hinaus Apostaten die Teilnahme an Gottesdiensten offen steht, wofür Überwiegendes spricht, bedarf vorliegend keiner endgültigen Entscheidung, da es hier - wie ausgeführt wurde - allein um die Sicherung des religiösen Existenzminimums geht.

Für die Kläger ist somit davon auszugehen, dass das religiöse Existenzminimum im Iran gesichert ist.

cc) Den Klägern droht im Falle der Rückkehr in den Iran auch nicht wegen ihrer in Deutschland praktizierten christlichen Aktivitäten in Form des Abhaltens von Hausgottesdiensten, der Teilnahme an Gottesdiensten und am Bibelunterricht sowie der Besuche von Asylbewerberheimen und die hierbei erfolgenden Gespräche über Jesus Christus, einer der in § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bezeichneten Gefahren ausgesetzt zu sein. Nach der o.g. Rechtsprechung des Senats droht iranischen Staatsangehörigen bei Rückkehr in ihr Heimatland wegen in Deutschland erfolgter Missionierungsaktivitäten nur dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung bzw. des Ausgesetztseins der in § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bezeichneten Gefahren, wenn die missionarische Tätigkeit in herausgehobener Funktion, die nach außen erkennbar ist, ausgeübt wird oder sich die missionarische Tätigkeit aus sonstigen Gründen ausnahmsweise aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles in vergleichbarer Weise deutlich von der missionarischen Tätigkeit anderer Apostaten abhebt. Missionarische Aktivitäten in Deutschland innerhalb der jeweiligen Kirchengemeinde ohne hervorgehobene Funktion, im Freundes- und Bekanntenkreis oder in Form des Ansprechens fremder Personen auf den christlichen Glauben vermögen hingegen die Gefahr politischer Verfolgung im Falle der Rückkehr in den Tran nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu begründen. In dieser Weise hervorgehobene Aktivitäten haben die Kläger nicht entfaltet. Auch insoweit ist entsprechend den bisherigen Ausführungen keine Änderung der Auskunftslage im Vergleich zu den jüngsten Entscheidungen des Senats zu verzeichnen.

d) Ferner rechtfertigen auch die Stellung des Asylantrags und der mehrjährige Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nicht die Annahme, den Klägern drohe bei Rückkehr in den Iran eine der in § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bezeichneten Gefahren.