BVerfG

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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 29.03.2007 - 2 BvR 1977/06 - asyl.net: M10785
https://www.asyl.net/rsdb/M10785
Leitsatz:

Allein der Umstand, dass ein Ausländer sein Aufenthaltsrecht zu sichern versucht, rechtfertigt nicht die Annahme, eine Vaterschaftsanerkennung erfolge nur aus verfahrenstaktischen Gründen.

 

Schlagwörter: D (A), Verlängerung, Aufenthaltserlaubnis, Ausweisung, Wirkungen der Ausweisung, Sperrwirkung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Rechtsweggarantie, Schutz von Ehe und Familie, Eltern-Kind-Verhältnis, Vaterschaftsanerkennung, Glaubwürdigkeit
Normen: BVerfGG § 93a Abs. 2; GG Art. 19 Abs. 4; GG Art. 6 Abs. 1; VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 80 Abs. 7; AufenthG § 84 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 84 Abs. 2 S. 1; AufenthG § 11 Abs. 1 S. 2
Auszüge:

Allein der Umstand, dass ein Ausländer sein Aufenthaltsrecht zu sichern versucht, rechtfertigt nicht die Annahme, eine Vaterschaftsanerkennung erfolge nur aus verfahrenstaktischen Gründen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Die angegriffene Entscheidung verletzt Art. 19 Abs. 4 GG.

3. Der angegriffene Beschluss verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG. Die Entscheidung verkennt die grundrechtliche Bedeutung des Rechtsschutzbegehrens des Beschwerdeführers und die daran anknüpfenden Erfordernisse an die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.

aa) Die angegriffene Entscheidung ist bereits in ihrem rechtlichen Ansatz nicht nachvollziehbar. Das Oberverwaltungsgericht befasst sich ausschließlich mit der Frage, ob die Ausländerbehörde erneut eine Ausweisungsverfügung erlassen könnte, und verfehlt damit das Rechtsschutzziel des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (vgl. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Das Oberverwaltungsgericht geht von einer Prüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung vom 29. März 2005 aus und stützt seine Entscheidung darauf, dass sich die für die Ausweisung bedeutsamen Tatsachen nicht nachträglich geändert haben. Gegen die Ausweisungsverfügung, für die ein Sofortvollzug nicht angeordnet war, richtete sich allerdings der Eilrechtsschutzantrag des Beschwerdeführers nicht. Auch wenn das Oberverwaltungsgericht dies nicht ausdrücklich erwähnt, ist anzunehmen, dass es auf die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung im Hinblick auf die von einer Ausweisung gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1, § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ausgehende Sperrwirkung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eingegangen ist (vgl. zur Inzidentprüfung der Ausweisung in der vorliegenden Fallgestaltung Hess. VGH, Beschluss vom 17. August 1995 - 13 TH 3304/94 -, NVwZ-RR 1996, S. 112 <113>; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Dezember 1991 - 11 S 1275/91 -, NVwZ 1992, S. 700 <701>). Das Oberverwaltungsgericht hat aber die Ausweisungsverfügung vom 29. März 2005 nicht in sachlicher und rechtlicher Hinsicht gewürdigt, sondern nur festgestellt, dass bei unterstellter Rechtmäßigkeit der Verfügung das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geeignet sei, seinem Antrag zum Erfolg zu verhelfen. Für die gesamte weitere Würdigung hat das Oberverwaltungsgericht die Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung vom 29. März 2005 unterstellt. Damit war der Anlass für eine weitere Befassung mit der Ausweisungsverfügung entfallen, denn mit der Unterstellung ihrer Rechtswidrigkeit geht zwangsläufig einher, dass für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis die Sperrwirkung der Ausweisung unberücksichtigt bleiben muss. Auf die Frage, ob die Ausländerbehörde eine neue Ausweisungsverfügung erlassen kann, kommt es danach nicht an, so dass es keiner Erörterung bedarf, ob oder unter welchen Voraussetzungen es im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG überhaupt zulässig ist, vorläufigen Rechtsschutz deshalb zu versagen, weil das Gericht zu der Einschätzung gelangt, dass die Behörde nach Aufhebung des angegriffenen Verwaltungsakts einen entsprechenden neuen - zudem ermessensabhängigen - Verwaltungsakt erlassen könnte.

bb) Die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts genügen den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG aber auch dann nicht, wenn seine Ausführungen zur Sache in Bezug zum Rechtsschutzbegehren des Beschwerdeführers gemäß § 80 Abs. 7 VwGO gestellt werden.

Das Oberverwaltungsgericht verneint eine vor Art. 6 GG schützenswerte Bindung zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Kindern, weil es an einer verantwortungsvoll gelebten Vater-Kind-Beziehung fehle. Diese Feststellung ist nicht in einer die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes rechtfertigenden Weise begründet. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts lässt sich allein aus der Chronologie der Ereignisse nicht ableiten, dass die Sorgerechtserklärung und der von der Kindesmutter in ihren eidesstattlichen Erklärungen bestätigte Umgang mit den Kindern lediglich dazu dienten, dem Beschwerdeführer ein Bleiberecht zu sichern. Allein aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer versucht, seinen Aufenthalt zu sichern, lässt sich offenkundig nicht herleiten, dass er an einem verantwortungsvollen Umgang mit seinen Kindern kein Interesse hat - nicht weniger nahe liegt es, von seinen Bemühungen um Aufenthaltssicherung auf ein Interesse am Umgang mit seinen Kindern zu schließen. Weder die Sorgerechtserklärung noch etwaige Äußerungen des Beschwerdeführers zum Stand seiner Bemühungen um ein Aufenthaltsrecht stützen daher die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts.