VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 30.01.2007 - M 21 K 04.51494 - asyl.net: M10835
https://www.asyl.net/rsdb/M10835
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für nigerianischen Staatsangehörigen bei Verfolgung wegen Homosexualität.

 

Schlagwörter: Nigeria, Homosexuelle, Gruppenverfolgung, soziale Gruppe, Verfolgungsbegriff, Anerkennungsrichtlinie, Genfer Flüchtlingskonvention, Strafrecht, Strafverfolgung, Diskriminierung, Haftbedingungen, menschenrechtswidrige Behandlung, Verfolgungshandlung, Osu-Caste
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. d; RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 2 Bst. c; RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 1; EMRK Art. 3; EMRK Art. 8; GG Art. 2 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für nigerianischen Staatsangehörigen bei Verfolgung wegen Homosexualität.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat einen Anspruch gegenüber der Beklagten auf Feststellung, dass in seinem Fall die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, weil er aus begründeter Furcht vor Verfolgung in Nigeria als Homosexueller geflüchtet ist und in seiner Heimat effektiven Schutz vor Verfolgung nicht erlangen kann.

3.1. Nachdem § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf die GFK verweist und damit auch auf deren Flüchtlingsbegriff, sind bei der Anwendung und Auslegung des § 60 Abs. 1 AufenthG auch die Grundsätze heranzuziehen und zu berücksichtigten, die der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen - UNHCR - im Hinblick auf die Anwendung und Auslegung der GFK entwickelt hat. Diesbezüglich ist insbesondere zu berücksichtigen das Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß der GFK vom September 1979, neu aufgelegt vom UNHCR Österreich im Dezember 2003 (im folgenden: UNHCR Handbuch). Denn nach Art. 35 Abs. 1 GFK haben sich die Vertragsstaaten der GFK zur Zusammenarbeit mit dem UNHCR verpflichtet, insbesondere zur Erleichterung seiner Aufgabe, die Durchführung der Bestimmungen der GFK zu überwachen. Da § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG eine fast wörtliche Wiederholung des Art. 33 Abs. 1 GFK ist (sog. Refoulement-Verbot), ist bei der Anwendung und Auslegung des § 60 Abs. 1 AufenthG also zu prüfen, ob es sich bei einem Asylbewerber um einen Flüchtling im Sinne der GFK handelt und ob wegen einer Rückkehrgefährdung ein Abschiebungsverbot festzustellen ist.

§ 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG hat der Gesetzgeber, einer langjährigen Forderung des UNHCR und anderer Organisationen, die sich dem Flüchtlingsschutzes widmen, folgend und bewusst weitergehend als Art. 10 Qualifikationsrichtlinie (vgl. dazu auch VGH Kassel, Urteil vom 23.03.2005, NVwZ/RR 2006, S. 504 ff. m.w.N.) normiert, dass eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn die Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpft.

3.2. Aufgrund des fachärztlichen Gutachtens vom 4. Dezember 2006, an dessen Richtigkeit das Gericht keine Zweifel hat, steht fest, dass der Kläger als Hauptprägung, bezogen auf seine Sexualität, homosexuell ist.

3.3. Nach allen vom Gericht eingeholten Auskünften zur Frage der rechtlichen Bewertung von Homosexualität in Nigeria ist eindeutig, dass diese nach den verschiedenen geltenden Strafrechten gesetzeswidrig ist und mit 14 Jahren Haft geahndet wird. Weiter steht fest, dass sowohl die muslimischen Gemeinschaften in Nigeria als auch weitgehend alle christlichen Kirchen Homosexualität als verdammenswert angesehen und sie insbesondere nach dem in den nördlichen Bundesstaaten Nigerias praktizierten islamischen Recht noch schwerer bestraft wird. Was die Verdammung von Homosexualität betrifft, stehen allerdings die christlichen Kirchen dem islamischen Kulturkreis nicht nach; so hat zum Beispiel der Erzbischof einer anglikanischen Kirche in Nigeria im Sommer letzten Jahres die Tatsache, dass die englisch-anglikanische Kirche einen Homosexuellen zum Bischof geweiht hat, als "satanische Attacke" auf die Kirche Gotts bezeichnet (vgl. Afrika.com, vom 07.09.2006, Fundstelle Internet).

Weiter ist bekannt geworden, dass die nigerianische Regierung plant, die Strafbarkeit von Homosexualität zu erweitern und auch alle diejenigen bestraft wissen will, die Homosexualität fördern und unterstützen, und zwar in einem sehr weitgefassten Rahmen und ein Verbot von Lebenspartnerschaften gesetzlich fixieren will. Auf der anderen Seite ergibt sich aus den vom Gericht herangezogenen Erkenntnismitteln und Auskünften, dass sowohl dem Auswärtigen Amt als auch amnesty international Referenzfälle von tatsächlicher Verfolgung wegen Homosexualität nicht bekannt geworden sind; allein aus dem Länderbericht von August 2004/Nigeria von ACCORD ergibt sich, dass es solche Fälle gegeben hat oder doch zumindest gegeben haben soll; von diesen berichtet auch das Institut für Afrika-Kunde.

Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Funktion des Justizwesens und die Haftbedingungen in Nigeria, so ergibt sich einerseits im Hinblick auf das Handeln der Justiz, dass deren Unabhängigkeit von der Verfassung garantiert ist, auf sie jedoch erheblicher Druck von außen ausgeübt wird und das dass von der Verfassung ebenfalls normierte Recht auf ein zügiges Verfahren in der Praxis nicht umgesetzt wird (vgl. dazu Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 06.06.2006, Stand April 2006, dort I.4.) und andererseits, dass die Haftbedingungen in nigerianischen Gefängnissen katastrophal sind und es nachweisbar zahlreiche Fälle gibt, in denen Inhaftierte wegen dieser katastrophalen Haftbedingungen zu Tode gekommen sind (vgl. dazu Lagebericht des Auswärtigen Amtes a.a.O., dort III.5.5.).

3.4.

3.4.1. Der Kläger macht geltend, sein Herkunftsstaat Nigeria verfolge ihn allein deswegen, weil er Homosexueller sei. Dieses Vorbringen des Klägers ist richtig.

Nach der europäisch/deutschen Rechtsordnung ist die Tatsache, dass ein Mann homosexuell ist, etwas natürliches, eine Veranlagung oder Neigung, die ein Mann leben kann, und eine Daseins- und Lebensweise, die genauso geschützt ist wie die Lebensweise einer lesbischen Frau oder eines heterossexuellen Menschen. Nach deutschem Recht kann ein homosexueller Mann mit seinem homosexuellen Partner eine Art Ehe im Sinne einer eingetragenen Lebenspartnerschaft eingehen, ausländerrechtlich ist ein Familiennachzug möglich (vgl. § 27 Abs. 2 AufenthG). Das heißt, dass in Deutschland ein homosexueller Mann sich so verhalten und benehmen kann wie alle die Männer, die nicht homosexuell sind. Er kann also genauso Händchen haltend mit seinem Lebenspartner in der Öffentlichkeit auftreten wie ein heterossexueller Mann, der sich Hand in Hand mit seiner Partnerin bewegt.

Soweit es um das Ausleben homosexueller Sexualität geht, unterliegt diese grundsätzlich weder gesetzlichen Einschränkungen und noch Diskriminierungen, es sei denn, es wird in die Rechte schutzwürdiger Dritter eingegriffen, die strafrechtlich durch die §§ 174 ff. StGB geschützt sind (z.B. Schutzbefohlene, Kinder und Jugendliche, so wie das Verbot, mit Gewalt sexuellen Verkehr zu erzwingen).

Ein homosexueller Mann kann also in Deutschland seine Homosexualität i.S. der Wahrnehmung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK leben und ist nur an die sich aus diesen Vorschriften ergebenden Einschränkungen gebunden (Art. 2 Abs. 1, 2 Halbsatz GG, Art. 8 Abs. 2 EMRK).

Im Gegensatz dazu bestraft die nigerianische Rechtsordnung das, was in Deutschland selbstverständlich ist, mit sehr hohen Strafen, wie die oben angeführten Auskünfte des Auswärtigen Amtes, des Instituts für Afrika-Kunde und von amnesty international sowie von ACCORD ergeben. Bestraft wird damit im Grunde nach nigerianischer Rechtsauffassung bereits letztendlich die Tatsache, dass jemand homosexuell ist und sich dazu bekennt, und nicht, wie in der deutschen Rechtsordnung, die Tatsache, dass in schützenswerte Rechte Dritter eingegriffen wird.

Damit liegt eine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Qualifikationsrichtlinie vor, und zwar im Sinne einer unverhältnismäßigen und diskriminierenden Strafverfolgung oder Bestrafung nach Art. 9 Abs. 2 c Qualifikationsrichtlinie. Denn nach europäisch/deutscher Rechtsauffassung ist eine Strafverfolgung, die an eine natürliche Ausprägung eines Menschen anknüpft und der weiter nichts tut, als so zu leben, wie er möchte, unverhältnismäßig und diskriminierend und verletzt damit dessen unveräußerlichen Menschenrechte.

Hinzu kommt, dass, wenn jemand in Nigeria deswegen verurteilt und in ein Gefängnis eingeliefert wird, er dort Bedingungen vorfindet, die den Tatbestand der unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK erfüllen, was ebenfalls als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 a Qualifikationsrichtlinie zu werten ist.

3.4.2. Der Kläger hat auch zu Recht geltend gemacht, er habe begründete Furcht, dass er in Nigeria wegen seiner Homosexualität verfolgt wird.

Nach den oben zitierten vom Gericht eingeholten Auskünften und herangezogenen Erkenntnismitteln verneinen das Auswärtige Amt und amnesty international das Vorhandensein von Referenzfällen, d.h. Verfolgung homosexueller Männer aufgrund der nigerianischen Strafgesetze, während das Institut für Afrika-Kunde (Auskunft vom 11.11.2002) und ACCORD (Nigeria, Länderbericht August 2004, dort 12 sexuelle Orientierung) Referenzfälle benennen. Die Beklagte hat in der letzten mündlichen Verhandlung, unter Vorlage eines Presseberichts, ebenfalls die Auffassung vertreten, dass die Tatsache, dass es in Nigeria auch eine homosexuelle Szene gebe, den Schluss zulasse, dem Kläger drohe im Fall der Rückkehr nach Nigeria keine Gefahr wegen seiner Homosexualität.

Das Gericht geht dennoch davon aus, dass der Kläger zu Recht eine begründete Furcht geltend machen kann im Falle der Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen wegen seiner Homosexualität zu unterliegen. Denn es ist folgendes zu berücksichtigen: Selbst wenn es in den letzten Jahren keine Verfolgung von Homosexuellen in Nigeria gegeben haben soll, sind damit die nigerianischen Strafgesetze, die homosexuelles Sein bestrafen, nicht aus der Welt geschafft, sondern bestehen weiter fort. Hinzu kommt, wie oben bereits ausgeführt, dass der nigerianische Gesetzgeber die Strafbarkeit im Rahmen von Homosexualität ausweiten will und dass die großen Religionsgemeinschaften mit größerem religiösen Eifer als früher gegen die Homosexualität als etwas widernatürliches, unnatürliches und unafrikanisches zu Felde ziehen. Das heißt, die Bedingung, unter denen Homosexuelle in Nigeria leben können, haben sich noch verschlechtert.

Wenn man bei dieser rechtlich-gesellschaftlichen Ausgangslage dem Kläger Flüchtlingsschutz verweigerte und ihn nach Nigeria zurückschickte, bedeutete dies letztendlich, ihn einem ungewissen Schicksal zu überantworten. Dies wäre ein Verstoß der dem Kläger zustehenden Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Grundgesetz verbietet, einen Flüchtling nach dem Motto, es werde ihm schon nichts geschehen, Flüchtlingsschutz verweigern und ihn in seine Heimat zurückzuschicken, wenn keine hundertprozentige Sicherheit besteht, dass keine Verfolgungshandlungen eintreten werden und diese Sicherheit besteht im Fall von Nigeria gerade nicht. Denn niemand kann ausschließen, auch angesichts der Tatsache, dass in den letzten Jahren keine Referenzfälle bekannt geworden sind, dass der Kläger der erste sein könnte, auf den die nach wie vor bestehende, Homosexualität verfolgende Rechts- und Gesellschaftsordnung Nigerias Anwendung findet. Insofern ist die Furcht, die der Kläger vor der Rückkehr in seine Heimat hat, sehr wohl begründet.

3.4.3. Die begründete Furcht vor Verfolgung knüpft auch an die in den oben genannten Vorschriften genannten Verfolgungsgründe an bzw. ist darüber hinaus durch § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG besonders geschützt.

Nach Art. 10 Abs. 1 d liegt eine soziale Gruppe auch dann vor, wenn das gemeinsame Merkmal die sexuelle Ausrichtung ist, wie dies bei Homosexuellen unzweifelhaft zutrifft. Da die nigerianische Rechtsordnung insbesondere auf die sexuelle Ausprägung des homosexuellen Lebens abstellt, ist nach deutschem Recht § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG einschlägig, der über die Qualifikationsrichtlinie hinausgeht.

3.4.4. Vor einer möglichen Verfolgung wegen seiner Homosexualität kann der Kläger in Nigeria nirgends Schutz finden.

3.5. Das Gericht teilt nicht die Auffassung des VG Düsseldorf in seinem Urteil vom 4. September 2006 - Fundstelle juris -, dass der asylrechtliche Schutz des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung nicht uneingeschränkt gilt, sondern nur in den Schranken des Sittengesetzes gewährleistet sei und gleiches gelte, wenn man Art. 8 EMRK beachte, und dass es somit einem Homosexuellen zugemutet werden könne, seine homosexuelle Veranlagung und Betätigung nicht nach außen hin bekannt werden zu lassen, sondern auf den Bereich seines engsten persönlichen Umfelds zu beschränken.

Das Gericht gewährt dem Kläger Schutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG, weil er sich auf die Wahrnehmung eines Menschenrechts auf Freientfaltung seiner Persönlichkeit berufen kann, das nach europäisch-deutscher Rechtsauffassung universell gilt und gerade nicht im Hinblick auf die Rechtsordnungen anderer Länder eingeschränkt werden darf. Denn wenn man zulässt, dass der Schutz von Menschenrechten sich in Deutschland danach zu richten hat, was in anderen Ländern Praxis ist, dann landet man unweigerlich in Guantanamo als besonderen eklatanten Beispiel für die Verletzung grundlegender Menschenrechte durch ein Land, dass sich als demokratisch und zivilisiert betrachtet. Die vom VG Düsseldorf vertretene Auffassung, dass Sittengesetz schränke hier zu Lande das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG ein, so dass sich ein Flüchtling auch nur auf diese eingeschränkte Wahrnehmung dieses Menschenrechts berufen könne, ist falsch.

Aufs schärfste widersprechen möchte allerdings das Gericht dem VG Düsseldorf, wenn es ausführt: "Zum anderen stellt selbst eine Beeinträchtigung von verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechten in anderen Staaten nicht in jedem Fall eine asylerheblich politische Verfolgung dar". Denn damit drückt sich genau die Beliebigkeit aus, die im europäisch/deutschen Rechtsleben zunehmend um sich greift und in der man zulässt, dass aus opportunistischen Gründen Menschenrechte mit den Füßen getreten werden, sei aus wirtschaftlichen, sei es aus politischen. Ein auf das Grundgesetz per Eid verpflichtetes Gericht darf nicht so urteilen.

Das VG Düsseldorf stützt seinen Rückgriff auf das Sittengesetz auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005, BVerwG 115, S. 1 ff. Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist zum Transsexuellengesetz ergangen. Schaut man sich diese Entscheidung an, taucht darin der Begriff des "Sittengesetzes" überhaupt nicht auf. Das Bundesverfassungsgericht verweist lediglich unter B 1.l a auf Art. 2 Abs. 1 GG, in dem in der Tat das Sittengesetz genannt wird. Für die Entscheidung selbst hatte das Sittengesetz keine Relevanz.

Dass das Sittengesetz, das in Art. 2 Abs. 1 GG der freien Entfaltung der Persönlichkeit Grenzen setzt, kein Anknüpfungspunkt für grundrechtseinschränkende Maßnahmen sein kann, ist, soweit ersichtlich, einhellige Meinung in der einschlägigen Rechtsliteratur. Das bedeutet, dass nach deutschem Recht das "Sittengesetz" nur dann eine Schranke sein kann, wenn es in einer Rechtsnorm Niederschlag gefunden hat, aber nicht dann, wenn durch ein bestimmtes Verhalten eines Menschen sittliche Vorstellungen eines anderen Menschen tangiert werden. An einem Beispielsfall erläutert: Wenn im Bezirk des Verwaltungsgerichts Düsseldorf ein homosexueller Mann an der Haustür morgens seinen homosexuellen Lebenspartner mit einem Kuss verabschiedet, so mag das vielleicht das sittliche Empfinden von Eingeborenen in diesem Bezirk gröblich verletzen, berechtigt aber weder diese zum Einschreiten gegen derartiges noch die Staatsgewalt in Form der Polizei.

Auch der Rückgriff des VG Düsseldorf auf Art. 8 EMRK entspricht nicht der gegebenen Rechtslage. Denn ein nach Art. 8 Abs. 2 EMRK möglicher Eingriff in das nach Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Privat- und Familienleben ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für den Schutz der Moral ... notwendig ist. Im Hinblick auf die Frage von Homosexualität hat sich dazu bereits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in einer Entscheidung vom 27. September 1999 (NJW 2000, S. 2089 ff. mit umfangreichen Nachweis) geäußert; misst man an dieser Entscheidung des EGMR die Rechtsauffassung des VG Düsseldorf, liegt dessen doch sehr abwegige Rechtsauffassung offen zu Tage und bedarf keiner weiteren Kommentierung mehr.

Das heißt: Einem Flüchtling, der vorträgt, er könne in seine Heimat als Homosexueller offen nicht leben und wenn er das täte, unterläge er Verfolgungsmaßnahmen des Staates, ist nach europäisch/deutschen Rechtsgrundsätzen Schutz zu gewähren, weil er nach diesen Grundsätzen seine Homosexualität offen leben darf.

Im Übrigen geht der freundliche Ratschlag des VG Düsseldorf an seinen Kläger, er möge sich doch im Hinblick auf seine Homosexualität sehr bedeckt halten und diese nur im engsten Kreise praktizieren, an der Rechtswirklichkeit Ägyptens vorbei, und, wenn man diesen Ratschlag auf den vorliegenden Fall anwendete, auch an der Rechtswirklichkeit eines Staates wie Nigeria. Denn wenn sowohl das Strafrecht als auch fast die gesamte Gesellschaft dieser Länder Homosexualität als widernatürlich und verabscheuenswürdig betrachtet, ist niemand letztendlich vor dem Offenkundigwerden homosexueller Neigungen und Lebensformen geschützt. Es reicht ja schon aus, wenn ein Mitbewohner eines Hauses feststellt, dass sein Nachbar lediglich Männerbesuche empfängt und weit und breit niemals eine Frau zu sehen ist, um ihn ins Zwielicht zu rücken, ihn bei den Behörden hinzuhängen und damit Verfolgungsmaßnahmen auszuliefern. Auch in Deutschland war zurzeit der Geltung des alten § 175 StGB Strafverfolgung aufgrund dieser Vorschrift nicht sehr weit verbreitet, die Strafvorschrift hing aber wie ein Damoklesschwert über den Betroffenen, hat viele Menschenleben ruiniert und kein Homosexueller konnte sicher sein, dass nicht ein missgünstiger Mitmensch ihn anzeigte.

Wenn man sich diese - gottlob vergangene - Rechtswirklichkeit Deutschlands vor Augen hält, wird klar, dass man einem Homosexuellen, der aus einem Land wie Ägypten (VG Düsseldorf) oder Nigeria, wie im vorliegenden Fall Schutz zu gewähren hat, wenn man sich nicht schuldig machen will an der Verfolgung Unschuldiger.