Die Ausländerbehörde ist für die Prüfung von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen zuständig, wenn kein Asylantrag gestellt wird; eine Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung kann mit einer Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG verbunden werden.
(Leitsätze der Redaktion)
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Der Klägerin, die die wirtschaftlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt, ist Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu bewilligen, weil ihre Rechtsverfolgung die gemäß § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Dies gilt zunächst für die Anfechtungsklage gegen die - unter Berücksichtigung des seinerzeitigen Alters der Klägerin jedenfalls gemäß § 68 Abs. 2 AuslG wirksam bekannt gegebene - Abschiebungsandrohung des Beklagten vom 18. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2004. Deren Rechtmäßigkeit beurteilt sich gemäß § 102 Abs. 1 AufenthG nach dem Ausländergesetz. Hierfür kommt es darauf an, ob im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides in Bezug auf Äthiopien ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorlag, das es gemäß § 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG erforderte, in der Abschiebungsandrohung Äthiopien als Staat zu bezeichnen, in den die Klägerin nicht abgeschoben werden darf.
Entgegen der nur am Wortlaut der Vorschrift ausgerichteten Auffassung des Verwaltungsgerichts beschränkt sich der Regelungsgehalt des § 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG nicht auf die Abschiebungshindernisse der §§ 51 und 53 Abs. 1 bis 4 AuslG. Vielmehr ist die Vorschrift erweiternd dahin auszulegen, dass in der Abschiebungsandrohung auch der Staat zu bezeichnen ist, in den der Ausländer nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG aus rechtlich zwingenden Gründen nicht abgeschoben werden darf, etwa wegen des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 1 Abs. 1 GG). Hat die Ausländerbehörde dies nicht beachtet, ist die Abschiebungsandrohung insoweit rechtswidrig, als sie die Abschiebung in einen Staat androht, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf, und mit ihrem rechtswidrigen Teil aufzuheben (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 1996 - 1 C 6.95 -, NVwZ 1997, 685 ff. zu einer ausländerrechtlichen Abschiebungsandrohung, ferner Urteil vom 5. Februar 2004 - 1 C 7.03 - InfAuslR 2004, 323 f.).
Ein derartiges Abschiebungshindernis in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG (jetzt § 60 Abs. 7 AufenthG) ist bei einer allgemeinen, nicht nur dem betreffenden Ausländer, sondern bestimmten Bevölkerungsgruppen oder der Bevölkerung des Abschiebzielstaats insgesamt drohenden Gefahrenlage gegeben, wenn sie (etwa wegen unzureichender oder katastrophaler wirtschaftlicher Existenzbedingungen und/oder medizinischer Versorgung) derart extrem ist, dass praktisch jedem Angehörigen der Bevölkerungsgruppe oder des Staates, der dorthin abgeschoben wird, Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit in erhöhtem Maße und mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit drohen. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn der Ausländer im Falle seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 -, NVwZ 2002, 101 ff. und 19. November 1996, a.a.O.).
Ein solches Abschiebungshindernis überwindet die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG zugunsten einer Leitentscheidung der obersten Landesbehörde nach § 54 AuslG und ist von der Ausländerbehörde zu prüfen und zu beachten, wenn - wie hier - der Ausländer keinen Asylantrag gestellt hat. Der vom Beklagten im Schriftsatz vom 31. Januar 2007 geäußerten Auffassung, über das Vorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse entscheide nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ausschließlich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kann hier nicht gefolgt werden. Unabhängig davon, dass die angeführte Regelung auf die hier streitige Abschiebungsandrohung nicht anwendbar ist, bezieht sie sich nur auf das Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 1 AufenthG ("nach diesem Absatz"); auf dieses Abschiebungshindernis (vor dem 1. Januar 2005 nach § 51 Abs. 1 AuslG), nämlich auf eine Verfolgung wegen der dort aufgeführten Persönlichkeitsmerkmale hat sich die Klägerin von Anfang an ausdrücklich nicht berufen.
Ein zwingendes Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG kommt hier in Betracht, wenn die Klägerin als alleinstehende junge Frau ohne familiären, verwandtschaftlichen oder sonstigen Rückhalt nach Äthiopien abgeschoben wird. In Bezug auf diesen Personenkreis ist in der Rechtsprechung wiederholt eine durch die wirtschaftliche und soziale Lage in Äthiopien bedingte extreme allgemeine Gefahr für Leib und Leben angenommen worden (vgl. Hess. VGH, Urteile vom 23. Januar 2003 - 9 UE 1735/98.A -, juris Rdnr. 130 ff., und 11. Dezember 2000 - 9 UE 2200/98.A -, InfAuslR 2001, 374 ff.; VG Aachen, Urteil vom 26. August 2004 - 7 K 2050/02 -, juris Rdnr. 60 ff.; VG Köln, Urteil vom 4. Juni 2002 - 2 K 7125/97.A -; VG Düsseldorf, Urteil vom 21. September 2000 - 2 K 8098/97.A -).
In der Rechtsprechung des Senats, der für asylverfahrensrechtliche Streitigkeiten in Bezug auf Äthiopien zuständig ist, ist die Frage, ob das in Rede stehende zielstaatsbezogene Abschiebungshindernis vorliegt, bislang nicht geklärt, insbesondere nicht verneint worden. Soweit der Senat in Verfahren auf Zulassung der Berufung mit der Frage nach einer extremen allgemeinen existentiellen Gefährdung von alleinstehenden Personen ohne Rückhalt in Äthiopien befasst war, führte die Prüfung des jeweils hierzu geltend gemachten Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG nicht zur Berufungszulassung, weil sich die Frage im jeweiligen Einzelfall nicht stellte oder der Zulassungsantrag nicht dem Darlegungserfordernis des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG genügte (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 6. Juli 2004 - 19 A 2671/04.A -, 14. Februar 2003 - 19 A 776/03.A -, 29. Mai 2002 - 19 A 4666/01.A -, 25. Oktober 2001 - 19 A 3407/00.A - und - 19 A 4939100.A - sowie 22. Oktober 2001 - 19 A 4539/00.A -).
Es gibt schließlich auch ausreichende, die Bejahung der erforderlichen Erfolgsaussicht im Sinne von § 166 VwGO, § 114 ZPO rechtfertigende Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin zu dem Personenkreis der alleinstehenden jungen Frauen ohne Rückhalt in Äthiopien gehört, für den das zwingende Abschiebungshindernis des § 53 Abs. 6 Satz l AuslG in Betracht kommt.
Hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 166 VwGO, § 114 ZPO hat auch die Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Diese ist entgegen der Auffassung des Beklagten Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens. Die Verpflichtungsklage hat die Klägerin im Wege der Klagehäufung unabhängig vom Regelungsgehalt des Bescheides vom 18. November 2002 mit der Klageschrift anhängig gemacht, indem sie den Klageantrag dahin formuliert hat, den Bescheid des Beklagten vom 18. November 2002 ... aufzuheben "und" diesen zu verpflichten, ihr eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen. Darin liegt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts "unter Aufhebung" nicht nur die Anfechtung der Abschiebungsandrohung in diesem Bescheid, sondern zusätzlich das Verpflichtungsbegehren hinsichtlich der Aufenthaltserlaubnis. Dem steht nicht entgegen, dass dieser Bescheid eine Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht enthält. Dieser Umstand hindert die Klägerin nicht, die Verpflichtungsklage als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zu erheben.
Die Verpflichtungsklage bietet auch in der Sache hinreichende Aussicht auf Erfolg. Anspruchsgrundlage für eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen ist nunmehr - anstelle des § 30 AuslG - § 25 AufenthG. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch ist nach jeder in Betracht kommenden Vorschrift des Aufenthaltsgesetzes - hier des Abschnitts 5 - zu prüfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 - 1 C 14.05 -, NVwZ 2006, 1418 ff. = juris Rdnr. 10 und 11).
Als Anspruchsgrundlage ist hier in erster Linie § 25 Abs. 3 AufenthG zu prüfen.
Darauf, ob auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen einer konkreten Gefahr für Leib und Leben der Klägerin in Äthiopien vorliegt, weil sich ihre psychische Erkrankung wegen unzureichender oder nicht erreichbarer medizinischer Behandlungsmöglichkeiten wesentlich zu verschlimmern droht, kommt es für die vorliegende Entscheidung nicht mehr an. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die vorliegenden fachlichen Stellungnahmen zu einer posttraumatischen Belastungsstörung bei der Klägerin vom 18. Januar 2003, 17. August 2005, 26. September 2005 und 29. September 2005 Veranlassung zur Aufklärung durch eine fachärztliche Begutachtung der Klägerin bieten, wenn es darauf unter Berücksichtigung des Vorstehenden ankommt. Dass die Klägerin die möglicherweise erforderliche psychiatrische Behandlung in Äthiopien erlangen könnte, kann nicht ohne weiteres angenommen werden (vgl. hierzu VG München, Urteil vom 29. Dezember 2006 - M 12 K 03.51361 -, juris, unter Bezugnahme auf die Auskunft der deutschen Botschaft in Addis Abeba vom 11. Oktober 2006; im allgemeinen anders noch OVG NRW, Beschluss vom 22. Februar 2005 - 19 A 4407/03.A -). Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG steht nicht entgegen, dass die Klägerin ihre Passpflicht nicht erfüllt, ihre Identität nicht geklärt und sie ohne das erforderliche Visum eingereist ist. Denn von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG ist gemäß § 5 Abs. 3 1. Halbsatz AufenthG u. a. in den Fällen des § 25 Abs. 3 AufenthG abzusehen.