VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Urteil vom 10.07.2007 - 1 A 285/06 - asyl.net: M11155
https://www.asyl.net/rsdb/M11155
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für afghanischen Staatsangehörigen wegen Konversion zum Christentum.

 

Schlagwörter: Afghanistan, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, Christen, Konversion, Apostasie, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, religiös motivierte Verfolgung
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für afghanischen Staatsangehörigen wegen Konversion zum Christentum.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage hat in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang Erfolg. Im Übrigen ist sie abzuweisen.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Artikel 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes, denn sie berufen sich mit ihrem erst in der Bundesrepublik vollzogenen Übertritt zum christlichen Glauben auf einen unbeachtlichen Nachfluchtgrund (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18.02.1992 - 9 C 59.91 -, DVBL 1992, 843).

Die Kläger haben aber einen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) durch die Beklagte hinsichtlich der islamischen Republik Afghanistan.

Es kann hier dahin stehen, ob die Kläger im Zeitpunkt ihrer Ausreise aus Afghanistan einer asylrelevanten Vorverfolgung unterlagen, denn bei einer Rückkehr in ihr Heimatland droht Ihnen zur Überzeugung des Gerichts wegen ihres Übertritts zum christlichen Glauben politische Verfolgung beachtlicher Wahrscheinlichkeit.

Der Islam ist die Staatsreligion Afghanistans. Das in Artikel 2 Abs. 2 der neuen afghanischen Verfassung den Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften eingeräumte Recht, im Rahmen der Gesetze ihren Glauben auszuüben und ihre religiösen Bräuche zu pflegen, steht unter Gesetzesvorbehalt. Auf die Scharia wird nicht ausdrücklich Bezug genommen. Artikel 130 der Verfassung sieht allerdings für den Fall, dass keine andere gesetzliche Norm anwendbar ist, die Anwendung der Scharia in den Grenzen der Verfassung vor. Nach der Scharia wird Konversion als Verbrechen am Staat betrachtet, für das die Todesstrafe droht (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 11.07.2006). Für christliche Afghanen gibt es keine offene Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens. Darüber hinaus vertritt der Gutachter Dr. Mostafa Danesch in seiner an das erkennende Gericht gerichteten Stellungnahme vom 13.05.2004 die Auffassung, dass es in dem fundamentalistischen, von Stammesmentalität geprägten Afghanistan, in dem Clans bzw. Großfamilien die Einhaltung der in der Gesellschaft herrschenden Werte überwachen, unmöglich ist, den christlichen Glauben auch nur im familiären Bereich ungehindert auszuüben. Der Abfall vom Islam ist nach den Ausführungen des Gutachters als denkbar schwerster religiöser Verstoß anzusehen und kann in der Nachbarschaft bzw. der moslemischen Gemeinde nicht verborgen bleiben. Der Kläger könnte deshalb in Afghanistan nur unbehelligt leben, wenn er seinen Glaubenswechsel geheim halten und von jeglicher christlich-religiösen Aktivität Abstand nehmen würde. Das wird ihm, wie dargestellt, nicht gelingen. Er müsste seinen Glauben verleugnen und ein religiöses Existenzminimum wäre für ihn auch mit Blick auf die Anforderungen der Qualifikationsrichtlinie nicht gewährleistet.

Folglich unterliegen die Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan im Hinblick auf die zu befürchtenden Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit und die aufgrund der Konversion zum christlichen Glauben zu erwartende Gefährdung ihres Lebens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit jedenfalls der Gefahr durch "nicht staatliche Akteure" i. S. v. § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c AufenthG. Den Klägern steht auch in anderen Landesteilen Afghanistans keine inländische Fluchtalternative zur Verfügung; vielmehr sind sie aufgrund des Abfalls vom Islam landesweit einer erheblichen Gefährdung ausgesetzt.