VG Stade

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Zitieren als:
VG Stade, Urteil vom 31.07.2007 - 1 A 1379/06 - asyl.net: M11220
https://www.asyl.net/rsdb/M11220
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Konversion, Apostasie, Christen (katholische), Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, menschenrechtswidrige Behandlung, EMRK, Europäische Menschenrechtskonvention, Freiheit und Sicherheit, Religionsfreiheit, religiöses Existenzminimum
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 5; EMRK Art. 9
Auszüge:

Der Klägerin steht Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952, II, S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Menschenrechtskonvention statuiert in ihrem Art. 5 ein Recht eines jeden Menschen auf Freiheit und Sicherheit. Art. 9 bestimmt darüber hinaus, dass jedermann Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit hat; dieses Recht umfasst die Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, durch die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben.

Die Klägerin hat sich auch zur Überzeugung des Gerichts seit ihrer Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland dem Christentum zugewandt und sich zugleich vom Islam losgesagt. Diese Entwicklung hat bereits im Iran begonnen. In der Bundesrepublik Deutschland hat sich die Klägerin nunmehr der katholischen Kirche zugewandt. Dabei ist letztlich unerheblich, dass es eine Taufe noch nicht gegeben hat. Denn die Aufgabe des bisherigen islamischen Glaubens und die Annahme einer anderen Religion ist primär ein Vorgang, der sich im Inneren eines Menschen abspielt; die Taufe ist lediglich der formelle Schlussakt, der den inneren Überzeugungsprozess besiegelt.

Bei einer Rückkehr in den Iran hätte die Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit relevanten Verfolgungsmaßnahmen seitens des iranischen Staates in Anknüpfung an ihre Zuwendung zum christlichen Glauben zu rechnen.

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat in seinem Urteil vom 19. Oktober 2006 - A 6 K 10335/04 - hierzu Folgendes ausgeführt: ...

Die von der Klägerin zu befürchtenden angesprochenen Verfolgungsmaßnahmen sind auch beachtlich wahrscheinlich. Zwar ist nicht zu erwarten, dass der iranische Staat jeden vom islamischen Glauben abgefallenen und zum christlichen Glauben übergetretenen Staatsangehörigen verfolgen wird. Aufgrund der Willkür des iranischen Regimes ist aber nach der Auffassung des Gerichts bei einer offenen Darstellung des Glaubensübertritts sowie im Falle einer nicht verheimlichten Religionsausübung jedenfalls in einer beträchtlichen Anzahl der Fälle mit der Einleitung von Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen. Schließlich kann bei der Beurteilung des Grades der Wahrscheinlichkeit der von der Klägerin zu erwartenden Verfolgungsmaßnahmen auch nicht gänzlich außer Betracht bleiben, dass der Abfall vom Islam zwar nach dem kodifizierten iranischen Strafrecht nicht mit Strafe bedroht ist, es aber eine ungeschriebene religiös-gesetzliche Strafbarkeit der Apostasie gibt, die im islamischen Kulturkreis nicht mit einer persönlich-seelischen Gewissensentscheidung, sondern mit dem politischen Hochverrat an der Gemeinschaft der Gläubigen in Verbindung gebracht und deswegen als todeswürdiges Verbrechen eingestuft wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2004, NVwZ 2004, 1000; VG Karlsruhe, Urteil vom 19.10.2006).