OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 13.07.2007 - 13 LC 468/03 - asyl.net: M11276
https://www.asyl.net/rsdb/M11276
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Ehegatteneinbürgerung, Rücknahme, Täuschung, Falschangaben, Mehrehe, Scheinehe, Ermessen, Aufenthaltsdauer, rechtmäßiger Aufenthalt
Normen: VwVfG § 48 Abs. 1; RuStAG § 8; RuStAG § 9; VwVfG § 48 Abs. 2 Nr. 1; AuslG § 86
Auszüge:

Die Berufung hat Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Bescheid des Beklagten vom 23. Mai 2002, mit dem die Einbürgerung des Klägers mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 14. Januar 2003 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Entgegen der Auffassung des Klägers liegen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG vor, wonach ein unanfechtbar gewordener rechtswidriger Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann. Nach gefestigter Rechtsprechung, der der Senat folgt, unterliegen auch rechtswidrige Einbürgerungen zumindest unter der Voraussetzung, dass sie durch bewusste Täuschung erwirkt worden sind, der Rücknahme nach § 48 Abs. 1 VwVfG (BVerwGE 118, 216; BVerfG, Urt. v. 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 -, NVwZ 2006, 807; OVG Lüneburg, Urt. v. 22.10.1996, 13 L 7223/94, Nds. Rpfl. 1997, 85; Hess. VGH, Urt. v. 18.5.1998, 12 UE 1542/98, InfAuslR 1998, 505; Hamburgisches OVG, Beschl. v. 28.8.2001, 3 Bs 102/01, InfAuslR 2002, 81; BayVGH, Urt. v. 17.6.2002, 5 B 01.1385, juris; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 29.11.2002, 13 S 2039/01, InfAuslG 2003, 205; a.A. OVG Berlin, Beschl. v. 20.2.2003, 5 S 23.02, InfAuslR 2003, 211).

Die mit der Aushändigung der Urkunde am 15. Dezember 1992 bewirkte Einbürgerung des Klägers in den deutschen Staatsverband war von Anfang an rechtswidrig. Zu jenem Zeitpunkt richtete sich dessen Einbürgerung nach den §§ 8 und 9 Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913 in der Fassung des Gesetzes vom 25. Juli 1986 (RuStAG). Danach sollten Ehegatten Deutscher unter den Voraussetzungen des § 8 RuStAG eingebürgert werden, wenn u. a. gewährleistet war, dass sie sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordneten, es sei denn, der Einbürgerung standen erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland entgegen. Daran hat es beim Kläger gefehlt, weil er bereits fünf Monate nach der Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen in Pakistan erneut eine Ehe mit einer pakistanischen Staatsangehörigen geschlossen hat, aus der in den folgenden Jahren fünf gemeinsame Kinder hervorgegangen sind. Vielmehr folgt er den überzeugenden Ausführungen des Beklagten, wonach die Gesamtumstände hier maßgeblich dafür sprechen, dass es sich bei der inzwischen geschiedenen Ehe des Klägers mit der deutschen Staatsangehörigen um eine Scheinehe gehandelt hat, die ihm zunächst ein Aufenthaltsrecht und alsbald den frühzeitigen Einbürgerungsanspruch verschaffen sollte. Alles dies belegt, dass der Kläger wegen der eingegangenen Mehrehe weiterhin den Ehe- und Familienbegriffen seiner Heimat verhaftet und verpflichtet war.

Eine von Anfang an rechtswidrige Einbürgerung kann zurückgenommen werden, wenn sie erschlichen, d.h. durch arglistige Täuschung (vgl. § 48 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG) herbeigeführt worden ist. Das ist hier der Fall. Denn der Kläger hat im Hinblick auf die mit der pakistanischen Staatsangehörigen geschlossene Ehe gegenüber der Einbürgerungsbehörde Gesichtspunkte verschwiegen, die seiner Einbürgerung offensichtlich entgegenstanden. Die Angaben des Klägers in dem von ihm eingereichten Einbürgerungsantrag waren unvollständig.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts haben die Einbürgerungsbehörden das nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG auszuübende Rücknahmeermessen fehlerfrei betätigt, indem sie die für und gegen die Entscheidung sprechenden maßgeblichen Gesichtspunkte eingestellt und gegeneinander abgewogen haben. Zwar spricht einiges dafür, dass ein zwischenzeitlich entstandener eigenständiger Einbürgerungsanspruch des Ausländers die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung ausschließt (vgl.OVG Lüneburg, Nds. Rpfl. 1997, 85, 86; VGH Kassel, NVwZRR 1999, 274, 276; offen OVG Hamburg, InfAuslR 2002, 81). Die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass dem Kläger ein derartiger eigenständiger Einbürgerungsanspruch seit dem 1. Januar 2000 nach § 85 Abs. 1 AuslG zugestanden habe, trifft indessen nicht zu. Der Senat teilt insoweit die Rechtsauffassung des OVG Hamburg (Beschl. v. 28.8.2001 - 3 Bs 102/01 -, InfAuslR 2002, 81), wonach die Phase des rechtswidrigen Besitzes der Staatsangehörigkeit nicht als rechtmäßiger, gewöhnlicher Inlandsaufenthalt gewertet werden kann. Denn damit würden dem Ausländer durchaus die "Früchte seines Schwindels" zufallen.