OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 13.09.2007 - 11 LA 288/07 - asyl.net: M11555
https://www.asyl.net/rsdb/M11555
Leitsatz:

Die Ausländerbehörde ist unter besonderen Umständen verpflichtet, vorübergehend einen vollmachtslosen Vertreter zuzulassen (hier: Untersuchungshaft während Urlaubsaufenthalts im Ausland).

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsbefugnis, Verlängerungsantrag, Vertretung, Vertreter ohne Vertretungsmacht, Vollmacht, Auslandsaufenthalt, gewöhnlicher Aufenthalt, Zuständigkeit, sachliche Zuständigkeit, örtliche Zuständigkeit, Ausländerbehörde
Normen: AufenthG § 23 Abs. 1; VwVfG § 14; BGB § 177; AuslG § 69 Abs. 3; AuslG § 63 Abs. 3; AufenthG § 81 Abs. 4; AufenthG § 71 Abs. 2; VwGO 124 Abs. 2 Nr. 1
Auszüge:

Die Ausländerbehörde ist unter besonderen Umständen verpflichtet, vorübergehend einen vollmachtslosen Vertreter zuzulassen (hier: Untersuchungshaft während Urlaubsaufenthalts im Ausland).

(Leitsatz der Redaktion)

 

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor. Der Kläger hat am 2. Dezember 2004 durch seine Ehefrau rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbefugnis gestellt. Da die Beklagte in ihrer Zulassungsbegründung das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit dem Runderlass des MI vom 18. Oktober 1990 für den Fall einer wirksamen Antragstellung am 2. Dezember 2004 nicht bestreitet, hat das Verwaltungsgericht zu Recht die Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausgesprochen. Gegen die Wirksamkeit der Antragstellung führt die Beklagte an, für eine analoge Anwendung der Vertretungsregeln des BGB sei kein Raum, weil die Vertretung im Verwaltungsverfahren in § 14 VwVfG abschließend geregelt sei. Entgegen der Ansicht der Beklagten schließt die in § 14 VwVfG geregelte Vertretung des Beteiligten durch Bevollmächtigte nicht eine Vertretung ohne Vertretungsmacht nach §§ 177 ff. BGB aus. Vielmehr gelten diese Regelungen im Verwaltungsverfahren entsprechend (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl. 2005, § 14 Rn. 20; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 14 Rn. 15). Die Behörde kann deshalb nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Verfahrensrechts einen "Vertreter ohne Vertretungsmacht" bzw. ohne Vollmacht auch vorübergehend zulassen; in einem solchen Fall ist die von diesem abgegebene Erklärung erst dann als unzulässig zu behandeln, wenn die Vollmacht nicht innerhalb einer gesetzten Frist vorgelegt wird (Kopp/Ramsauer, a.a.O., §14 Rn. 20).

Gegen die Zulassung einer Vertretung ohne Vertretungsmacht im vorliegenden Einzelfall führt die Beklagte keine durchgreifenden Gesichtspunkte an. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat es der handelnde Sachbearbeiter der Ausländerbehörde der Beklagten bei Vorsprache der Ehefrau des Klägers in Begleitung eines Zeugen am 2. Dezember 2004 zwar abgelehnt, den nur von der Ehefrau des Klägers unterschriebenen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis entgegenzunehmen. Daraus lässt sich aber nicht schließen, dass die Beklagte eine vorübergehende vollmachtlose Vertretung der Ehefrau des Klägers von vornherein ausgeschlossen hat. Wie bereits ausgeführt, ließe sich eine solche Verwaltungspraxis nicht allein auf Nr. 69.01 Satz 2 AuslG-VwV stützen.

Abgesehen davon bestand wegen der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls für die Beklagte Veranlassung, die Vertretung des Klägers durch seine vollmachtlose Ehefrau vorläufig zu gestatten. Der Kläger befand sich unstreitig in dem Zeitraum vom 15. November 2004 bis zum 5. Januar 2005 im Libanon in Untersuchungshaft. Nach dem glaubhaften Vorbringen des vom Verwaltungsgericht vernommenen Zeugen ..., bei dem es sich um einen Freund der Familie des Klägers handelt, war für die Familie des Klägers zum Zeitpunkt der Vorsprache der Ehefrau bei der Ausländerbehörde am 2. Dezember 2004 unklar, "was mit dem Kläger im Libanon genau geschehen war". Angesichts dieser außergewöhnlichen Situation bestand kein sachlicher Grund, die Ehefrau des Klägers wegen der fehlenden Vollmacht zurückzuweisen.

Die von der Beklagten angeführten Rechtsvorschriften stehen der Wirksamkeit der Antragstellung am 2. Dezember 2004 nicht entgegen. Die Beklagte macht geltend, aus §§ 69 Abs. 3, 63 Abs. 3 AuslG (bzw. §§ 81 Abs. 4, 71 Abs. 2 AufenthG) ergebe sich, dass der Kläger wegen seines Auslandsaufenthalts bei Ablauf der Frist zur Verlängerung seiner Aufenthaltsbefugnis am 8. Dezember 2004 den Antrag nur bei der zuständigen Auslandsvertretung wirksam hätte stellen können. § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AuslG regelt die fiktive Weitergeltung des Aufenthaltstitels im Falle eines von einem Ausländer, der sich seit mehr als sechs Monaten rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, gestellten Antrags auf Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung. Der Vorschrift ist nicht zu entnehmen, dass sich der Ausländer zum Zeitpunkt der Stellung des Verlängerungsantrags zwingend im Bundesgebiet aufhalten muss. § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AuslG besagt lediglich, dass der Aufenthalt des antragstellenden Ausländers im Bundesgebiet rechtmäßig sein muss, verhält sich jedoch nicht dazu, ob ein Auslandsaufenthalt den Aufenthalt im Bundesgebiet beendet. Diese Frage lässt sich vielmehr - für die hier gegebene Fallkonstellation - zu Ungunsten der Beklagten aus dem Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ableiten, mit dessen Hilfe die örtlichen Zuständigkeiten der Ausländerbehörden abgegrenzt werden. Hierzu ist anerkannt (Renner, AuslR, 8. Aufl. 2005, § 71 Rn. 4), dass der gewöhnliche Aufenthalt eines Ausländers durch einen Urlaub im Ausland nicht unterbrochen wird (vgl. auch § 51 Abs. 1 Nr. 6 u. Nr. 7 AufenthG). Der Kläger befand sich in dem hier maßgeblichen Zeitraum unstreitig in Urlaub im Libanon. Die Beklagte blieb demnach für den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis sachlich und örtlich zuständig.