VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 30.07.2007 - AN 11 K 07.30522 - asyl.net: M11698
https://www.asyl.net/rsdb/M11698
Leitsatz:
Schlagwörter: Ägypten, Blutrache, Glaubwürdigkeit, Verfolgung durch Dritte, mittelbare Verfolgung, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Konversion, Apostasie, Christen, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, nichtstaatliche Verfolgung, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Todesstrafe
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 5; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

1. Ein Asylanspruch besteht nicht unter dem Gesichtspunkt einer Vorverfolgung insbesondere wegen befürchteter Blutrache durch die Familie eines vom Kläger angeblich verletzten Jugendlichen in Ägypten.

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben durch die Rechtsprechung bestehen bereits erhebliche und durchgreifende Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit des Vortrags des Klägers, er sei wegen befürchteter Blutrache aus Ägypten ausgereist. Die Schilderungen des Klägers zur Blutrache in Ägypten in seinem Fall widersprechen auch der Realität vor Ort. Nach Dr. Büttner (Stellungnahme vom 13.3.2006) vollzieht sich selbst in Stammesgesellschaften, in denen Ehrenmorde noch an der Tagesordnung waren, spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts ein sozialer Wandel. Die früher anzutreffende Selbstgerechtigkeit treffe immer weniger auf allgemeine Zustimmung in der Gesellschaft. In Ägypten selbst waren auch in zurückliegenden Jahrzehnten entsprechende Vorfälle viel seltener als z.B. in der Türkei. Darüber hinaus kamen solche Morde in Ägypten am ehesten in Oberägypten bzw. in den Ansiedlungsgebieten der Beduinen am Rande des Nildeltas vor. In Fällen einer nicht vorsätzlichen Tötung wird üblicherweise auch Blutgeld gezahlt. Dies habe die Familie des Klägers aber gar nicht angeboten. Schließlich muss dem Kläger auch entgegengehalten werden, dass er erst nach Inhaftierung im Januar 2007 einen Asylantrag gestellt hat, obwohl er bereits im Jahr 1988 eingereist war.

Im Übrigen hat der Kläger selbst eine diesbezügliche oder anderweitige unmittelbare oder mittelbare staatliche Verfolgung gar nicht vorgetragen.

Nach diesen Grundsätzen ist nicht festzustellen, dass der ägyptische Staat die Blutrache zulässt oder im vorgenannten Sinn duldet. Vielmehr ist dieser insoweit grundsätzlich zur Schutzgewährung bereit (VG Oldenburg vom 22.10.2002, zitiert nach Asylmagazin). Etwas Anderes folgt schon nicht aus dem eigenen Vortrag des Klägers.

2. Der nunmehrige Vortrag des Klägers, er sei in Deutschland zum Christentum konvertiert, stellt einen sog. subjektiven Nachfluchtgrund dar. Dieser muss wie jeder andere Asylgrund glaubhaft gemacht werden. Weiter unterliegt er – selbst bei Vorliegen – dem Vorbehalt des § 28 Abs. 1 AsylVfG.

Schließlich wäre eine unmittelbare oder mittelbare staatliche Verfolgung bei einer Rückkehr von Personen, die im Ausland vom Islam zum Christentum übertreten, nicht anzunehmen. Hierzu berichten die Auskunftsstellen weitgehend übereinstimmend. Nach dem Auswärtigen Amt (Auskunft vom 6.9.2001) sind nach der ägyptischen Verfassung die Glaubensfreiheit und die Ausübung religiöser Riten gewährleistet und geschützt. Apostasie ist nirgends in der ägyptischen Rechtsordnung unter Strafe gestellt. Dem ägyptischen Staat obliegt es, religiösen Minderheiten Schutz zu gewähren. Verstößt aber ein Konvertit gegen das Verbot der aktiven Missionierung oder bringt er seinen Glaubenswechsel in einer den Religionsfrieden gefährdenden Weise zum Ausdruck, setzt er sich der Gefahr eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens wegen Gefährdung des Staats aus. Ferner kann die Konvertierung zu Nachteilen im Familien- oder Erbrecht führen. Nach dem Deutschen Orient-Institut (Stellungnahmen vom 3.1. und 2.9.2002 und vom 1.12.2003) ist die Strafbarkeit der Apostasie lediglich religiöses islamisches Recht. Dieser Teil der islamischen Rechtslehre ist nämlich nicht Gegenstand des gegenwärtig gültigen staatlichen Rechts in Ägypten. Es gibt daher keine ausdrücklichen Strafvorschriften gegen die Apostasie. Starke, freilich vom Regime heftig bekämpfte Kreise tun aber so, als müsse eine religiöse Strafbarkeit auch staatlich umgesetzt werden. Zwar ist die Konversion zum Christentum nach staatlichem Recht unwirksam und wird personenstandsrechtlich nicht anerkannt. Die Probleme liegen aber im gesellschaftlich-familiären Bereich, da die Konversion zum Christentum dort als krasser und verabscheuungswürdiger Tabubruch gilt. Fälle direkter staatlicher Repressionen lassen sich schwer verifizieren und könnten nur mit der Gefährdung der nationalen Einheit begründet werden. Dies wäre aber nur der Fall bei nicht geheim und innerfamiliär behandelten Konversionen. Eine Gefahr könnte einem Konvertiten auch dann drohen, wenn er in das Fadenkreuz moslemischen Fundamentalisten geraten würde, weil ihm dann sogar körperliche Gewalt drohen könnte. Eine konservativ-moslemische oder gar islamistische Familie würde den Konvertiten isolieren und er müsste diese verlassen. Nach der IGFM (Berichte vom 5.7.2005 und 30.4.2007) wurde ein Konvertit von der Sicherheitspolizei in Kairo gefoltert und in eine psychiatrische Anstalt zwangseingewiesen und ein bekannter Konvertit nach fast 25 Monaten Haft wegen Geringschätzung des Islam freigelassen. Auf solche und vergleichbare Berichte beruft sich der Kläger.

Nach Würdigung und Bewertung dieser Auskunftslage ist das Gericht der Überzeugung, dass grundsätzlich keine staatliche Verfolgung auch nicht mittelbarer Art von Konvertiten in Ägypten stattfindet. Der ägyptische Staat hält sich aus diesem Problem heraus und verweist es in den familiären Bereich. Nur wenn eine Konversion öffentliches Aufsehen erregt, schreitet er zur Sicherstellung der Ruhe und Ordnung ein. Diese Auffassung wird so auch in der Rechtsprechung vertreten (VG Würzburg vom 18.10.2000 und VG Düsseldorf vom 2.8.2002 aA Hbg OVG vom 10.12.1992).

3. Es ergibt sich aber – wenn nicht ohnehin der Ausschlussgrund des § 28 Abs. 1 AsylVfG ebenfalls entsprechend anwendbar ist – auch kein Anspruch auf Feststellung des Abschiebungsverbots des § 60 Abs. 1 AufenthG, dessen Voraussetzungen nach Satz 1 mit Ausnahme der Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure nach Abs. 1 Satz 4 c) als inhaltlich entsprechende Regelung wie bisher § 51 Abs. 1 AuslG (BT-Drks. 15/420 Seite 91) bezüglich der Verfolgungshandlung, des geschützten Rechtsguts sowie des politischen Charakters der Verfolgung mit denen des Art. 16a Abs. 1 GG deckungsgleich sind (BVerwG NVwZ 1992, 676 und 1994, 697).

4. Es bestehen auch keine Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG.