SG Aachen

Merkliste
Zitieren als:
SG Aachen, Beschluss vom 12.10.2007 - S 20 AY 12/07 ER - asyl.net: M11796
https://www.asyl.net/rsdb/M11796
Leitsatz:

Zeiten des Bezugs von Leistungen nach § 1 a AsylbLG sind jedenfalls dann bei der Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG zu berücksichtigen, wenn die Kürzung offensichtlich rechtswidrig war.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Verwaltungsakt, Regelungswirkung, Leistungskürzung, Vertretenmüssen, Abschiebungshindernis, Passlosigkeit, Passbeschaffung, Irak, Ursächlichkeit, Abschiebungsstopp, Erlasslage, Aufhebung, 36-Monats-Frist, 48-Monats-Frist, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Eilbedürftigkeit
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; AsylbLG § 1a Nr. 2; AsylbLG § 9 Abs. 3; SGB X § 44 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2
Auszüge:

Zeiten des Bezugs von Leistungen nach § 1 a AsylbLG sind jedenfalls dann bei der Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG zu berücksichtigen, wenn die Kürzung offensichtlich rechtswidrig war.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.

Ein Anordnungsgrund im Sinne der Eilbedürftigkeit für eine gerichtliche Entscheidung ergibt sich bereits daraus, dass die begehrten Leistungen nach § 2 AsylbLG i.V.m. dem SGB XII lediglich geeignet sind, das sog. soziokulturelle Existenzminimum des Ast. sicherzustellen. An diesem haben sich nach dem SGB XII bemessene Leistungen zu orientieren (LSG NRW, Beschluss vom 20.04.2007 - L 20 B 4/07 AY ER). Ein dringendes Regelungsbedürfnis ist nicht schon deswegen abzulehnen, weil der Ast. zumindest die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG weiter bezieht. § 3 AsylbLG gewährt keine laufende Hilfe zum Lebensunterhalt im Sinne der §§ 27 ff. SGB XII i.V.m. der jeweils gültigen Regelsatzverordnung, sondern nur die erheblich niedrigeren Grundleistungen, die unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums liegen (LSG Hamburg, Beschluss vom 27.04.2006 - L 4 B 84/06 ER AY; LSG NRW, Beschluss vom 29.03.2006 - L 20 B 6/06 AY ER; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27.03.2006 - L 3 ER 37/06 AY; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 07.03.2006 - L 8 B 13/05 AY ER).

Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens gebotene summarische Prüfung des Anordnungsanspruchs hat ergeben, dass dieser zu bejahen ist.

Der Anordnungsanspruch ergibt sich jedoch daraus, dass der Ast. spätestens ab der 2. Hälfte des Monats Juni 2007 die zu diesem Zeitpunkt noch geltende Frist von 36 Monaten eines Bezugs von Leistungen nach § 3 AsylbLG erfüllt hat. Dabei sind die Zeiten des Bezugs gekürzter Leistungen nach § 1 a AsylbLG mit einzubeziehen. Denn die Kürzungen in diesem Zeitraum waren offensichtlich rechtswidrig. Es ist kein Verhalten des Ast. ersichtlich, das in den oben aufgeführten Zeiträumen des Bezugs von Leistungen nach § 1a AsylbLG eine Leistungskürzung gerechtfertigt hätte. Dies wäre nach der allein in Betracht kommenden Alternative des § 1a Nr. 2 AsylbLG nur dann der Fall gewesen, wenn beim Ast. aus von ihm zu vertretenen Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden konnten. Es kann hier dahinstehen, ob die in der Kürzungsmitteilung vom 21.10.2005 dargelegten Gründe, dass der Ast. nicht im Besitz eines irakischen Reisedokuments sei und nicht bereit sei, den zur Ausreise erforderlichen Pass zu beschaffen, überhaupt geeignet sind, den Rechtsmissbrauchstatbestand zu erfüllen. Selbst wenn der Ast. sich derart verhalten hätte, wäre dieses Verhalten nicht dafür ursächlich gewesen, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht hätten vollzogen werden können. Denn auch wenn er alle Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt hätte und im Besitz gültiger irakischer Reisedokumente gewesen wäre, hätte er gegen seinen Willen nicht abgeschoben werden können, da zum damaligen Zeitpunkt ein Abschiebestopp in den Irak bestand. Dies wird auch vom Antragsgegner nicht bestritten.

Es kann hier dahinstehen, ob in einer Mitteilung über die Kürzung von Leistungen nach § 3 AsylbLG auf solche nach § 1a AsylbLG überhaupt ein Verwaltungsakt zu sehen ist (verneinend: LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.12.2006 - L 8 B 24/06 AY ER). Wenn es sich bei den entsprechenden Kürzungsbescheiden um Verwaltungsakte gehandelt hat, wären diese jedenfalls als nach § 9 Abs. 3 AsylbLG i.V.m. § 44 Abs. 1 SGB X aufzuheben, da - wie dargelegt - das Recht bei Erlass dieser Verwaltungsakte unrichtig angewandt worden ist (zur Anwendbarkeit von § 44 SGB X im Asylbewerberleistungsrecht ausführlich: SG Aachen, Urteil vom 19.06.2007- 20 AY 4/07).

Sind nach alledem die Zeiten des Bezugs gekürzter Leistungen nach § 1a AsylbLG wegen der Rechtswidrigkeit dieser Kürzungen als Zeiten des Bezugs von Leistungen nach § 3 AsylbLG anzusehen, so ergibt sich aus der Addition der Leistungsbezugszeiten, dass der Ast. spätestens in der 2. Hälfte des Juni 2007 die damals noch geltende 36-Monatsfrist nach § 2 Abs. 1 AsylbLG erfüllt hat. Soweit zwischenzeitlich durch Artikel 6 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl I S. 1970) die Frist in § 2 Abs. 1 AsylbLG auf 48 Monaten angehoben worden ist, wirkt sich dies im Fall des Ast. nicht aus, da diese Regelung erst im August 2007 in Kraft getreten ist, zu einem Zeitpunkt also, als der Ast. schon Anspruch auf Leistungen nach, § 2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des SGB XII hatte. Die Frist des § 2 AsylbLG wird durch einen Leistungsbezug über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten (jetzt: 48 Monaten) erfüllt. Die Frist kann auch durch den Bezug von Leistungen unmittelbar nach dem SGB XII oder nach § 2 AsylbLG entsprechend dem SGB XII erfüllt werden (SG Aachen a.a.O.). Deshalb sind in die Fristberechnung auch die 3 Monate des Bezugs von Leistungen nach § 2 AsylbLG vom 01.03. bis 30.05.2007 einzubeziehen. Soweit der Ag. unter Bezug auf eine Entscheidung des OVG Niedersachsen vom 27.03.2001 meint, nachhaltige Unterbrechungen eines Leistungsbezugs (von mindestens 6 Monaten) und das "Untertauchen" des Ast. über längere Zeiträume führe zu einem Neubeginn der Frist nach § 2 AsylbLG nach dem Ende des Unterbrechungstatbestandes, findet dies im Gesetz keine Stütze und wird - soweit ersichtlich - von der sozialgerichtlichen Rechtsprechung nicht geteilt.