VGH Bayern

Merkliste
Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 14.11.2007 - 5 B 05.3039 - asyl.net: M12014
https://www.asyl.net/rsdb/M12014
Leitsatz:

Ein minderjähriges Kind verliert die deutsche Staatsangehörigkeit nicht nach § 25 Abs. 1 StAG, wenn es eine ausländische Staatsangehörigkeit lediglich kraft automatischer gesetzlicher Erstreckung mit der Einbürgerung seiner Eltern erwirbt (hier: Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit).

 

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Staatsangehörigkeit, deutsche Staatsangehörigkeit, Verlust, Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit, Feststellung, Feststellungsklage, Wiedereinbürgerung, Türken, Türkei, Kinder, Antrag, Eltern, Erstreckungserwerb, Mitwirkungspflichten, Akteneinsicht
Normen: VwGO § 43 Abs. 1; StAG § 30; VwGO § 43 Abs. 2; StAG § 25 Abs. 1; StAG § 19 Abs. 1; StAG § 19 Abs. 2; GG Art. 16 Abs. 1; StAG § 37 Abs. 1; AufenthG § 82
Auszüge:

Ein minderjähriges Kind verliert die deutsche Staatsangehörigkeit nicht nach § 25 Abs. 1 StAG, wenn es eine ausländische Staatsangehörigkeit lediglich kraft automatischer gesetzlicher Erstreckung mit der Einbürgerung seiner Eltern erwirbt (hier: Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit).

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die Berufung der Landesanwaltschaft Bayern bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

1. Die mit dem Hauptantrag aufrecht erhaltene Feststellungsklage ist weiterhin zulässig (§ 43 Abs. 1 VwGO). Zwar sieht das Staatsangehörigkeitsgesetz seit seiner Änderung durch Art. 5 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) nunmehr erstmals eine verbindliche behördliche Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit als rechtsgestaltenden Verwaltungsakt vor (vgl. § 30 StAG n.F.). Demnach kann der Kläger inzwischen sein Rechtsschutzziel statt mit einer Klage auf gerichtliche Feststellung durch eine Klage auf Verpflichtung zum Erlass einer solchen behördlichen Statusentscheidung verfolgen, wie er das mit seiner Klageerweiterung im Berufungsverfahren auch hilfsweise unternimmt. Gleichwohl scheitert die bereits anhängige Feststellungsklage nicht an ihrer in § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO normierten Subsidiarität gegenüber der Verpflichtungsklage. Denn maßgeblich für die Subsidiarität ist der Zeitpunkt der Klageerhebung.

2. Die Feststellungsklage ist begründet. Der Kläger hat die durch Einbürgerung am 14. Mai 1999 erworbene deutsche Staatsangehörigkeit durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit am 15. Juni 2001 nicht verloren.

a) Nach § 25 Abs. 1 StAG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBl I S. 1618) verliert ein Deutscher seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, wenn dieser Erwerb auf seinen Antrag oder auf den Antrag des gesetzlichen Vertreters erfolgt, der Vertretene jedoch nur, wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach § 19 StAG die Entlassung beantragt werden könnte. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 StAG kann die Entlassung einer Person, die unter elterlicher Sorge oder unter Vormundschaft steht, nur von dem gesetzlichen Vertreter und nur mit Genehmigung des deutschen Vormundschaftsgerichts beantragt werden. Nach § 19 Abs. 2 StAG ist die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts nicht erforderlich, wenn der Vater oder die Mutter die Entlassung für sich und zugleich kraft elterlicher Sorge für ein Kind beantragt und dem Antragsteller die Sorge für die Person dieses Kindes zusteht. Wenn beide Eltern die elterliche Sorge für das minderjährige Kind innehaben, wie das beim Kläger bis zum Eintritt in die Volljährigkeit am 1. Juni 1999 der Fall war, dann ist § 19 Abs. 2 StAG im Rahmen des § 25 Abs. 1 StAG in dem Sinne anzuwenden, dass beide Elternteile den Antrag auf Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit für sich und zugleich für das Kind gestellt haben müssen. Denn auch bei Minderjährigen tritt der Staatsangehörigkeitsverlust nur ein, wenn die fremde Staatsangehörigkeit auf einen für sie gestellten Antrag erworben wird. Die entsprechende Anwendbarkeit des § 19 Abs. 2 StAG lässt nicht das Erfordernis des Erwerbs auf Antrag entfallen, sondern führt lediglich zur Entbehrlichkeit der vormundschaftlichen Genehmigung, wenn die Eltern einen Antrag auf Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit für sich und zugleich für ihr Kind stellen (BVerwG, U.v. 9.5.1986 – 1 C 40.84, NJW 1987, 1157). § 19 StAG bezweckt den Schutz minderjähriger Personen vor nachteiligen Verfügungen über ihre Staatsangehörigkeit und geht als Sondervorschrift den allgemeinen Regelungen über die Geschäftsfähigkeit und die staatsangehörigkeitsrechtliche Handlungsfähigkeit nach § 37 StAG i.V.m. § 68 Abs. 1 und 3 AuslG (§ 80 Abs. 1 und 3 AufenthG) vor.

b) Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit liegen beim Kläger nicht vor.

aa) Der Kläger hat allerdings die türkische Staatsangehörigkeit nach dem dafür allein maßgeblichen türkischen Recht wirksam erworben.

bb) Der Kläger hat die deutsche Staatsangehörigkeit dennoch nicht verloren, weil er die türkische Staatsangehörigkeit als (vermeintlich) minderjähriges Kind nicht in der von § 25 Abs. 1 StAG geforderten Weise auf Antrag erworben hat.

(1) Unbeachtlich ist entgegen der Ansicht des Klägers zunächst der Umstand, dass seine Eltern die Wiedereinbürgerungsanträge noch gestellt hatten, bevor der Anwendungsbereich des § 25 StAG durch das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBl I S. 1618) auch auf im Inland wohnende Personen erweitert wurde. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass für die Anwendbarkeit des neugefassten § 25 StAG allein der Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit nach dem Inkrafttreten am 1. Januar 2000 maßgeblich ist und es nicht darauf ankommt, ob der darauf gerichtete Antrag vor oder nach diesem Zeitpunkt gestellt worden ist (BayVGH, B.v. 23.9.2005 – 5 C 05.2108, NVwZ-RR 2006, 732, U.v. 8.3.2007 – 5 BV 06.283, juris; BVerfG, B.v. 8.12.2006 – 2 BvR 1339/06, NVwZ 2007, 441; BVerwG, B.v. 14.2.2007 – 5 B 190.06, juris).

(2) Es fehlt jedoch an einem auf (Wieder-)Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gerichteten Antrag für den Kläger. Ein Antrag, der nach § 25 Abs. 1, § 19 Abs. 2 StAG die Verlustfolge auslösen könnte, läge nur vor, wenn beide sorgeberechtigten Elternteile des Klägers in Verbindung mit den Anträgen auf ihre eigene Wiedereinbürgerung in den türkischen Staat ihren Willen dahin zum Ausdruck gebracht hätten, die Einbürgerung auf den damals noch minderjährigen Kläger zu erstrecken. Dazu müsste eine Willensbetätigung beider sorgeberechtigten Elternteile vorliegen, die erkennen lässt, dass sie mit ihrer eigenen Einbürgerung auch diejenige des Kindes herbeiführen wollen. Ein bloßes Hinnehmen der gesetzlichen Erstreckungswirkung oder ein inneres Einverständnis mit ihr reicht hingegen nicht aus (vgl. BVerwG, U.v. 9.5.1986 – 1 C 40.84, NJW 1987, 1157/1158).

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass jedenfalls nicht beide Elternteile des Klägers solche, ihren damals noch minderjährigen Sohn mit einbeziehenden Anträge gestellt haben. Gegen eine derartige, vom Kläger glaubhaft bestrittene Willensbetätigung der Eltern sprechen die türkische Rechtslage und die Umstände der Wiedereinbürgerung. Nach Art. 16 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes werden minderjährige Kinder im Falle der Einbürgerung ihres Vaters diesem folgend türkische Staatsangehörige (Abs. 1); nur unter bestimmten, hier offenkundig ausscheidenden Voraussetzungen folgen sie ihrer Mutter in die türkische Staatsangehörigkeit (Abs. 2). In beiden Fällen handelt es sich, wie bereits der Gesetzeswortlaut nahe legt, um einen zwingenden gesetzlichen Erstreckungserwerb, der weder den Eltern noch den türkischen Staatsangehörigkeitsbehörden irgendeinen Entscheidungsspielraum belässt.

Dem Kläger kann nicht zum Nachteil gereichen, dass die von seinen Eltern gestellten Wiedereinbürgerungsanträge den deutschen Behörden und Gerichten nicht vorliegen. Für eine Verletzung der Mitwirkungspflichten (§ 37 Abs. 1 StAG i.V.m. § 82 AufenthG) oder gar eine Beweisvereitelung besteht kein Anhaltspunkt. Abgesehen davon, dass die Reichweite der Mitwirkungspflichten im Verfahren über den Verlust der Staatsangehörigkeit gegenüber der Verpflichtung beim Erwerb eingeschränkt ist (Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl. 2005, RdNr. 8 zu § 37; Marx in GK-StAR, IV-2 § 37 RdNr. 12), haben sich der Kläger und sein Vater wiederholt bei den türkischen Behörden um Einsicht in die Akten und Aushändigung einer Kopie des Einbürgerungsantrags bemüht.

(3) Selbst wenn aber beide Elternteile des Klägers auch für diesen einen Antrag auf Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gestellt haben sollten, so wäre gleichwohl die Verlustfolge des § 25 Abs. 1 StAG nicht eingetreten. Denn ein solcher – unterstellter – Antrag der Eltern kann für den Staatsangehörigkeitserwerb des Klägers nicht ursächlich geworden sein, sodass es sich nicht um einen Erwerb "auf Antrag" im Sinne des § 25 Abs. 1 StAG handelt.

Mit der Voraussetzung, dass die fremde Staatsangehörigkeit auf einen Antrag erworben sein muss, will das Gesetz den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ausschließen, wenn der Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes erfolgt (BVerwG, U.v. 9.5.1986 – 1 C 40.84, NJW 1987, 1157). Der Staatsangehörigkeitsverlust tritt nur als Folge eines freiwilligen und damit willensabhängigen Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit ein, wodurch sichergestellt ist, dass er keine durch Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG verbotene Entziehung der Staatsangehörigkeit darstellt (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2006 – 2 BvR 1339/06, NVwZ 2007, 441/442). Damit ist, wie schon der Wortlaut des § 25 Abs. 1 StAG nahe legt, grundsätzlich eine Ursächlichkeit des Antrags für diesen Erwerb zu verlangen (vgl. Makarov/v. Mangoldt, a.a.O., RdNr. 28. zu § 25 RuStAG, Marx in GK-StAR, IV-2 § 25 RdNrn. 29 ff.). Gleichwohl wird mit Blick auf minderjährige Kinder die Ansicht vertreten, dass die Verlustfolge des § 25 Abs. 1 StAG in Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz auch dann eintreten kann, wenn sich die Einbürgerung der Eltern allein kraft Gesetzes auf das Kind erstreckt, also ohne eine wie auch immer geartete Entscheidung durch die ausländische Staatsangehörigkeitsbehörde; es reiche aus, dass die Eltern den Willen bekundet hätten, dass neben ihnen auch das Kind die beantragte Staatsangehörigkeit erwerben solle (vgl. Makarov/v. Mangoldt, a.a.O., RdNrn. 42 ff. zu § 25 RuStAG; Marx, a.a.O., § 25 RdNrn. 29 ff.; kritisch Hailbronner/Renner, a.a.O., RdNr. 20 zu § 25 StAG).

Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage bislang ausdrücklich offen gelassen (BVerwG, U.v. 9.5.1986 – 1 C 40.84, NJW 1987, 1157; anders noch die Vorinstanz BayVGH, U.v. 27.6.1984 – 5 B 81 A. 1580). Der Senat vertritt die Auffassung, dass der Staatsangehörigkeitsverlust nach § 25 Abs. 1, § 19 Abs. 2 StAG auch bei minderjährigen Kindern eine Ursächlichkeit des Antrags voraussetzt und mithin entsprechend dem allgemeinen Grundsatz bei einer ausschließlich durch das Gesetz bewirkten Einbürgerungserstreckung ausscheidet. Der für die Gegenansicht allein angeführte Grund, anderenfalls wäre der vom Gesetz für Sorgeberechtigte und Kinder gemeinsam gewollte Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit unmöglich (Makarov/v. Mangoldt, a.a.O., RdNrn. 43 zu § 25 RuStAG), kann nicht überzeugen. Denn ein solches Konzept der Familieneinheit beim Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit liegt § 25 Abs. 1, § 19 Abs. 2 StAG gerade nicht zugrunde. Indem das Gesetz die Verlustfolge an den für jeden Familienangehörigen gesondert zu beurteilenden Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit auf Antrag knüpft (vgl. oben 2a), nimmt es hin, dass sich die staatsangehörigkeitsrechtlichen Verhältnisse zwischen Eltern und ihren minderjährigen Kindern unterschiedlich entwickeln können, je nachdem ob ein Antragserwerb erfolgt oder nicht. Damit aber fehlt es an einem tragfähigen Grund, bei Minderjährigen von dem Erfordernis einer Ursächlichkeit des Antrags für den Staatsangehörigkeitserwerb abzusehen. Die bloße Willensbekundung der Eltern kann den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit mit seinen weitreichenden Folgen nicht rechtfertigen, wenn das Recht des aufnehmenden Staates ihr keinerlei rechtliche Bedeutung beimisst und die Einbürgerungserstreckung zwingend auf die minderjährigen Kinder vorschreibt, ob die Eltern das wollen oder nicht. Denn zum einen knüpft § 25 Abs. 1 StAG die Verlustfolge nicht an die Willensbekundung als solche, sondern an den durch sie bewirkten und deshalb freiwilligen Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit. Zum anderen kommt einer elterlichen Willensäußerung im Fall des gesetzlichen Erstreckungserwerbs allenfalls geringe Aussagekraft zu, weil es typischerweise von Zufälligkeiten, wie etwa dem verwendeten Antragsformular oder der Beratung durch die Behörde des aufnehmenden Staates abhängt, ob die Eltern hinreichend deutlich erklären, die (gesetzlich zwingende) Erstreckung der eigenen Einbürgerung auf ihre minderjährigen Kinder zu "wollen" oder diese nur hinnehmen. Den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit an solche rechtlich unbeachtlichen und in ihrem Aussagegehalt zweifelhaften Willenbekundungen zu knüpfen, lässt sich mit der verfassungsrechtlich gebotenen Verlässlichkeit des Staatsangehörigkeitsstatus (vgl. BVerfG, U.v. 24.5.2006 – 2 BvR 669/04, BVerfGE 116, 24/44 f.) schwerlich vereinbaren.