Keine extreme Gefahrenlage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 AufenthG für alleinstehende Männer mit familiärer Unterstützung in Kabul; zwar herrscht in Kabul ein bewaffneter Konflikt i.S.d. Art. 15 Bst. c der Qualifikationsrichtlinie, aber es besteht noch keine erhebliche konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens für Rückkehrer.
Keine extreme Gefahrenlage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 AufenthG für alleinstehende Männer mit familiärer Unterstützung in Kabul; zwar herrscht in Kabul ein bewaffneter Konflikt i.S.d. Art. 15 Bst. c der Qualifikationsrichtlinie, aber es besteht noch keine erhebliche konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens für Rückkehrer.
(Leitsatz der Redaktion)
Die Berufung ist allerdings unbegründet, weil das angegriffene Urteil nicht zu ändern ist. Die Ablehnung der begehrten Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 bis 5 und Abs. 7 AufenthG ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines dieser Abschiebungsverbote oder sonstigen subsidiären Schutzes.
1. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG liegen nicht vor. Danach darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Umgesetzt wird hiermit Art. 15 lit. b) RL (BT-Drs. 16/5065 S. 186), der sich seinerseits mit Wortwahl und Inhalt an Art. 3 EMRK orientiert (Hruschka/Lindner, "Der internationale Schutz nach Art. 15b und c Qualifikationsrichtlinie im Lichte der Maßstäbe des Art. 3 EMRK und § 60 VII AufenthG", NVwZ 2007, 645). Geht die Gefahr der Folter oder unmenschlichen/erniedrigenden Behandlung wie hier geltend gemacht von afghanischen Mujaheddin aus, kann es sich dabei auch um eine beachtliche, weil von nichtstaatlichen Akteuren i.S.d. Art. 6 lit. c) RL ausgehende Gefahr handeln.
Allerdings lässt sich vorliegend keine ausreichende Wahrscheinlichkeit für eine solche Gefahr im Sinne eines ernsthaften Risikos (und nicht nur einer bloßen Möglichkeit, vgl. Marx, Handbuch aaO, § 39 Rdnr. 174) feststellen. Der Prüfungsmaßstab ergibt sich aus Art. 4 Abs. 4 RL. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits vorverfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist. Eine erlittene oder unmittelbar bevorstehende Verfolgung hat das Verwaltungsgericht allerdings nicht feststellen können.
2. Auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 3 AufenthG liegen nicht vor. In Umsetzung des Art. 15 lit. a) RL (BT-Drs. 16/5065 S. 186) verbietet er die Abschiebung, wenn der Staat, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, diesen wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht. Abgesehen davon, dass aus den soeben genannten Gründen auch ein ernsthaftes Risiko der Tötung durch die Mujaheddin bzw. örtliche Warlords/Clanchefs verneint werden muss, findet dieses Abschiebungsverbot auf gezielte Tötungen durch nichtstaatliche Gruppierungen von vornherein keine Anwendung. Dies ergibt sich aus dem Begriff der Todesstrafe (Marx, Handbuch aaO. § 38 Rdnr. 11 mwN).
3. Anhaltspunkte dafür, dass sich über § 60 Abs. 2 oder 3 AufenthG ein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergeben sollten, sind nicht ersichtlich. Verletzungen von Art. 3 EMRK sind bereits im Rahmen des § 60 Abs. 2 AufenthG / Art. 15 lit. b) RL zu prüfen (vgl. Marx, Handbuch aaO, § 41 Rdnr. 9).
4. Schließlich lässt sich auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG feststellen.
a. Der Senat folgt im Ergebnis der verwaltungsgerichtlichen Einschätzung, dass eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter Berücksichtigung des hier einschlägigen Maßstabes nicht vorliegt. Da Satz 1 keine Norm der Qualifikationsrichtlinie umsetzt (vgl. BT-Drs. 16/5065 S. 187: nur Satz 2) und die in § 60 Abs. 11 AufenthG enthaltene Verweisung auf Richtliniennormen hier nicht gilt, bleibt es hinsichtlich des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei der bisher auf der Grundlage nationalen Rechts gefundenen Auslegung unter Berücksichtigung ihres heutigen Satz 3 (vorher § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Ausländer, die einer gefährdeten Gruppe angehören, für die ein Abschiebestopp nicht besteht, können deshalb nur dann ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG (§ 53 Abs. 6 AuslG) erhalten, wenn keine anderen Abschiebungshindernisse nach § 60 AufenthG (§ 53 AuslG) gegeben sind, eine Abschiebung aber Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist dann der Fall, wenn der Ausländer in seinem Heimatstaat einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, weil er im Falle seiner Abschiebung "dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde". Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dem einzelnen Ausländer individuellen Abschiebungsschutz zu gewähren (BVerwG, Urt. v. 08.12.1998 - 9 C 4/98 -; BVerwGE 108, 77 ff = InfAuslR 1999; 266 ff mwN). Daran hatte sich auch durch Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes zum 01. Januar 2005 nichts geändert (BVerwG, Beschl. v. 23.08.2006 - 1 B 60/06 - in juris).
Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage im o.g. Sinne ausgesetzt wäre.
Die allgemeine Sicherheitslage ist weiterhin prekär und verschlechtert sich stetig. Die afghanischen Sicherheitskräfte sind mangels Kapazitäten, Ausrüstung, Ausbildung und Disziplin sowie auf Grund von Korruption und Missachtung der Menschenrechte nicht in der Lage, die Sicherheit der Zivilbevölkerung landesweit zu gewährleisten (Schweizerische Flüchtlingshilfe - SFH -, Afghanistan-update v. 11.12.2006; amnesty international - ai -, Auskunft v. 17.01.2007 an HessVGH). Auch in Kabul ist die Sicherheitslage weiter fragil, auch wenn sie auf Grund der ISAF-Präsenz im regionalen Bereich als zufriedenstellend eingeschätzt wird.
Die schlechte Sicherheitslage sowie die verbreitete Korruption bremsen auch die wirtschaftliche Entwicklung. Die Arbeitslosenrate liegt bei rund 40 % (SFH, Afghanistan-update v. 11.12.2006). Sie stellt vor allem in Kabul ein weiteres erhebliches Problem dar, wo Rückkehrer mit der übrigen Bevölkerung um die wenigen Arbeitsplätze konkurrieren (ai, Auskunft v. 17.01.2007 an HessVGH).
Seit Ende 2001 ist die Zahl der Einwohner Kabuls von 900.000 auf mehr als 4 Mio. angestiegen; vielen Stadtgebieten droht der Kollaps. Der enorme Bevölkerungszuwachs hat zu einem akuten Mangel an Wohnraum und der Bildung großer Slum-Viertel geführt (ai, Auskunft v. 17.01.2007 an HessVGH; Panhölzl aaO; Dr. Danesch, erg. Gutachten v. 24.08.2007).
Die Versorgung mit Nahrungsmitteln für die nicht wohlhabende Bevölkerung wird als unzureichend bezeichnet (ai, Auskunft v. 17.01 .2007 an HessVGH); 8,9 % der Bevölkerung Kabuls sind unterernährt (Dr. Danesch, erg. Gutachten v. 24.08.2007).
Das RANA-Programm der Europäischen Union für freiwillige Rückkehrer ist Ende April 2007 ausgelaufen (Auskunft des Ausw. Amtes v. 29.05.2007 an HessVGH). Neben IOM sind Vertreter von UNHCR und dem Ministerium für Flüchtlinge und Wiedereingliederung am Flughafen Kabul vertreten.
Statt sozialer Sicherungssysteme sind weiterhin Familien und Gemeinschaftsstrukturen des Herkunftsortes für die Absicherung der Rückkehrer zuständig, da der Zugang zur Grundversorgung stark von funktionierenden Sozialnetzen abhängig ist (Lagebericht des Ausw. Amtes v. 17.03.2007; Panhölzl aaO). Rückkehrer, die außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, stoßen deshalb auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in größeren Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren (Lagebericht des Ausw. Amtes v. 17.03.2007; Auskunft v. 29.05.2007 an HessVGH). Eine Rückkehr in andere Gebiete als die der ursprünglichen Heimat kann Afghanen vor unüberwindbare Schwierigkeiten stellen - sowohl wirtschaftlich als auch die Sicherheitslage betreffend (Panhölzl aaO). Andererseits bringen Afghanen, die im westlichen Ausland Zuflucht gesucht haben, nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes in der Mehrzahl einen besseren finanziellen Rückhalt, eine qualifiziertere Ausbildung und umfangreichere Fremdsprachenkenntnisse mit, was ihnen bei der Reintegration einen deutlichen Vorteil verschaffe (Lagebericht des Ausw. Amtes v. 17.03.2007; Auskunft v. 29.05.2007 an HessVGH). Die Probleme, mit denen sich die Rückkehrer konfrontiert sehen, sollen sich nach Einschätzung des UNHCR nicht von denen anderer Afghanen unterscheiden, aber viel prononcierter sein. Insbesondere die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Rechte wie Zugang zu Arbeit, Wasser, Gesundheit, Versorgung etc. ist mit Problemen behaftet.
Von der Rückkehr folgender Personengruppen wird abgeraten: Unbegleitete Frauen, ältere Menschen und Minderjährige, alleinerziehende Mütter ohne Ernährer, Gewaltopfer und traumatisierte Personen sowie Personen mit körperlichen/mentalen/chronischen, schwerwiegenden oder ansteckenden Krankheiten (UNHCR: Humanitäre Erwägungen im Zusammenhang mit der Rückkehr nach Afghanistan, Mai 2006; SFH, Afghanistan-update v. 11.12.2006).
Die Auskunftslage belegt weiterhin, dass eine Rückkehr nach Afghanistan grundsätzlich problematisch ist und in jedem Einzelfall sorgfältig geprüft werden muss. Sie mag für die oberste Landesbehörde auch ausreichend Anlass bieten, gem. § 60a Abs. 1 AufenthG aus humanitären Gründen einen Abschiebestopp anzuordnen (so schon OVG Münster, Beschl. v. 21.03.2007 - 20 A 5164/04.A - in juris). Eine extreme Gefahrenlage, wie sie nach der o.g. Rechtsprechung des BVerwG vorliegen müsste, um bei Fehlen eines solchen Abschiebestopps im Einzelfall von einer Abschiebung abzusehen, ist jedoch, wie schon das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, speziell für den Kläger jedenfalls deshalb nicht zu begründen, weil er in Kabul familiäre Unterstützung vorfände. Der Kläger ist alleinstehend und verfügt über eine gute Schulbildung. Er lebte schon vor seiner Ausreise einige Jahre in Kabul und hat dort nach eigenen Angaben noch einen Onkel. Insofern besteht trotz der allgemein schlechten Versorgungslage begründeter Anlass zu der Annahme, dass er in Kabul eine ausreichende Unterkunft und eine Erwerbsmöglichkeit finden kann. Selbst wenn er als Rückkehrer eher Gefahr laufen sollte, Opfer krimineller Übergriffe zu werden, so kann dennoch nicht angenommen werden, dass er "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen" ausgeliefert sein würde (vgl. zu ähnlichen Fällen: OVG Brandenburg, Urt. v. 05.05.2006 - 12 B 11.05 - in juris; Sächs. OVG, Urt. v. 23.08.2006 - A 1 B 58/06 - AuAS 2007, 5; OVG Münster, Beschl. v. 21.03.2007 - 20 A 5164104.A - in juris).
b. Darüber hinaus besteht auch kein Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG setzt nunmehr Art. 15 lit. c) RL um (BT-Drs. 16/5065 S. 187). Art. 15 lit. c) i.V.m. Art. 18 und Art. 24 Abs. 2 RL sehen die Gewährung subsidiären Schutzes durch Ausstellung eines Aufenthaltstitels vor für den Fall, dass einer Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Dabei sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, auch hier gem. Satz 3 bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Diese Einschränkung gilt unproblematisch für allgemeine wirtschaftliche Notlagen im Herkunftsland oder krankheitsbedingte Abschiebungshindernisse, da sie vom Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie nicht umfasst sind (vgl. Erwägungsgrund 9 RL; Hinweise des BMI vom 13.Oktober 2006 zur Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004, Kap. IV. Ziff. 2.1, S. 14/19) und folglich auch nicht von Satz 2 (vgl. BT-Drs. 16/5065 S.187), dessen Schutzgewährung sich auf die Fälle des Art. 15 lit. c) RL beschränkt.
aa. Das von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und Art. 15 lit. c) RL gleichlautend verwendete Tatbestandsmerkmal des innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes wird vom Verwaltungsgericht anhand der Definition des BMI in seinen Hinweisen (aaO, Kap. IV, Ziff. 2.5, S. 16/19) - jedenfalls für Kabul - verneint. Danach bestehe der innerstaatliche bewaffnete Konflikt erst ab einer bestimmten Größenordnung, erforderlich sei ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit. Typisches Beispiel seien Bürgerkriegssituationen und Guerillakämpfe, während örtlich und zeitlich begrenzte Bandenkriege nicht ausreichten (vgl. schon (BT-Drs. 16/5065 S. 187). Dieser Definition hat sich der HessVGH angeschlossen; auch er fordert eine gegenwärtige landesweite Bürgerkriegssituation und scheidet begrenzte Bandenkriege aus (3. Senat, Urt. v. 9.11.2006 - 3 UE 3238/03.A -, in juris und 8. Senat, Beschl. v. 26.06.2007 - 8 UZ 452/06.A - in AuAS 2007, 202). In Afghanistan fänden bürgerkriegsähnliche bewaffnete Auseinandersetzungen mit den Taliban und anderen extremistischen Gruppierungen allenfalls im Süden und Südosten, nicht aber in anderen Provinzen und vor allem nicht in der Hauptstadt Kabul statt (HessVGH, 8. Senat aaO). Dieser Auffassung kann allerdings nicht ohne Weiteres gefolgt werden.
Der in Art. 15 lit. c) RL enthaltene Begriff "innerstaatlicher bewaffneter Konflikt" geht auf Art. 3 der vier Genfer Konventionen von 1949 und damit auf das humanitäre Völkerrecht zurück (VG Stuttgart, Urt. v. 21.05.2007 - 4 K 2563/07 - in InfAuslR 2007, 321, 322; Marx, Handbuch aaO, § 40 Rdnr. 11, 12), er ist deshalb nach völkerrechtlichen Grundsätzen zu bestimmen (Hinweise des BMI vom 2. Oktober 2007 zu den wesentlichen Änderungen durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007, Teil I; G IV 4, Rdnr. 156). Die Verbindung zum Völkerrecht ergibt sich auch aus den Erwägungsgründen 11 und 25 RL. Sie verweisen auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten und deren Bindung an völkerrechtliche Instrumente. Im Völkerrecht hat sich nach dem 2. Weltkrieg mehr und mehr die Erkenntnis durchgesetzt, dass das bestehende Kriegsrecht, basierend auf der klassischen kontinental-europäischen Kriegsauffassung der tatsächlichen Entwicklung nicht mehr standhält. Während der zwischenstaatliche bewaffnete Konflikt zur Ausnahme wird, findet seit Beginn der 90er Jahre der weitaus überwiegende Prozentsatz organisierter Anwendung von Waffengewalt in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten statt, die überwiegend asymmetrisch verlaufen und an denen allenfalls noch eine der Konfliktparteien ein Staat ist (Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl., 2004, § 63 Rdnr. 6, § 64 Rdnr. 1 ff mit Beispielen). Die Rede ist vom "modernen bewaffneten Konflikt" (Ipsen aaO), vom "low intensity war" [nach Creveld] oder vom "neuen Krieg" [nach Münkler] (vgl. Großmann, Die "neuen Kriege" - Logisches und Historisches in: Gemeinsame Sicherheit - ein schwieriger Lernprozess, DSS-Arbeitspapiere Heft 70 - 2004; Marx, Handbuch aaO, § 40 Rdnr. 15, beide mwN). Entsprechend muss sich das Kriegsrecht zum Recht des bewaffneten Konflikts entwickeln, dessen Grundlinien das neue Völkerrecht prägen (Ipsen aaO, § 65 Rdnr. 6. 8 ff). Als Reaktion auf die beschriebene Entwicklung wurden die bisherigen Kodifikationen auf Initiative des IKRK um die vier Genfer Konventionen von 1949 und die dazu verfassten Zusatzprotokolle von 1977 ergänzt. Sie bilden heute die wesentlichen Grundlagen des humanitären Völkerrechts. Eines ihrer Hauptanliegen ist der Schutz der Zivilbevölkerung auch im Sinne eines Individualschutzes: Der an Feindseligkeiten unbeteiligte wie auch der wehrlose Mensch soll vor der Waffengewalt geschützt werden (Ipsen aaO, § 63 Rdnr. 6 - 8; § 65 Rdnr. 3). Der den vier Genfer Konventionen (GK) gemeinsame Art. 3 und das 2. Zusatzprotokoll (ZP II) enthält Regelungen gerade zum Schutz der Opfer nicht internationaler, d.h. interner Konflikte. Dabei formuliert Art. 3 GK einen Mindeststandard, der von jeder der am Konflikt beteiligten Parteien einzuhalten ist, verlangt aber keine subjektive Anerkennung der nichtstaatlichen Konfliktpartei. Indem er sich auf objektive Anwendungsvoraussetzungen beschränkt, stellt er so den humanitären Rahmen für bewaffnete Konflikte internen Charakters dar (Ipsen aaO, § 65 Rdnr. 12 f). Er wird durch das ZP II weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Anwendungsvoraussetzungen zu ändern. Den Geltungsbereich des Protokolls beschränkt Art. 1 ZP II allerdings auf solche bewaffneten Konflikte, die zwischen Streitkräften einer Vertragspartei und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und das Protokoll anzuwenden vermögen. Falls die strengeren Anwendungsvoraussetzungen des ZP II nicht erfüllt werden, bleibt der Minimalstandard der Genfer Konventionen (Ipsen § aaO, 65 Rdnr. 16). Dieses "Genfer Recht" erweist sich gegen die Auswirkungen von Kampfhandlungen im "modernen bewaffneten Konflikt" noch als weitgehend ungeeignet zum Schutz der Zivilbevölkerung (Ipsen aaO, § 64 Rdnr. 12, § 65 Rdnr. 3 a.E.). Dass der Schutz der Opfer interner bewaffneter Konflikte bislang nicht Gegenstand einer speziellen völkerrechtlichen Regel ist, wird angesichts der aktuellen bewaffneten Konflikte als eine der Hauptschwächen des einschlägigen Völkerrechts gesehen (so Ipsen aaO, § 65 Rdnr. 19).
In Anknüpfung an das Verhältnis von Art. 3 GK zum ZP II und unter Berücksichtigung des Hauptanliegens dieser Regelungen - möglichst umfassender Schutz der Zivilbevölkerung - wird vertreten, den Begriff des internen bewaffneten Konflikts i.S.d. Art. 3 GK möglichst weit zu definieren und immer dann anzunehmen, wenn auf beiden Seiten bewaffnete Kräfte in Feindseligkeiten gegeneinander verstrickt sind, die zwar in vielen Beziehungen einem internationalen Konflikt vergleichbar sind, sich jedoch im Hoheitsgebiet eines einzelnen Staates ereignen (Marx, Handbuch aaO, § 40 Rdnr. 12 mit Verweis auf Jean Pictet [den "Vater der Konventionen"]). Unter Bezugnahme auf den sozialwissenschaftlichen Begriff des "low intensity war" geht Marx weiter davon aus, dass es sich bei dem internen bewaffneten Konflikt i.S.d. Art. 15 lit. c) RL weder um einen Bürgerkrieg handeln muss noch dass die Schwelle des Bürgerkriegs erreicht sein muss. Bei den "neuen Kriegen" stehen sich nicht mehr reguläre Streitkräfte gegenüber; die herkömmliche Symmetrie ist vielmehr aufgelöst. Moderne staatliche Strukturen wie die Unterscheidung zwischen Regierung, Armee und Volk werden, sofern sie sich überhaupt durchsetzen konnten gegen ethnische Gemeinschaften, Stämme und Clans, umgangen und ausgehöhlt. Die oppositionellen Gruppierungen wenden zwar Gewalt an, sind zu einer organisierten Gewaltanwendung jedoch weder fähig noch gewillt. Ebenso wie sich damit die Grenze zwischen Kriegsführung und Terrorismus auflöst, lässt sich auch keine Trennlinie mehr ziehen zwischen Kriegsgebieten und scheinbar friedlichen Zonen. Im Interesse des Schutzes der Zivilbevölkerung und der humanitären Schutzrichtung des Art. 3 der vier GK von 1949 ist deshalb eine möglichst weitreichende Auslegung geboten (Marx, Handbuch, Leitsätze 66 ff, § 40 Rdnr. 11 ff, Zusammenfassung in Rdnr. 32). Auch andernorts wird darauf hingewiesen, dass in Art. 15 lit. c) RL von "Krieg" oder "Bürgerkrieg" ausdrücklich nicht die Rede ist. So seien auch Konflikte im Irak und Afghanistan erfasst, auch wenn dort (noch) nicht von einem Bürgerkrieg die Rede sein könne (Hollmann, Asylfolgeantrag aufgrund der Qualifikationsrichtlinie, Asylmagazin 11/2006, S. 4, 8).
Bei Zugrundelegung dieser völkerrechtlichen Ableitung ist auch die gegenwärtige Konfliktlage in Kabul als Teil eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes anzusehen.
Während der Norden Afghanistans bislang weitgehend verschont geblieben ist, haben die Radikal-Islamisten jetzt auch für diese Region verstärkt Aktionen angekündigt. Der Taliban-Anführer Mullah Mansur Dadullah erklärte in einer Internet-Botschaft, die Operationen auf den Norden auszudehnen, um hier die gleichen Verhältnisse zu schaffen wie im Süden. Insofern wird hier mit einer Winter-Offensive auf die deutschen Stützpunkte Mazar-i-Sharif, Kunduz und Faizabad gerechnet. Ziel der militärischen Offensive soll sein, die Afghanen davon zu überzeugen, dass die Regierung in Kabul und die sie unterstützenden westlichen Streitkräfte außer Stande seien, die Sicherheit im Lande zu gewährleisten (Spiegel-online v. 04., 06. und 09.11.2007).
Entsprechend hat sich auch die Sicherheitslage in Kabul seit 2006 in diesem Zusammenhang schrittweise verschlechtert. Es hat Bomben-, Raketen- und Selbstmordanschläge gegeben, bei denen Sicherheitskräfte und Zivilpersonen gestorben sind (SHF, Afghanistan-update, v. 11.12.2006).
Seit ihrem Wiedererscheinen 2006 haben die Taliban ihre Machtgebiete stetig Richtung Kabul ausgedehnt. Bis Ende Oktober 2006 soll eine Taliban-Präsenz in Ghazni - etwa eine Autostunde von Kabul entfernt - zu verzeichnen gewesen sein (SHF, Afghanistan-update, v. 11.12.2006). Der Distrikt entwickele sich immer mehr zu einer "No Go Area"; selbst aus der Provinzhauptstadt Ghazni hätten sich die internationalen Hilfsorganisationen zurückgezogen. Ferner gibt es begründete Bedenken, dass die Provinzen Wardak und Logar, die unmittelbar an Kabul angrenzen, von regierungsfeindlichen Gruppen als sichere Rückzugsgebiete für ihre Attacken auf die Hauptstadt genutzt werden.
Nimmt man wegen der humanitären Intention an, dass es einer (bürger-) kriegsähnlichen Situation, in der sich organisierte Verbände gegenüberstehen, nicht bedarf, erscheinen die in Kabul festzustellenden bewaffneten Aktionen, Attentate und gewalttätigen Ausschreitungen als Ausdruck desselben bewaffneten Konflikts, der im Süden und Südosten augenscheinlich ausgetragen wird, sich Richtung Westen und Norden ausbreitet und schließlich in Kabul - wenn auch mit teilweise anderen Methoden - seine Fortsetzung findet.
bb. Der Senat neigt ferner dazu, die sich aufgrund willkürlicher Gewalt im Rahmen dieses Konflikts ergebende Gefahr jedenfalls für diejenigen Personen, die davon unmittelbar betroffen sind, auch als hinreichend individuell i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG anzusehen, ohne dass es zusätzlich der Darlegung besonderer persönlicher Merkmale oder Verfolgungsgründe bedürfte (zur Definition individueller Gefahren bei unmittelbarer Betroffenheit: HessVGH. Beschl. v. 26.06.2007 - 8 ZU 452/06.A - in AuAS 2007, 202 mwN). Eine Übernahme der bisherigen Rechtsprechung zur Abgrenzung von individuellen zu allgemeinen Gefahren, wie es im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG weiterhin zulässig ist (s.o.), dürfte bei richtlinienkonformer Auslegung für § 60 Abs. 7 Satz 2 und 3 AufenthG nicht in Betracht kommen (so aber wohl: Hinweise des BMI zum Richtlinienumsetzungsgesetz aaO, Teil 1, G IV 4. Rdnr. 157, 159) und sich auch nicht ohne Weiteres mit einem Verweis auf Erwägungsgrund 26 RL begründen lassen (vgl. Marx, Handbuch aaO, § 40 Rdnr. 53). Die Regelungen der umzusetzenden Qualifikationsrichtlinie selbst enthalten keine zureichenden Anhaltspunkte für die Annahme, dass bei Art. 15 lit. c) RL nur extreme Gefahrenlagen zur Gewährung subsidiären Schutzes führen sollen oder dass die Gewährung unterhalb dieser Schwelle von einer politischer Leitentscheidung abhängig sein sollte (vgl. dazu VG Stuttgart, Urt. v. 21.05.2007 - 4 K 2563/07 - in InfAuslR 2007, 321, 322; Kalkmann, "Die wichtigsten flüchtlingsrechtlichen Neuerungen im Zuwanderungsgesetz", Asylmagazin 9/2007 S. 4, 6; Hruschka/Lindner aaO, S. 649; Hinweise des UNHCR: Die EU-Qualifikationsrichtlinie und ihre Auswirkungen im Flüchtlingsrecht, III. Nr. 1, abgedr. in GK-AsylVfG VIII-1 Stand Febr. 2007; UNHCR-Kommentar zur Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - OJ L 304/12 vom 30.9.2004 - zu Art. 15 (c) und zur Begründungserwägung (26); a.A. VGH Mannheim, Beschl. v. 08.08.2007 - A 2 S 229/07 -; zuvor ähnlich OVG Schleswig, 1. Senat, Beschl. v. 22.12.2006 - 1 LA 125/06 - in juris und v. 20.02.2007 - 1 LA 5/07 -).
cc. Die damit einhergehenden Fragen - einschließlich der daran anknüpfenden Frage nach einer weiterhin unmittelbaren Geltung des Art. 15 lit. c) RL wegen unvollständiger Umsetzung - bedürfen vorliegend allerdings keiner abschließenden Klärung. Nach Auswertung der dargestellten Auskunftslage fehlt es jedenfalls mit Blick auf Kabul an einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG im Sinne eines ernsthaften Schadens gem. Art 2 lit. e) und Art. 15 lit. c) RL. Nach dem in der Gesetzesbegründung enthaltenen und vom BMI (in seinen Hinweisen vom 13. Oktober 2006 zur Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG, Kap. Kap. IV, Ziff. 2.5, S. 16/19) aufgegriffenen Ansatz würde dies eine "gleichsam unausweichliche" Rechtsverletzung voraussetzen. Dieser Maßstab scheint in Anbetracht der Gesetz gewordenen Formulierung allerdings zu streng. Prognostisch betrachtet ist eine Bedrohung der geschützten Rechtsgüter schon dann "konkret" bzw. "ernsthaft", wenn die hierfür sprechenden Umstände nach ihrer Intensität und Dichte von einem solchen Gewicht sind, dass sich hieraus die ernsthafte Möglichkeit ihrer Verletzung ergibt (Marx, Handbuch aaO, § 40 Rdnr. 43, 44). Hierfür bedarf es folglich auf jeden Fall einer gewissen Dichte der gefährlichen Vorkommnisse (OVG Münster, Beschl. v. 21.03.2007 - 20 A 5164/04.A - in juris). Der Senat kann sich auch insoweit den Ausführungen des OVG Münster (aaO) anschließen: "Die Bedrohung stellt ebenso ein objektives Faktum dar, wie auch ihre Ernsthaftigkeit über den Bereich subjektiven - von Ängstlichkeit oder Robustheit bestimmten - Empfindens hinausgeht. In der Spannweite zwischen einer quasi absoluten Sicherheit und einer geradezu unausweichlichen Rechtsgutbeeinträchtigung ist daher abwägend nach der Zumutbarkeit einer Rückkehr zu fragen. Dies setzt neben der Berücksichtigung der Häufigkeit einschlägiger Vorkommnisse insbesondere auch die Betrachtung der Größe des betroffenen Gebietes sowie der räumlichen (Schwerpunkt-)Bereiche und ferner der Anlässe und Zielpersonen oder -objekte von gewaltsamen Übergriffen voraus, da sich u.a. danach bestimmt, inwieweit das Verhalten des Einzelnen und seine Entfaltungsmöglichkeiten beeinflusst werden. Zu den insoweit einschlägige Vorkommnissen und gewaltsamen Übergriffen) zählen bewaffnete Aktionen und mit Waffeneinsatz einhergehende Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Ethnien, Religionsrichtungen, Warlords und ihren jeweiligen Anhängern oder auch zwischen Regierungskräften bzw. internationalen Truppen und den Taliban.
Auch unter Berücksichtigung der vom Kläger nachgereichten Erkenntnisse ist festzustellen, dass sich die Sicherheitslage in Kabul, soweit sie von den innerstaatlichen, teils mit Waffeneinsatz einhergehenden Spannungen bestimmt wird, trotz Stationierung internationaler Truppen und trotz Hilfe beim Aufbau der Polizei noch immer weiter verschlechtert. Gleichwohl stellt sie für den in sein Heimatland zurückkehrenden und nach Kabul gelangenden Kläger noch keine ernsthafte individuelle Bedrohung im o.g. Sinne dar. Die maßgeblichen Auseinandersetzungen reichen weiterhin noch nicht so stark nach Kabul hinein, als dass eine einzelne Person dort befürchten müsste, jederzeit und an jedem Ort Opfer solcher bewaffneten Aktionen und gewalttätigen Ausschreitungen zu werden. Im Vergleich zu den landesweiten Verhältnissen in Afghanistan wird zwar auch Kabul nicht mehr als sicher bezeichnet, die dortige Sicherheitslage aber immer noch günstiger als in anderen Gegenden und Städten bewertet. Die maßgeblichen Übergriffe richten sich vorwiegend gegen Einrichtungen des Staates, insbesondere gegen solche der Regierung, gegen die Polizei und das einheimische Militär sowie gegen Repräsentanten ausländischer Schutzmächte. Sind diese nicht ausgemachtes Ziel der Gewaltaktionen, liefern sie häufig doch den Anlass dafür. Aufgrund der zugleich festzustellenden Wahllosigkeit und Beliebigkeit bei Durchführung solcher Aktionen sind zwar auch zivile Opfer zu verzeichnen, doch bleibt die Möglichkeit, in einer Stadt wie Kabul tatsächlich Opfer eines solchen Übergriffs zu werden, für einen einheimischen Zivilisten wie den Kläger doch immer noch eine entfernt liegende.