VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 26.11.2007 - A 3 K 740/06 - asyl.net: M12095
https://www.asyl.net/rsdb/M12095
Leitsatz:

Gefahr der nichtstaatlichen Verfolgung im Irak für gemischt-konfessionelle Ehepaare.

 

Schlagwörter: Irak, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Sunniten, Schiiten, Mischehen, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, Schutzfähigkeit
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Gefahr der nichtstaatlichen Verfolgung im Irak für gemischt-konfessionelle Ehepaare.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Nach der für die gerichtliche Entscheidung gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Sach- und Rechtslage zum heutigen Zeitpunkt erweist sich der vom Bundesamt verfügte Widerruf der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG a.F. des Klägers als rechtswidrig.

Zwar ist davon auszugehen, dass der Sturz des Regimes Saddam Husseins eine nachträgliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse darstellt, die grundsätzlich zum Widerruf berechtigt und auch verpflichtet (vgl. BVerwG, Urt. v. 25. August 2004 - 1 C 22.03 -, NVwZ 2005, 89; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 26. April 2004 - A 2 S 172/02 - sowie Urteile v. 16. September 2004 - A 2 S 471/02 - u. v. 4. Mai 2006 - A 2 S 1046/05 -; OVG Münster, Urt. v. 14. August 2003 - 20 A 430/02.A -; OVG Schleswig, Beschl. v. 30. Oktober 2003 - 1 LB 39/03 -; BayVGH, Urt. v. 13.11.2003 - 15 B 02.31751 -; OVG Lüneburg, Beschl. v. 31. März 2004 - 9 LB 185/03 - u. v. 1. April 2004 - 9 LB 189/03 -; OVG Saarlouis, Urt. v. 29. September 2006 - 3 R 6/06 - jeweils <juris>; u. a.).

Dem Kläger droht nunmehr jedoch aus anderen Gründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (vgl. zu diesem Maßstab BVerwG, Urt. v. 18. Juli 2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243) politische Verfolgung i.S. des § 60 Abs. 1 AufenthG. Als sunnitischem Religionszugehörigen, der in einer muslimischen "Mischehe" lebt - seine iranische Ehefrau ist schiitischen Glaubens - drohen dem Kläger nunmehr für den Fall einer Rückkehr in den Irak dort an asylerhebliche Merkmale anknüpfende Nachstellungen seitens nichtstaatlicher Akteure i. S. von § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG.

Eine solche an die Religionszugehörigkeit anknüpfende Verfolgung hat das VG Ansbach (Urt. v. 23. Juli 2007 - AN 4 K 06.31070 -, <juris>; bestätigt vom bayerischen VGH, Urt. v. 14. November 2007 - 23 B 07.30496 -) unter Berücksichtigung der besonderen "Verletzlichkeit" von Rückkehrern bereits bei Rückkehrern sunnitischer Glaubenszugehörigkeit als beachtlich wahrscheinlich gewertet und hierzu u.a. ausgeführt, ...

Ob dem uneingeschränkt zu folgen ist, kann im vorliegend zu entscheidenden Fall dahinstehen. Denn beim Kläger kommt als Besonderheit hinzu, dass er bei einer Rückkehr in den Irak sich dort mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zusammen mit seiner Ehefrau niederlassen könnte. Denn im Irak stehen gemischt-ethnische oder -religiöse Ehepaare aufgrund der Gewalt zwischen ethnischen und religiösen Gruppen unter besonderem Druck und werden von Angehörigen, religiösen Autoritäten, Terroristen oder Milizen zur Scheidung gezwungen, oder können bei interner Vertreibung in Gebiete, wo die Gruppe des jeweiligen Ehepartners eine Mehrheit darstellt, einer besonderen Gefährdung ausgesetzt sein (siehe Position der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH zu Asylsuchenden aus dem Irak vom 25. Juni 2007).