VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 12.09.2007 - VG 1 X 11.06 - asyl.net: M12106
https://www.asyl.net/rsdb/M12106
Leitsatz:

Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG kann vorliegen, wenn eine notwendige medizinische Behandlung (hier: Psychotherapie) im Zielstaat der Abschiebung nicht zur Verfügung steht und das eine Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 AufenthG begründet; es ist nicht erforderlich, dass die psychische Erkrankung ihre Ursache im Zielstaat der Abschiebung hat.

 

Schlagwörter: Guinea, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, Suizidgefahr, medizinische Versorgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG kann vorliegen, wenn eine notwendige medizinische Behandlung (hier: Psychotherapie) im Zielstaat der Abschiebung nicht zur Verfügung steht und das eine Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 AufenthG begründet; es ist nicht erforderlich, dass die psychische Erkrankung ihre Ursache im Zielstaat der Abschiebung hat.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Guineas besteht.

Hier besteht wegen der psychischen Erkrankung des Klägers ein Anspruch auf Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7. Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll danach abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben besteht. Die Gefahr einer im Zielstaat der Abschiebung drohenden gravierenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes bis hin zur Lebensgefahr kann ein zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG darstellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 -, BVerwGE 105, 383, 386). Dagegen sind krankheitsbedingte Gefahren, die sich allein als Folge der Abschiebung und nicht wegen der spezifischen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung ergeben können, als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis allein von der Ausländerbehörde im Vollstreckungsverfahren zu prüfen (BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 8.99 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 24).

Hier steht aufgrund der vorgelegten Atteste und Stellungnahmen und der sachverständigen Zeugenaussage der behandelnden Therapeutin zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet.

Im Falle einer Rückkehr nach Guinea droht dem Kläger eine gravierende Verschlechterung seines Gesundheitszustands. Die Annahme des Bundesamts, die psychische Erkrankung müsse von Erlebnissen im Heimatland herrühren, ist unzutreffend. Zwar kann der Ort der Traumatisierung insoweit eine Rolle spielen, als die Rückkehr in den Heimatstaat eine Retraumatisierung auslösen kann. Darauf kommt es im vorliegenden Fall aber nicht an, da die psychische Erkrankung in Guinea nicht adäquat behandelbar ist (vgl. Auskunft des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission vom 28. Oktober 2004 an das VG Hamburg, vom Klägervertreter vorgelegt) und bereits der Abbruch der Behandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen wird, dass der Kläger suizidal wird oder in eine Psychose abgleitet.

Es handelt sich auch um ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis und nicht bloß um ein abschiebungsbedingtes Vollstreckungshindernisse stereotype Zuordnung der Selbstmordgefahr zu den inlandsbezogenen Vollstreckungshindernissen, die das Bundesamt vornimmt, ist unzutreffend und entspricht auch nicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Ein rein inländisches Vollstreckungshindernis ist nur anzunehmen, wenn die Suizidalität bereits ausschließlich durch die Loslösung aus der Umgebung in Deutschland und den Umstand der Abschiebung ausgelöst wird, unabhängig davon, wohin der Betroffene verbracht wird. Wird diese Gefahr dagegen dadurch ausgelöst, dass eine ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung abgebrochen werden muss, weil sie im Herkunftsstaat nicht zur Verfügung steht, handelt es sich um ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG.