Der Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung wegen exilpolitischer Betätigung im Folgeverfahren gem. § 28 Abs. 2 AsylVfG verstößt nicht gegen die Qualifikationsrichtlinie.
Der Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung wegen exilpolitischer Betätigung im Folgeverfahren gem. § 28 Abs. 2 AsylVfG verstößt nicht gegen die Qualifikationsrichtlinie.
(Leitsatz der Redaktion)
Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Der Kläger hat Anspruch auf die Feststellung, dass in seiner Person Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 und Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vorliegen. Dagegen bleibt die Klage ohne Erfolg, soweit der Kläger die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt.
Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Nach § 60 Abs. 7 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Laut Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4.7.2007 (S. 28) schließen Verhörmethoden und Haftbedingungen in Iran seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung ein. Obwohl jede Art von Folter durch die Verfassung verboten ist, kommt es zu derartigen Maßnahmen insbesondere vor dem eigentlichen Verfahren zur Erzwingung von Geständnissen. Für den Kläger besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, bei einer Rückkehr in sein Heimatland wegen seiner exilpolitischen Betätigung der Folter unterzogen bzw. einer Gefährdung seiner Gesundheit oder sogar seines Lebens ausgesetzt zu werden.
Das Gericht folgt der Auffassung des Nds. Oberverwaltungsgerichts (z.B. Urteil vom 26.10.1999 - 5 L 3180/99 -, aufrecht erhalten z. B. im Urteil vom 13.3.2001 - 5 L 687/00 -), wonach die Annahme einer zur Verfolgung durch den iranischen Staat führenden Einstufung als politischer Gegner aufgrund einer exilpolitischen Betätigung nur dann gerechtfertigt ist, wenn diese Tätigkeit den Staatssicherheitsbehörden bekannt geworden und anzunehmen ist, dass diese Behörden sie als erhebliche, den Bestand des Staates gefährdende oppositionelle Betätigung bewerten werden. Dies wiederum erfordert, dass der Ausländer sich bei seinen Aktivitäten persönlich exponiert hat, also im organisatorischen Bereich aufgefallen oder sonst namentlich in Erscheinung getreten ist. Eine einfache Mitgliedschaft in von den Staatssicherheitsbehörden in Iran für oppositionell und regimefeindlich gehaltenen Organisationen und eine bloße Teilnahme an deren Veranstaltungen führt nicht zur Einstufung als von Verfolgung bedrohter Gegner des iranischen Staates. Letzteres ist auch im Fall privater oder öffentlicher Äußerungen der Unzufriedenheit und der Kritik an der iranischen Regierung oder der politischen oder wirtschaftlichen und sozialen Lage des Landes nicht ohne Weiteres anzunehmen. Werden hingegen die Werte der Islamischen Revolution und des schiitischen Islam verunglimpft und richtet sich die Kritik gegen das System des "Velayat-e Faghih" (Herrschaft der Gottesgelehrten) selbst, so gerät derjenige, der diese Kritik äußert, in erhebliche Gefahr, von staatlichen Stellen verfolgt zu werden.
Der Kläger ist Mitglied der AKPI sowie der Organisation I.F.I.R., bei der es sich laut Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (Auskunft vom 16.1.2004 an das VG Frankfurt/Main) um eine Nebenorganisation der AKPI handelt, welche sich wiederum von der Kommunistischen Partei Irans abgespalten hat. Ungeachtet dessen, dass die AKPI wie auch die I.F.I.R. von ihrer Zielsetzung her zu einem in Iran verbotenen Spektrum gehören (vgl. Deutsches Orient-Institut, Auskunft vom 4.5.2004 an das VG Frankfurt/Main, S. 8 f.), ist auch in Bezug auf diese Organisationen davon auszugehen, dass Mitglieder, deren politische Tätigkeit auf erkennbar niedrigem Niveau stattfindet, bei ihrer Rückkehr nach Iran nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit staatlichen oder staatlich geduldeten Repressalien zu rechnen haben (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 3.2.2004 an das VG Frankfurt/Main, Deutsches Orient-Institut, a.a.O., S. 9). Dagegen bejaht das Bundesamt für Verfassungsschutz (Auskunft vom 12.3.2003 an das VG Wiesbaden) die Möglichkeit, dass "Anhänger der latent gewaltbereiten API, sofern es sich um Führungspersonen oder Einzelpersonen mit Außenwirkung handelt", bei einer Rückkehr nach Iran gefährdet sind. Das Bundesamt für Verfassungsschutz führt weiter aus, der iranische Staat sehe grundsätzlich alle oppositionellen Gruppen und regimekritischen Einzelpersonen im Exil als potenzielle Bedrohung an; Anhänger dieser Gruppen seien Ziel einer permanenten Ausspähung durch den iranischen Nachrichtendienst (Auskünfte vom 12.3.2003 an das VG Wiesbaden und vom 16.1.2004 an das VG Frankfurt/Main).
Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger, der exilpolitisch sehr aktiv ist und an einer großen Anzahl von Veranstaltungen und politischen Kundgebungen teilgenommen hat - auch wenn die bloße Häufigkeit der Aktivitäten für sich genommen noch nicht zur Erhöhung des Gefahrenpotenzials führt -, den in Deutschland tätigen Angehörigen der iranischen Sicherheitskräfte bekannt geworden ist. Dies ist auch deshalb anzunehmen, weil er nach seiner glaubhaften Bekundung in der mündlichen Verhandlung der einzige offizielle Repräsentant der AKPI in Niedersachsen ist (wenn er auch noch nicht den Status eines "Sekretärs" der Organisation erlangt hat). Zwar ist ein nicht unerheblicher Teil seiner Tätigkeit, wie z.B. die bloße Mitwirkung an Veranstaltungen oder die Beaufsichtigung von Büchertischen, als untergeordnet anzusehen. Der Kläger ist jedoch dadurch in augenfälliger Weise aus der Masse der iranischen Asylsuchenden herausgetreten, dass er bei öffentlichen Auftritten und in mehreren im Internet veröffentlichten Artikeln scharfe Kritik an den politischen und geistlichen Führern Irans, den dortigen Verhältnissen sowie am Islam selbst geübt hat. Des Weiteren hat der Kläger unter der Internet-Adresse "www.ex-muslime.de" unter Nennung seines Namens und Veröffentlichung seines Porträts u.a. ausgeführt: "Diese Religion beschützt ihre eigenen Anhänger durch Einschüchterung, Züchtigung und Hinrichtung; genauso wie vor 1400 Jahren ihr Prophet seiner Sache mit dem Schwert zum Durchbruch verholfen hat - dieser Schwerthieb verdunkelt die iranische Seele bis heute. Ich will nicht länger Muslim sein.... Ich wende mich von der Religion ab!".
Das Gericht ist davon überzeugt, dass diese Veröffentlichungen den iranischen Sicherheitskräften im Rahmen der Beobachtung des Klägers bekannt geworden sind. Dem Bundesamt für Verfassungsschutz (Auskunft vom 12.3.2003 an das VG Wiesbaden) liegen Erkenntnisse vor, wonach iranische Stellen eine Auswertung von Internetseiten oppositioneller Gruppierungen betreiben. Zwar hält es das Amt für eher unwahrscheinlich, dass vereinzelte Internetauftritte Oppositioneller für den iranischen Nachrichtendienst von Relevanz sind. Vorliegend ist jedoch zu befürchten, dass die Meinungsäußerungen des Klägers, die in größerer Anzahl auf einschlägigen Internet-Seiten und u.a. auf einer Web-Seite mit dem provokativen Namen "www.ex-muslime.de" veröffentlicht worden sind, iranischen Stellen bekannt geworden sind.
Der Kläger hat sich mit seinen Meinungsäußerungen weit von den Maßstäben des iranischen Regimes entfernt und die Werte der islamischen Revolution öffentlich in Zweifel gezogen. Aus diesem Grund ist im Fall seiner Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass er im Rahmen der Einreisekontrollen von den iranischen Behörden als ernstzunehmender Regimegegner eingestuft und in die Gefahr körperlicher Misshandlung bis hin zur Folter oder sogar in Lebensgefahr geraten würde. Er hat daher einen Anspruch auf die Feststellung, dass in seinem Fall Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 und Abs. 7 AufenthG vorliegen.
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG kann der Kläger dagegen nicht beanspruchen. Der Kläger stützt sein Begehren im Asylfolgeverfahren auf Umstände, die er nach unanfechtbarer Ablehnung seines Asylerstantrags selbst geschaffen hat. In einem derartigen Fall kann dem Ausländer gemäß 28 Abs. 2 AsylVfG in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt worden; Gründe, hiervon im Fall des Klägers abzuweichen, sieht das Gericht nicht. Es folgt auch nicht der Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers, § 28 Abs. 2 AsylVfG verstoße gegen Art. 5 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29.4.2004 (sog. "Qualifikationsrichtlinie") in Verbindung mit den Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention. Zwar kann begründete Furcht vor Verfolgung nach Art. 5 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen, wobei dies insbesondere dann der Fall sein soll, wenn die Aktivitäten nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Heimatland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind (was im Fall des Klägers, dessen Vortrag im Asylerstverfahren das Gericht als unglaubhaft angesehen hat, nicht der Fall ist). Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie räumt jedoch den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein festzulegen, dass ein Antragsteller, der einen Folgeantrag stellt, in der Regel nicht als Flüchtling anerkannt wird, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat. Von dieser Möglichkeit hat der Bundesgesetzgeber mit § 28 Abs. 2 AsylVfG Gebrauch gemacht. Das Gericht teilt nicht die Rechtsauffassung des VG Lüneburg (Urteil vom 24.5.2006 - 1 A 405/03 -), das unter den Begriff "Umstände" in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie im Hinblick auf die Fassung ihres Art. 4 Abs. 3 Lit. c) lediglich "persönliche Umstände", nicht jedoch exilpolitische Aktivitäten fasst. Vielmehr ist gerade daraus, dass der Richtliniengeber in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie eine Beschränkung auf persönliche Umstände nicht vorgenommen hat, zu schließen, dass er den Anwendungsbereich der Norm weiter fassen und den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumen wollte, die Flüchtlingsanerkennung im Asylfolgeverfahren bei selbst geschaffenen Nachfluchtgründen jeglicher Art regelmäßig zu versagen.
Mit dieser Auffassung setzt sich das Gericht nicht in Widerspruch zu seinem (vom VG Lüneburg, a.a.O., zitierten) Urteil vom 2.3.2005 (4 A 38/03). Entgegen der Auffassung des VG Lüneburg hat das erkennende Gericht in jenem Urteil nicht die Feststellung getroffen, der Regel des § 28 Abs. 2 AsylVfG sei zur Vermeidung völkerrechtswidriger und gemeinschaftsrechtlich unzulässiger Folgen nicht zu folgen. Die Entscheidung betraf vielmehr einen Einzelfall, in dem von der Regel des § 28 Abs. 2 AsylVfG abgewichen wurde, und befasste sich nicht mit der Frage eines Verstoßes der Norm gegen die Qualifikationsrichtlinie.