SG Hildesheim

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Zitieren als:
SG Hildesheim, Urteil vom 24.07.2007 - S 18 SB 269/05 - asyl.net: M12289
https://www.asyl.net/rsdb/M12289
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Schwerbehinderte, Wertmarken, Beförderung
Normen: SGB IX § 145 Abs. 1; AsylbLG § 2 Abs. 1
Auszüge:

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten Anspruch auf Ausgabe einer unentgeltlichen Wertmarke für ein Jahr gemäß § 145 Abs. 1 SGB IX.

Unstreitig gehört die Klägerin als Empfängerin von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht zu den in § 145 Abs. 1 Satz 5 SGB IX genannten Personenkreis. Entgegen der Ansicht des Beklagten hat die Klägerin als Empfängerin von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Anspruch auf die unentgeltliche Wertmarke, da sie die gleichen Leistungen im rechtstechnischen Sinne wie die Empfänger von Leistungen nach den §§ 19 und 27 ff SGB XII erhält. Zwar hat der Gesetzgeber unstrittig die Asylbewerber nicht in § 145 SGB IX erwähnt und die Leistungen für diesen Personenkreis nicht dem SGB XII zugeordnet, jedoch entsprechen diese Leistungen der Höhe nach genau denen der Empfänger von Leistungen nach dem SGB XII. Infolgedessen vertritt die Kammer die Auffassung, dass der Grundsatz der Bedarfsdeckung, der Ausdruck der an der Menschenwürde ausgerichteten Zielsetzung des Sozialhilferechts ist, nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht, auch dann nicht, wenn der betreffende Personenkreis nicht ausdrücklich in einer gesetzlichen Regelung aufgenommen worden ist. Dieses Ziel hat auch der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 145 SGB IX im Auge gehabt, wonach die Regelung zur unentgeltlichen Beförderung von Schwerbehinderten im öffentlichen Personenverkehr "schwer behinderte Bezieher oder Bezieherinnen von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz mit den schwer behinderten Menschen gleichgestellt, die vergleichbare lebensunterhaltssichernde Leistungen beziehen" (BT-Drucksache 15/1783 S. 19). Zu dem gleichen Ergebnis führt aber auch die Auslegung des § 145 SGB IX im Lichte der Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet es, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist allerdings bei Gesetzgebung und Interpretation nicht jegliche Differenzierung verwehrt. Es soll lediglich ausgeschlossen werden, das eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Darüber hinaus kommt in Art. 3 GG ein Willkürverbot als fundamentales Rechtsprinzip zum Ausdruck (vgl. BVerfGE 55, 72, 78). Eine formal-juristische Regelung der Bezugsberechtigung kann in diesem Zusammenhang kein Kriterium sachgerechter Differenzierung sein, wie dies in der vom Beklagten herangezogenen Verfügung des Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung vom 07.02.1995 - 5 B 2-58 171-2/33 - vertreten wird, wonach eine analoge Anwendung der gesetzlichen Regelung oder eine Änderung des § 145 SGB IX nicht für erforderlich gehalten wurde, weil eine vom BMA durchgeführte Länderumfrage ergeben habe, dass es sich lediglich um eine Personenkreis von unter 20 Personen gehandelt habe und hierfür eine gesetzliche Neuregelung nicht für notwendig erachtet wurde.

Die Kammer verkennt in diesem Zusammenhang auch nicht, dass Asylbewerber in der Regel nur ein zeitlich beschränktes Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland haben und nach Abschluss eines für diese negativ verlaufenden Asylverfahrens wieder in ihre Heimat zurückkehren müssen bzw. sollen und insofern kein Daueraufenthaltsrecht behalten können. Im vorliegenden Fall lebt die Klägerin jedoch bereits seit 1998 - also 9 Jahre - in der Bundesrepublik Deutschland und nach den aktenkundigen Unterlagen sind derzeit keine Anhaltspunkte für eine Beendigung oder Begrenzung ihres Aufenthaltsrechts bekannt, so dass es nicht gerechtfertigt ist, sie als behinderten, hilfsbedürftigen Menschen jedenfalls bei der Ausgabe der kostenlosen Wertmarke für ein Jahr zu benachteiligen und eine unterschiedliche Behandlung der behinderten Menschen, die aufgrund fehlenden eigenen Einkommens mit den Existenzminimum der in SGB XII genannten Personenkreis auskommen müssen, nicht gerechtfertigt ist.