VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 10.10.2007 - 11 K 3185/06 - asyl.net: M12294
https://www.asyl.net/rsdb/M12294
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Niederlassungserlaubnis, Aufenthaltsdauer, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsbefugnis, Übergangsregelung, Zuwanderungsgesetz
Normen: AufenthG § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; AufenthG § 101 Abs. 2; AufenthG § 26 Abs. 4 S. 1; AufenthG § 26 Abs. 4 S. 4; AufenthG § 35 Abs. 1
Auszüge:

Die im Hauptantrag zulässige Klage ist bereits insoweit begründet.

Beide Klägerinnen haben einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.

Allerdings trifft die Rechtsansicht der Beklagten, eine Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG könne nicht erteilt werden, zu.

Gemäß § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG wäre insoweit der fünfjährige Besitz einer Aufenthaltserlaubnis Voraussetzung. Eine solche besitzen die Klägerinnen indes erst seit dem 01.01.2005, als mit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes die ihnen zuvor erteilte Aufenthaltsbefugnis gemäß § 101 Abs. 2 AufenthG zu einer Aufenthaltserlaubnis mutierte. Dass der vorangegangene rechtmäßige Aufenthalt der Klägerinnen seit dem 23.08.1999, als ihnen erstmals eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden konnte, nicht anrechenbar ist, ergibt sich schon aus § 102 Abs. 2 AufenthG, der eine solche Anrechnungsragei ausdrücklich nur für den Bereich des humanitären Aufenthaltsrechts (dazu sogleich) anordnet.

Zutreffend ist auch die Ansicht der Beklagten, die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis unmittelbar nach § 26 Abs. 4 S. 1 AufenthG scheide aus, da die Klägerinnen nicht seit sieben Jahren in Besitz eines humanitären Aufenthaltsrechts sind. Auch insoweit wird auf die Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Mit Inkrafttreten des Aufenthattsgesetzes zum 01.01.2005 mutierten die früheren Aufenthaltsbefugnisse der Klägerinnen nicht nur zur Aufenthaltserlaubnis (vgl. oben), es fand vielmehr auch ein Zweckwechsel statt. Da das Abschiebungsverbot nicht die Klägerinnen selbst betraf, vielmehr ihren minderjährigen herzkranken Bruder, wandelte sich ihr Aufenthaltsrecht nach dem Willen des Gesetzgebers vom (familiär abgeleiteten) humanitären Aufenthaltsrecht zu einem solchen aus rein familiären Gründen, also in der Zählweise des Aufenthattsgesetzes vom 5. in den 6. Abschnitt des 2. Kapitels des AufenthG (Storr/Wenger u.a., ZuwG, § 101 AufenthG Rz 31). § 26 Abs. 4 S. 1 AufenthG ist im Falle der Klägerinnen daher unanwendbar.

Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt den Klägerinnen hier aber ein Anspruch auf Niederlassungserlaubnis aus § 24 Abs. 4 S. 4 i.V.m. der entsprechenden Anwendung von § 35 Abs. 1 AufenthG zu. Nach der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (Beschl. v. 29.05.2007 - 11 S 2093/06 -, zit. Nach <juris>; dort Nr. 13), der sich der Berichterstatter anschließt, können frühere Zelten einer Aufenthaltsbefugnis bei der Anwendung von § 35 Abs. 1 AufenthG insoweit angerechnet werden. Da § 26 Abs. 4 Satz 4 AufenthG nur die "entsprechende Anwendung" des § 35 AufenthG anordnet, genügt es bereits, wenn der Betreffende im Besitz eines Aufenthaltstitels nach denn fünften Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes ist (VGH Ba.-Wü. a.a.O.). Dann genügt es aber zur Anwendung des § 35 Abs. 1 AufenthG auch, wenn der Betreffende den vorausgesetzten Besitz einer fünfjährigen Aufenthaltserlaubnis teilweise mit Zeiten einer Aufenthaltserlaubnis nach neuem Recht (vgl. oben), teilweise mit Zeiten des Besitzes einer früheren Aufenthaltsbefugnis erfüllt. Denn bei der gebotenen entsprechenden Anwendung des § 35 Abs. 1 Satz 1 AufenthG dürfte zur Berechnung der Fünf-Jahres-Frist die Zeit des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis vor dem 01.01.2005 ebenfalls anzurechnen sein, zumal die Anrechnungsregelung in § 102 Abs. 2 AufenthG zwischen § 26 Abs. 4 Satz 1 und 4 AufenthG nicht unterscheidet (VGH Ba.-Wü. a.a.O.). Dafür spricht nicht zuletzt auch der integrationspolitische Zweck des § 26 Abs. 4 Satz 4 AufenthG und die Absicht des Gesetzgebers, Kinder mit einem humanitären Aufenthaltstitel hinsichtlich der Aufenthaltsverfestigung mit Kindern gleichzustellen, die eine zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilte Aufenthaltserlaubnis besitzen (BT-Drucks. 15/420, S. 80). Anhaltspunkte dafür, dass diese Zielsetzungen nicht auch Personen in der Lage der Klägerinnen zugute kommen sollen, sind nicht erkennbar. Soweit dagegen die Rechtsnatur des § 26 Abs. 4 Satz 4 AufenthG als "Rechtsgrundverweisung" (Welte, in Jakober/Welte, Aktuelles Ausländerrecht § 26 Rn. 43) eingewandt wird, überzeugt dies im Hinblick auf die genannten Zielsetzungen des Gesetzgebers nicht. Diese legen vielmehr eine Auslegung der Vorschrift in dem Sinne nahe, dass es für die "entsprechende" Anwendung des § 35 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genügt, wenn der danach erforderliche fünfjährige Besitz eines Aufenthaltstitels in den die Erteilung einer Niederiassungseriaubnis eröffnenden siebenjährigen Zeitraum des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis Im Sinne des § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG fällt. Dann kommt dem Kind in einem "Altfall" mittelbar auch die Anrechnungsregelung nach § 102 Abs. 2 AufenthG zugute (VGH Ba.-Wü., a.a.O.).