SG Kassel

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Zitieren als:
SG Kassel, Beschluss vom 30.01.2008 - S 12 AY 14/07 ER - asyl.net: M12379
https://www.asyl.net/rsdb/M12379
Leitsatz:

Zeiten des Bezugs von "höherwertigen Leistungen" zählen bei der 48-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG mit; Anordnungsgrund für einstweilige Anordnung unter anderem wegen Zugang zur Krankenversicherung bei Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Suspensiveffekt, Dauerverwaltungsakt, Dauerwirkung, 48-Monats-Frist, Grundsicherung für Erwerbsunfähige, Eilbedürftigkeit, Krankenversicherung, Vorwegnahme der Hauptsache
Normen: SGG § 86a Abs. 2; SGG § 86a Abs. 1; AsylbLG § 2 Abs. 1
Auszüge:

Zeiten des Bezugs von "höherwertigen Leistungen" zählen bei der 48-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG mit; Anordnungsgrund für einstweilige Anordnung unter anderem wegen Zugang zur Krankenversicherung bei Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung ist zulässig und entsprechend dem o.a. Tenor auch begründet.

Hinsichtlich der Begründetheit ihres Antrages berufen sich die Antragsteller sodann selbst zwar sinngemäß allein auf § 86 b Abs. 2 SGG, machen den streitigen Anspruch hier also auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen als sogenannte Vornahmesache und damit als Regelungsanordnung geltend. Abzustellen ist hier nach Auffassung des erkennenden Gerichts jedoch auf § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm einer analogen Anwendung von § 86 b Abs. 1 SGG, da die Leistungsgewährung bei verständiger Würdigung aus der Sicht der Antragsteller und der o.a. Handhabung durch den Antragsgegner rein tatsächlich im Rahmen von Dauerverwaltungsakten erfolgt ist (vgl. hierzu SG Würzburg, Beschluss vom 30. Oktober 2007, S 15 AY 18/07 ER; SG Braunschweig, Beschluss vom 14. Dezember 2007, S 20 AY 70/07 ER sowie Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 18. April 2007, L 7 SO 85/06 ER) mit der Folge dass es sich danach vorliegend um eine Anfechtungsklage im o.a. Sinne handelt, wobei Widerspruch und Anfechtungsklage bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung haben, ohne dass es insoweit noch auf eine mögliche Erfolgsaussicht in der Hauptsache, eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides oder eine wie auch immer geartete 1nteressenabwägung ankommt, so dass es letztlich - neben anderen Gründen - dahingestellt bleiben kann, ob sich der angefochtene Bescheid aus welchen Gründen nach einer hier dann ohnehin nur gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig oder eben als rechtswidrig erweist, so dass die aufschiebende Wirkung hier allein auf der Grundlage des § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG entfallen könnte, also auf der Grundlage einer Anordnung der sofortigen Vollziehung durch den Antragsgegner, ohne dass eine solche vorliegt und ohne dass die weiteren, die aufschiebende Wirkung entfallen lassenden Voraussetzungen des § 86 a Abs. 2 SGG erfüllt wären.

Selbst wenn man das Vorliegen der Voraussetzungen des § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG hier dann aber verneinen würde und statt dessen hinsichtlich der Begründetheit des Antrages der Antragsteller als sogenannter Vornahmesache auf der Grundlage der o.a. Ausführungen allein auf § 88 b Abs. 2 SGG abstellen würde, wäre dieser schließlich im Sinne der tenorierten o.a. Verpflichtung zumindest ab Antragseingang und damit ab 10. Dezember 2007 begründet.

Dabei lässt es die Kammer dahingestellt, ob dies bereits auf der Grundlage des von den Antragstellern für sich in Anspruch genommenen "Bestandsschutzes" der Fall ist, da die Antragsteller zum 1. November 2007 auch bereits die o.a. "Wartezeit" der gesetzlichen Neureglung von 48 Monaten erfüllen.

Zwar vertritt der Antragsgegner insoweit die Auffassung, dass eine Leistungsgewährung nach § 2 Abs. 1 AsylbLG iVm dem SGB XII zum 1. November 2007 nur dann in Betracht käme, wenn hier für einen Zeitraum von 48 Monaten (insgesamt ausschließlich) Leistungen nach § 3 AsylbLG gewährt worden seien, was schon deshalb nicht der Fall sei, da den Antragstellern vor Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung des § 2 AsylbLG Leistungen nach § 3 AsylbLG eben nur für 36 Monate gewährt worden seien. Dem vermag die Kammer mit den Ausführungen des Hessischen Landessozialgerichts in dessen noch zur Erfüllung der "Wartezeit" von 36 Monaten ergangenem, auch bereits von den Antragstellern in Bezug genommenen Beschluss vom 21. März 2007, L 7 AY 14/08 ER für die Zeit ab 1. November 2007 und der weiteren o.a. Rechtsprechung jedoch nicht zu folgen. Denn wenn mit dem Hessischen Landessozialgericht (wie vor) bereits der Bezug der (niedrigen) Leistungen nach § 3 AsylbLG nach Ablauf der "Wartezeit" die von § 2 Abs. 1 AsylbLG bezweckte Besserstellung rechtfertigt, dann gilt dies erst recht, wenn diese "Wartezeit" durch den Bezug von "höherwertigen" Sozialleistungen abgedeckt ist. Der Anspruch auf diese Sozialleistungen verlangt die Erfüllung höherer Anspruchsvoraussetzungen als jene für § 3 AsylbLG. Daraus resultiert, dass bei einem Bezug dieser "höherwertigen" Sozialleistungen auch Ansprüche nach § 3 AsylbLG potentiell bestehen, welche nur deswegen nicht zum Tragen kommen, weil diese Leistungen nachrangig sind (vgl. ausführlich Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 21. März 2007, L 7 AY 14/06 ER). Dem schließt sich die Kammer an.

Die Kammer geht schließlich in der vorliegenden Fallkonstellation mit dem Hessischem Landessozialgericht (wie vor) auch vom Bestehen eines Anordnungsgrundes aus. Wenn, wie hier, ein Anordnungsanspruch im Hinblick auf die Gewährung von SGB XII-Leistungen glaubhaft gemacht wurde, steht der Eilbedürftigkeit die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG nicht entgegen. Die Frage, ob ein Anordnungsgrund im Hinblick auf die begehrten SGB XII-Leistungen bestehen kann, wenn fortwährend Leistungen nach dem AsylbLG bewilligt werden, ist - soweit wie hier ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht wird und der Ausgang des Verfahrens deshalb nicht als offen anzusehen ist - zu bejahen. Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigt dann keine Verweisung auf das AsylbLG, wenn wie hier ganz überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen. Aufgrund des dargelegten funktionalen Zusammenhangs zwischen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund vermindern sich in einem solchen Fall die Anforderungen an die Eilbedürftigkeit. In der Regel ist dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann (vgl. hierzu Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 11. Juli 2006, L 7 SO 19/06 ER). Bei einem Verweis auf das Hauptsacheverfahren würde die Erreichung des Zweckes von § 2 Abs. 1 AsylbLG, nämlich bei längerfristiger Dauer des Aufenthaltes auch Bedürfnisse anzuerkennen, die auf eine stärkere Angleichung der Lebensverhältnisse und auf bessere soziale Integration zielen, verfehlt. Der Antragstellern wäre nicht damit gedient, die streitigen Beträge möglicherweise erst nach Jahren zu erhalten. Bezüglich des Krankenversicherungsschutzes verweisen die Antragsteller im Übrigen zumindest sinngemäß zu Recht darauf, dass es ein erheblicher Unterschied ist, einen Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) oder nur auf Krankenhilfe in Akutfällen nach § 4 Abs. 1 AsylbLG zu haben. Krankenversicherungsschutz nach dem SGB V ließe sich zudem dann aber auch bei einem Erfolg im Hauptsacheverfahren nicht mehr nachträglich herstellen.