VG Würzburg

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Zitieren als:
VG Würzburg, Urteil vom 04.10.2007 - W 6 K 06.30104 - asyl.net: M12608
https://www.asyl.net/rsdb/M12608
Leitsatz:
Schlagwörter: Afghanistan, Folgeantrag, subjektive Nachfluchtgründe, Konversion, Apostasie, Christen, Zeugen Jehovas, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Glaubwürdigkeit, DVPA, Mitglieder, Krankheit, Diabetes mellitus, medizinische Versorgung, psychische Erkrankung, Sachaufklärungspflicht, Sicherheitslage, Versorgungslage, Kabul
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 5; AufenthG § 60 Abs. 7; AsylVfG § 28 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c
Auszüge:

Die Klage ist zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.

Eine Gefährdung des Klägers ist nicht wegen seiner früheren Mitgliedschaft bei der DVPA und seiner Tätigkeit im Finanz- und Bildungsministerium in Kabul anzunehmen.

Die Parteimitgliedschaft und berufliche Tätigkeit des Klägers war bereits Gegenstand seines Vorbringens im Erstverfahren. Der Kläger hatte hierzu Unterlagen vorgelegt. Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit für ehemalige DVPA-Mitglieder und Mitarbeiter in sonstigen Regierungsstellen ist nach der Auskunftslage derzeit jedoch nur noch dann anzunehmen, wenn diese unter dem früheren kommunistischen Regime eine ranghohe Stellung eingenommen hatten, in dieser Tätigkeit deutlich und für einen größeren Personenkreis erkennbar nach außen getreten sind und durch die Ausübung ihrer Funktion insbesondere in Militär und Geheimdienst für die Tötung oder Verfolgung von Mujaheddin verantwortlich gemacht werden können. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen sind aber für eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer landesweiten Lebens- oder Leibesgefährdung ehemaliger DVPA-Mitglieder tendenziell eher höhere Anforderungen an deren herausragende Stellung, an ihren überregionalen Bekanntheitsgrad und an ihrer Teilnahme an gegen Mujaheddin gerichtete Aktivitäten zu stellen, als unter der Herrschaft der Taliban (HessVGH, U.v. 11.11.2004, 8 UE 2759/01.A, ebenso U.v. 10.02.2005, 8 UE 185/02.A). Dass der Kläger eine solche herausragende und ranghohe Stellung eingenommen hätte, wurde bereits im Erstverfahren nicht festgestellt.

Die Klage ist auch erfolglos, soweit sich der Kläger auf den Abfall vom moslemischen Glauben und seinem Übertritt zu den Zeugen Jehovas beruft. Ein Abfall vom moslemischen Glauben (Apostasie) und ein Übertritt zum christlichen Glauben der Zeugen Jehovas (Konversion) im Sinne einer ernsthaften und nachhaltigen Gewissensentscheidung war im Falle des Klägers nicht feststellbar.

Die Anerkennung als Asylberechtigter sowie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 1 AsylVfG in der seit 28. August 2007 geltenden Fassung wegen Apostasie bzw. Konversion war bereits nach § 28 Abs. 1 und 2 AsylVfG ausgeschlossen.

Aber auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und insbesondere nach § 60 Abs. 7 i.V.m. Abs. 11 AufenthG waren vorliegend nicht gegeben. Nach Art.l0 Abs. 1 b der Qualifikationsrichtlinie umfassen Verfolgungsgründe wegen der Religion, insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen und nach dieser vorgeschrieben sind. Gemäß Art. 10 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie ist bei Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob der Betreffende tatsächlich die religiösen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden. Das Gericht kann dahinstehen lassen, inwieweit Art. 10 der Qualifikationsrichtlinie über das bisher in der Rechtsprechung als asylrelevant zugebilligte "religiöse Existenzminimum" (BVerwG v. 20.01.2004, NVwZ 2004, S. 1000) hinaus weitergehenden Schutz vermittelt und nicht nur das sog. "forum internum" schützt. Zwar kann nach den vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Auskünften (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. März 2007, Update der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 3. Februar u. 11. Dezember 2006, Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 25. Mai 2005 an das Verwaltungsgericht Neustadt, Dr. Danesch vom 13. Mai 2004 an das Verwaltungsgericht Braunschweig, UNHCR, Stellungnahme zur Frage der Flüchtlingseigenschaft afghanischerAsylsuchender vom Juli 2003, Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 22. Dezember 2004 an das Verwaltungsgericht Hamburg und vom 5. April 2004 an das Verwaltungsgericht Hannover) davon ausgegangen werden, dass vom moslemischen Glauben abgefallene und zum Christentum konvertierte Afghanen bei Rückkehr einer beachtlichen Verfolgungsgefahr ausgesetzt sind. Das Gericht geht nach Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung mit dem Bundesamt davon aus, dass dieser weder in ernsthafter und nachhaltiger Weise von seinem moslemischen Glauben abgefallen ist noch einen Glaubenswechsel vollzogen hat.

Diesem Vorbringen ist zu entnehmen, dass der Kläger zwar seit geraumer Zeit in mehr oder minder regelmäßigem Kontakt zu den Zeugen Jehovas ist und sich insofern sicher auch ein gewisser Bewusstseinswandel bei ihm zwischenzeitlich vollzogen hat. Von einem Abfall vom moslemischen Glauben und einer Hinwendung zum christlichen Glauben im Sinne einer ernsthaften Gewissensentscheidung kann jedoch noch nicht die Rede sein. Der Kläger ist weder getauft, noch hat er derzeit den Status eines "ungetauften Verkünders". Dass der Kläger deshalb bei Rückkehr in einen Gewissenskonflikt geraten würde, wenn er sich wieder den Gepflogenheiten in seinem Heimatland zuwendet, kann deshalb nicht angenommen werden. Es ist ihm deshalb zuzumuten bei Rückkehr seine Kontakte zu den Zeugen Jehovas zu verschweigen, um so staatliche oder nicht staatliche Repressionen in seinem Heimatland zu vermeiden (HessVGH, B.v. 26.06.2007, InfoAuslR 2007, 405).

Auch aus der geltend gemachten Erkrankung des Klägers ergibt sich keine besondere Gefahrenlage. Dem Kläger kann geglaubt werden, dass er an Diabetes Mellitus Typ II erkrankt ist und insofern gehalten ist, das Medikament Metformin AL 850 (monatliche Kosten 17,22 EUR) einzunehmen und er im Übrigen auf seine Ernährung achten und seine Blutwerte gelegentlich überprüfen soll. Entsprechende Medikamente sind nach dem vom Bundesamt zitierten Botschaftsbericht vom 17. Mai 2005 an das VG Hamburg in Afghanistan jedoch erhältlich. Nach einem weiteren Botschaftsbericht vom 18. Juni 2006 an das VG Osnabrück haben seit dem Jahr 2005 vier Diabeteszentren in Kabul ihre Tätigkeit aufgenommen. Beratung und Blutzuckerkontrolle sind nunmehr möglich. Schwierigkeiten können sich lediglich bei der Versorgung mit Insulin ergeben (Botschaftsbericht vom 19.02.2006 an das VG Osnabrück). Der Kläger ist jedoch nicht auf Insulin angewiesen.

Im Übrigen kann davon ausgegangen wer en, dass der Kläger bei Rückkehr auf familiäre Unterstützung rechnen kann.

Auch die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage, insbesondere im Raum Kabul, ist nach den in das Verfahren eingeführten Auskünften nicht derart schlecht, dass eine Rückkehr des Klägers als unzumutbar anzusehen wäre. Das Gericht geht in seinen Entscheidungen derzeit regelmäßig davon aus, dass männlichen Erwachsenen, jungen und mittleren Alters, wenn sie nicht an wesentlichen Erkrankungen leiden und keine sonstigen Gefährdungsmerkmale aufweisen, selbst ohne intakten Familienanschluss, eine Rückkehr in den Raum Kabul zumutbar ist.