OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 12.10.2001 - 2 L 2847/98 - asyl.net: M1263
https://www.asyl.net/rsdb/M1263
Leitsatz:

Zur Unverzüglichkeit eines Antrags auf Familienasyl; Antrag auf Familienasyl ist im Regelfall innerhalb von zwei Wochen nach der Geburt zu stellen.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Familienasyl, Minderjährige, Kinder, Asylantragstellung, Unverzüglichkeit, Fristen, Verschulden, Syrien, Kurden, Jesiden, Hassake, Religiös motivierte Verfolgung, Mittelbare Verfolgung, Verfolgung durch Dritte, Gruppenverfolgung, Sippenhaft, Staatenlose, gewöhnlicher Aufenthalt, Einreiseverweigerung
Normen: GG Art. 16a; AsylVfG § 26 Abs. 2; AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Die Beigeladene hat keinen Anspruch auf Familienasyl nach § 26 AsylVfG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 29. Oktober 1997 (BGBII S. 2584).

Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 iVm Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG hat das Kind eines Asylberechtigten, das, wie die Beigeladene, in Deutschland während des Asylverfahrens ihrer Eltern, aber vor deren Anerkennung geboren worden ist, einen Anspruch auf Familienasyl nur dann, wenn sein Asylantrag unverzüglich nach der Geburt gestellt worden ist (vgl. Erfordernis des unverzüglichen Antrages bei Kindern zu § 26 AsylVfG a.F. BVerwG, Urt. v. 13.05.1997 - 9 C 35.96 -, BVerwGE 104, 362). Insoweit hat sich die Rechtslage nach Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 29. Oktober 1997 (aaO) am 1. November 1997 nicht geändert (vgl. das Urt. d. 11. Sen. des erkennenden Gerichts v. 18.01.2000 - 11 L 4316/99 - OVG Münster, Beschl. v. 26.06.2001 - 8 A 2209/00.A -).

Diese Voraussetzungen sind im Falle der Beigeladenen nicht gegeben, weil ihr Antrag nicht unverzüglich nach der Geburt gestellt worden ist.

Von einer unverzüglichen Antragstellung kann in der Regel nur gesprochen werden, wenn der Antrag spätestens zwei Wochen nach der Geburt gestellt worden ist. Anderes gilt, wenn sich auf Grund besonderer Umstände im Einzelfall ergibt, dass der Antrag nicht früher gestellt werden konnte (vgl. zu § 26 AsylVfG a.F. BVerwG, Urt. v. 13.05.1997, aaO, BVerwGE 104, 362, 367; OVG Lüneburg, Urt. v. 18.01.2000, aaO). Nach diesem Maßstab ist der Antrag der Beigeladenen, der mehr als neun Monate nach der Geburt gestellt worden ist, als schuldhaft verspätet anzusehen. Ein Einzelfall, der es gebieten könnte, eine längere Frist als zwei Wochen einzuräumen, ist nicht ersichtlich; derartige Besonderheiten werden von der Beigeladenen auch nicht vorgetragen.

Zu einem anderen Ergebnis kommt man auch dann nicht, wenn man nach Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 29. Oktober 1997 (aaO) die Zweiwochenfrist nicht als regelmäßig maßgebliche Antragsfrist ansieht, sondern für den Fall, dass eine Belehrung über die Frist nicht vorliegt, immer darauf abstellt, ob das Zögern mit einer Antragstellung nach den besonderen Verhältnissen im konkreten Fall schuldhaft ist (so OVG Münster, Beschl. v. 26.06.2001, aaO). Auch bei einer allein auf den Einzelfall abstellenden Betrachtungsweise ergeben sich hier keine Gesichtspunkte, die es rechtfertigen könnten, ein Zögern von mehr als neun Monaten noch als unverzüglich im Sinne des § 26 AsylVfG zu bewerten.

Die Beigeladene kann sich nicht auf originäre Asylgründe berufen, die nach Art. 16 a Abs. 1 GG einen Anspruch auf Asyl begründen.

Ob der Beigeladenen im Falle der Einreise nach Syrien politische Verfolgung im Sinne dieser Bestimmung droht, ist nicht entscheidungserheblich, denn die Beigeladene ist staatenlos und Syrien ist auch nicht das Land ihres gewöhnlichen Aufenthalts. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat angeschlossen hat, löst ein Staat seine Beziehungen zu einem Staatenlosen und hört auf, für ihn das Land des gewöhnlichen Aufenthaltes zu sein, wenn er den Staatenlosen aus im asylrechtlichen Sinne nicht politischen Gründen ausweist oder ihm die Einreise verweigert. Ein solcher Staat steht dem Staatenlosen nunmehr in gleicher Weise gegenüber wie jeder andere auswärtige Staat. Unter asylrechtlichen Gesichtspunkten ist es dann unerheblich, ob dem Staatenlosen im früheren Aufenthaltsland politische Verfolgung droht. Sein Status richtet sich nach dem Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954 BGBl 1976 II, 473, 197711235 - (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.10.1995 - 9 C 75.95 -, NVwZ-RR 1996, 471, 472, Sen. Urt. v. 27.03.2001 - 2 L 2505/98 -). Nach diesem Maßstab kann die Beigeladene aus den Verhältnissen in Syrien keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte ableiten.

Die Beigeladene hätte aber auch dann keinen Anspruch auf Asyl, wenn es für die Entscheidung darauf ankäme, ob sie im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien politischer Verfolgung ausgesetzt wäre. Die Gefahr politischer Verfolgung ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegeben.

Nach der Rechtsprechung des Senats, die auf einer eingehenden Würdigung der einschlägigen Erkenntnismittel beruht, werden yezidische Kurden aus dem Nordosten Syriens nicht wegen ihres Glaubens oder ihrer Volkszugehörigkeit verfolgt (vgl. die Sen. Urt. v. 27.03.2001 - 2 L 2505/98 und 2 L 5117/97 -; Urt. v. 22.05.2001 - 2 L 3644/99 -). Dies gilt auch für staatenlose Kurden (Urt. v. 27.03.2001 - 2 L 2505/98 -, m.w.N.).

Die Beigeladene kann sich auch nicht darauf berufen, sie habe aus individuellen Gründen eine politische Verfolgung zu erwarten. Als in Deutschland geborene Kurdin ist sie bisher Verfolgungsmaßnahmen syrischer Stellen nicht ausgesetzt gewesen. Es ist auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sie als Tochter von Eltern, die auf Grund von politischer Verfolgung als Asylberechtigte anerkannt worden sind, im Falle einer Rückkehr nach Syrien politischer Verfolgung ausgesetzt wäre. Es gibt in Syrien keine generelle Praxis der Sippenhaft. Sippenhaft, oder sippenhaftähnliche Maßnahmen drohen nur nahen Angehörigen solcher Personen, die als gefährliche Regimegegner eingestuft werden. Dabei liegen aber keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass der syrische Staat auch minderjährige Kinder im Alter der Beigeladenen in die politische Verfolgung von Personen einbezieht, die in Syrien als gefährliche Regimegegner angesehen werden (vgl. zur Sippenhaft die Sen. Urt. v. 22.06.1999 - 2 L 670/98 - und v. 05.07.2000- 2 L 3851/98-).