SG Aachen

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Zitieren als:
SG Aachen, Beschluss vom 12.03.2008 - S 20 AY 6/08 ER - asyl.net: M12840
https://www.asyl.net/rsdb/M12840
Leitsatz:

Bei der 48-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG zählen aufgrund der Streichung der Stichtagsregelung auch Bezugszeiten vor dem 1.6.1997 mit; ferner sind Zeiten des mittelbaren Bezugs von Sozialleistungen über die Eltern zu berücksichtigen.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, 48-Monats-Frist, Anwendungszeitpunkt, Stichtagsregelung, Sozialhilfebezug, Grundsicherung für Arbeitssuchende, Kinder, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: SGG § 86b Abs. 2; AsylbLG § 2 Abs. 1
Auszüge:

Bei der 48-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG zählen aufgrund der Streichung der Stichtagsregelung auch Bezugszeiten vor dem 1.6.1997 mit; ferner sind Zeiten des mittelbaren Bezugs von Sozialleistungen über die Eltern zu berücksichtigen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.

Für den im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein streitbefangenen Anspruch für die Zeit vom 25.02.2008, dem Datum der Eilantragstellung, bis zum 31.03.2008, dem Ablauf des Monats der gerichtlichen Entscheidung, ergibt sich der Anspruch aus § 2 Abs. 1 AsylbLG in der Fassung durch Art. 6 Abs. 2 Nr. 2 des "Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union" vom 09.08.2007 (BGBl. I S. 1970), in Kraft getreten am 28.08.2007, dem Tag nach der Verkündung des Gesetzes. Danach ist abweichend von §§ 3 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Diese Voraussetzungen erfüllen die Ast.

Die Ast. zu 1) hat von Dezember 1995 bis Januar 2008 insgesamt 55 Monate Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten. Entgegen der Auffassung des Ag. sind insofern nicht nur die 37 Monate vom 01.06.1997 bis 31.01.2008 zu berücksichtigen, sondern auch die 18 Monate vom 01.12.1995 bis 31.05.1997. Zwar hat § 2 Abs. 1 AsylbLG in der vom 01.06.1997 bis 31.12.2007 geltenden Fassung darauf abgestellt, dass Leistungsberechtigte die Leistungen nach § 3 AsylbLG über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten, "frühestens beginnend am 01. Juni 1997", erhalten haben. Diese Gesetzesfassung ist für den hier streitbefangenen Anspruch für die Monate Februar und März 2008 jedoch nicht mehr einschlägig. Die geltende Fassung des § 2 Abs. 1 AsylbLG enthält die Stichtagsregelung "frühestens beginnend am 01. Juni 1997" nicht mehr; sie wurde ersatzlos gestrichen. Die leistungsrechtliche Besserstellung knüpft also nicht mehr auf den Vorbezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG ab einem gesetzlich festgelegten Stichtag an. Ausreichend ist allein, dass insgesamt über einen Zeitraum von 48 Monaten Grundleistungen bezogen worden sind. Dies ist bei der Ast. zu 1) der Fall.

Aber auch die Ast. zu 2) erfüllt die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der ab 28.08.2007 geltenden Fassung. Zwar hat sie in der Zeit vom 01.01.2007 bis 25.02.2008, dem Eingang das Eilantrags bei Gericht, erst 13 Monate und 25 Tage Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen. Zur Erfüllung der 48-Monats-Frist sind jedoch noch weitere Zeiten des Bezugs von Sozialleistungen, die die Ast. zu 2) unmittelbar oder mittelbar über ihre Mutter erhalten hat, anzurechnen.

Nach dem Sinn und Zweck des § 2 Abs. 1 AsylbLG sollen grundsätzlich alle Leistungsberechtigten das § 1 AsylbLG nach 48 Monaten Leistungen auf dem Sozialhilfeniveau des SGB XII erhalten; lediglich bei rechtsmissbräuchlich beeinflusster Aufenthaltsdauer soll dies ausgeschlossen sein (vgl. BT-Drucksache 15/420 S. 121 zu Art. 8 Nr. 3). Die Frist das § 2 Abs. 1 AsylbLG, nach deren Ablauf die höheren Leistungen entsprechend dem SGB XII vorgesehen sind, hat also nicht den Selbstzweck, den nach § 1 AsylbLG Leistungsberechtigten in jedem Fall ein Wirtschaften unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums auf der Basis der abgesenkten Leistungen nach §§ 3-7 AsylbLG zuzumuten; vielmehr legt sie fest, nach welchem Zeitraum der Gesetzgeber von einem längeren Aufenthalt und einem damit verbundenen, legitimen Bedürfnis des Betroffenen auf Integrationsleistungen ausgeht (BT-Drucksache 15/4645, S. 6).

In diesem Sinne genügt zur Erfüllung der 48-Monats-Frist das § 2 Abs. 1 AsylbLG auch der unmittelbare oder mittelbare Bezug von Leistungen nach dem BSHG (Sozialhilfe) oder dem SGB III (Arbeitslosengeld). Das Integrationsbedürfnis, zu dessen Befriedigung auch ausreichende wirtschaftliche Leistungen auf der Höhe des soziokulturellen Existenzminimums (BSGH- bzw. SGB XII-Niveau) gehören, besteht unabhängig davon, ob ein Asylbewerber seinen Lebensunterhalt über einen mindestens 48-monatigen Zeitraum durch Leistungen nach §§ 3-7 AsylbLG oder - erlaubt - anders bestritten hat (LSG NRW, Beschluss vom 26.04.2007 - L 20 B 4/07 AY ER). Wenn bereits der Bezug der (niedrigen) Leistungen, nach § 3 AsylbLG nach Ablauf von 48 Kalendermonaten die von § 2 Abs. 1 AsylbLG bezweckte Besserstellung rechtfertigt, dann gilt dies erst recht, wenn der 4-Jahres-Zeitraum durch den Bezug von "höherwertigen" Sozialleistungen gedeckt ist. Der Anspruch auf diese Sozialleistungen verlangt die Erfüllung höherer Anspruchsvoraussetzungen als jene für § 3 AsylbLG. Daraus resultiert, dass bei einem Bezug dieser "höherwertigen" Sozialleistungen auch Ansprüche nach § 3 AsylbLG potenziell bestehen, welche nur deswegen nicht zum Tragen kommen, weil diese Leistungen nachrangig sind (Hessisches LSG, Beschluss vom 21.03.2007 - L 7 AY 14/06 ER, vgl. in diesem Sinn auch: SG Düsseldorf, Beschluss vom 30.10.2006 - S 29 AY 6/06 ER; SG Aachen, Beschluss vom 03.06.2005 - S 19 AY 6/05 ER; SG Aachen, Urteil vom 19.06.2007 - S 20 AY 4/07). Für den Anspruch der Ast. zu 2) sind daher zur Erfüllung der 48-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG neben den 13 Monaten und 25 Tagen (Leistungsbezug vom 01.01.2007 bis 25.02.2008) auch die 27 Monate und 19 Tage des Bezugs von Leistungen nach dem BSHG und die 12 Monate, in denen sie vom Arbeitslosengeld ihrer Mutter gelebt hat, zu berücksichtigen.

Der Fall der Ast. macht deutlich, dass die Erfüllung des 48-Monats-Bezugszeitraums ausschließlich durch Leistungen nach §§ 3 bis 7 AsylbLG von einer Bewilligung höherer Leistungen auf Sozialhilfeniveau nach § 2 AsyblLG den aufgezeigten Willen des Gesetzgebers konterkarieren würde. Die Ast. zu 1) lebt seit 15 Jahren in Deutschland. Ihr Kind ist hier geboren und wächst hier auf. Die Ast. haben in der Vergangenheit bereits Leistungen auf Sozialhilfeniveau bezogen. Indem der Ag. sie wieder auf das abgesenkte Leistungsniveau nach §§ 3 bis 7 AsylbLG unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums verweist, gefährdet er ihre legitime Integration in die deutsche Gesellschaft.