LSG Niedersachsen-Bremen

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Zitieren als:
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14.03.2008 - L 11 AY 70/07 ER - asyl.net: M12857
https://www.asyl.net/rsdb/M12857
Leitsatz:

Zeiten des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II oder BSHG zählen bei der 48-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG mit.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, 36-Monats-Frist, 48-Monats-Frist, Sozialhilfebezug, Grundsicherung für Arbeitssuchende, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2
Auszüge:

Zeiten des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II oder BSHG zählen bei der 48-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG mit.

(Leitsatz der Redaktion)

Die gemäß §§ 172 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist begründet.

Der Antragstellerin stehen aller Voraussicht nach Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG zu.

Im Streit steht, ob die Antragstellerin die zeitliche Voraussetzung des 36-monatige bzw. seit 28. August 2007 48-monatigen Bezugs von Leistungen "nach § 3 AsylbLG" erfüllt. Zwar hat die Antragstellerin noch nicht über einen Zeitraum von 36 bzw. 48 Monaten Leistungen gemäß "§ 3 AsylbLG" bezogen, doch erfüllt sie unter Anrechnung des vorangegangenen Bezugs von Leistungen nach dem BSHG und SGB II aller Voraussicht nach diese zeitlichen Voraussetzungen.

Der Anrechnung von Leistungen nach dem BSHG oder SGB II oder nach § 2 Abs. 1 AsylbLG auf die 36 bzw. 48-monatige "Wartefrist" i.S.v. § 2 Abs. 1 AsylbLG steht weder der Wortlaut von § 2 Abs. 1 AsylbLG entgegen noch "konterkariert" die Anrechnung dieser Zeiten entgegen der Auffassung des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport den Zweck der Vorschrift. § 2 Abs. 1 AsylbLG - auch in der Vorläufervorschrift - ist einer erweiternden Auslegung zugänglich. Schon vor der hier maßgeblichen Gesetzesänderung stand im Streit, ob der Bezug von anderen Sozialleistungen wie etwa nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), nach dem SGB II oder dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) auf die "Wartefrist" i.S.v. § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. anzurechnen war (vgl. Senatsbeschlüsse vom 12. Juni 2007, L 11 AY 84/06 ER; vom 19. Juni 2007. L 11 AY 43/06 ER beide zu den Aufenthaltsberechtigten gem. § 25 Abs. 5 AufenthG, die erstmals aufgrund der zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Änderung von § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsyibLG in den Kreis der Leistungsberechtigten aufgenommen worden sind und die bis dahin Leistungen nach BSHG. SGB XII bzw. SGB II bezogen hatten; vgl. Nachmann/Hohm, NVwZ 2008, 33,35 mwN für die obergerichtliche Rspr zu § 2 AsylbLG a.F.; vgl. Fasselt in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Auflage § 2 AsylbLG a.F. Rdnr 2 mwN für die Lit.). Es wäre dem Gesetzgeber unbenommen gewesen, durch einen klarstellenden Zusatz in § 2 Abs. 1 AsylbLG n.F. wie etwa "nur" oder "ausschließlich" vor "Leistungen nach § 3 erhalten haben" deutlich zu signalisieren, dass eben nur solche Leistungen "nach § 3" zu berücksichtigen sind. Da eine solche Eindeutigkeit dem Gesetzestext fehl, ist der Wortlaut von § 2 Abs. 1 AsylbLG im Rahmen der anerkannten Auslegungsmethoden einer erweiternden Auslegung (sog. teleologische Extension) zugänglich. Denn die Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz (Artikel 20 Abs. 3 und Artikel 97 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) bedeutet nicht etwa die Bindung an den Buchstaben des Gesetzes mit dem Zwang zur wörtlichen Auslegung, sondern vielmehr das Gebundensein an den Sinn und Zweck der Vorschrift, der mit den herkömmlichen Auslegungsmethoden zu ermitteln ist (vgl. BVerfGE 35, 263, 279).

In der hier nur summarisch vorzunehmenden Prüfung erweist sich die Anrechnung des Bezugs von Leistungen nach dem BSHG bzw. SGB II als eine dem Zweck des Gesetzes entsprechende Auslegung, ohne der Norm einen entgegengesetzten Sinn zu verleihen, der mit dem gesetzgeberischen Ziel nicht mehr in Einklang zu bringen wäre. Denn dann wäre zweifelsohne die Grenze einer zulässigen Auslegung überschritten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 1997, Az.: 1 BvL 11/96, NJW 1997, 773). Eine solche Überschreitung liegt nach summarischer Überprüfung offensichtlich nicht vor.

Auch unter Heranziehung der Gesetzesmaterialien ergibt sich kein der erweiternden Auslegung entgegenstehender oder mit ihr unvereinbarer Zweck.

Der Senat interpretiert die zeitlichen Voraussetzungen iSv § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht als reine "Wartefrist", sondern hat darauf abgestellt, dass die Leistungsberechtigte des AsyIbLG während des Aufenthalts in der Bundesrepublik auch tatsächlich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bezogen haben. Deshalb hat der Senat eine Anrechnung von Aufenthaltszeiten auf die " Wartefrist" von § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. bisher nur dann anerkannt, wenn gleichartige Sozialleistungen, wie etwa nach dem BSHG, dem SGB II oder SGB XII tatsächlich bezogen worden sind (vgl. die oben zitierten Senatsbeschlüsse zu § 2 Abs. 1 AsylblG a.F.). Hingegen ist allein die tatsächliche Dauer des Aufenthalts in der Bundesrepublik für nicht ausreichend erachtet worden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 9. Mai 2007, Az: L 11 AY 58/06 ER und vom 27. März 2007, Az: L 11 B 17/07 AY). Die Gleichartigkeit der von der Antragstellerin bezogenen Leistungen nach dem BSHG und SGB II (gleiches gilt für Leistungen nach dem SGB XII und Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG) beruht darauf, dass diese Sozialleistungen den für das Existenzminimum notwendigen Lebensbedarf im Rahmen eines beitragsunabhängigen, steuerfinanzierten Fürsorgesystems sicherstellen. Leistungen nach § 3 AsylbLG dienen demselben Zweck, wenngleich das Existenzminimum noch auf einem unterhalb der Sozialhilfe liegenden Niveau sichergestellt wird (sog. Grundleistungen). Bei Außerachtlassen der zulässigen Anrechnung gleichartiger Sozialleistungen müsste die Antragstellerin ab dem 28. August 2007 noch über einen erheblichen Zeitraum Leistungen nach § 3 AsylbLG beziehen, da sie bislang erst seit Juni 2006 Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen hatte. Ohne Anrechnung gleichartiger Sozialleistungen käme die Antragstellerin erst weit nach Ablauf einer Aufenthaltsdauer von 48 Monaten in den Genuss höherwertiger Leistungen auf Sozialhilfeniveau. Eine solche Intention steht den erwähnten Gesetzesmaterialien entgegen.