SG Aachen

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Zitieren als:
SG Aachen, Urteil vom 29.01.2008 - S 20 AY 5/07 - asyl.net: M12881
https://www.asyl.net/rsdb/M12881
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Aufenthaltsdauer, Rechtsmissbrauch, freiwillige Ausreise, Zumutbarkeit, Mitwirkungspflichten, Passbeschaffung, Passersatzbeschaffung, Äthiopien, Äthiopier
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1
Auszüge:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Einschlägig ist § 2 Abs. 1 AsylbLG in der bis 27.08.2007 geltenden Fassung. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht. Er hat zwar am 15.12.2006 die 36-Monatsfrist nach § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. erfüllt, weil er bis zu diesem Zeitpunkt seit dem 15.12.2003 ununterbrochen Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen hat. Jedoch hat er die Dauer seines Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst.

Unter rechtsmissbräuchlicher Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer versteht § 2 Abs. 1 AsylbLG eine von der Rechtsordnung missbilligte, subjektiv vorwerfbare und zur Aufenthaltsverlängerung führende Nutzung der Rechtsposition, die ein Ausländer durch vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) erlangt hat. Darunter fällt u.a. der Verbleib eines Ausländers in Deutschland, dem es möglich und zumutbar wäre, auszureisen (BSG, Urteil vom 08.02.2007 - B 9b AY 1/06 R - m.w.N.). Der Kläger ist seit dem 19.09.2004 vollziehbar ausreisepflichtig. Er ist deshalb unverzüglich oder bis zum Ablauf einer ihm gesetzten Frist zur Ausreise verpflichtet. Kommt ein Ausländer einer solchen Verpflichtung nicht nach und ist aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen eine Abschiebung nicht möglich, wird diese vorübergehend ausgesetzt. Durch eine solche "Duldung" bleibt aber die Ausreisepflicht unberührt. Nach dieser Konzeption des Aufenthaltsrechts (vgl. §§ 50 Abs. 1 und 2, 58 Abs. 1, 60a Abs. 2 und 3 AufenthG) widerspricht der weitere Inlandsaufenthalt eines ausreisepflichtigen, aber geduldeten Ausländers der Rechtsordnung. Lässt seine Ausreisepflicht sich nicht zwangsweise durchsetzen, wird ihm zwar auch ohne entsprechenden Titel ein vorübergehender Aufenthalt ohne Verstoß gegen Strafvorschriften möglich gemacht. Die Forderung, selbstständig auszureisen und damit den nicht rechtmäßigen Aufenthalt zu beenden, bleibt aber bestehen. Wer diese Pflicht vorwerfbar nicht befolgt, macht funktionswidrig unter Verstoß gegen Treu und Glauben von der durch Duldung eingeräumten Rechtsposition Gebrauch. Vorwerfbar in diesem Sinne ist es regelmäßig, wenn der Ausländer nicht ausreist, obwohl ihm das möglich und zumutbar wäre (BSG a.a.O.).

Wenn einer freiwilligen Ausreise bzw. Abschiebung Hindernisse entgegenstehen, z.B. weil der Ausländer über die notwendigen Ausweispapiere nicht verfügt, ist eine rechtsmissbräuchliche Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer anzunehmen, wenn zumutbare Mitwirkungshandlungen unterbleiben, die notwendig sind, um die Ausreise zu ermöglichen. Solches Verhalten ist im Fall des Klägers zu bejahen.

Wenn der Kläger über einen Nationalpass oder zumindest über Passersatzpapiere verfügt, wäre die Ausreise nach Äthiopien möglich. Hierzu ist es aber erforderlich, dass der Kläger zumindest einen PEP-Antrag ausfüllt und bei der zuständigen Stelle vorlegt. Dies hat er seit der erstmaligen Aufforderung im Dezember 2004 (zumindest) bis Dezember 2007 nicht getan. Soweit er dies mit massiver Angst vor einer Heimkehr in sein Heimatland begründet, weil er vor seiner Flucht dort von Polizisten angeschossen und schwer verletzt worden sei, lässt sich daraus nach Auffassung der Kammer keine Unzumutbarkeit für die Stellung eines PEP-Antrags herleiten. Wenn solche Rückkehrängste begründet sind, wird ihnen nach dem Asylverfahrensrecht oder dem Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen Rechnung getragen.

Auch der - nicht bewiesene - Umstand, dass die Erfolgsaussichten einer PEP-Beschaffung für äthiopische Staatsangehörige nach Auffassung der Ausländerbehörde "relativ gering" sind, entbindet den Kläger nicht von seiner zumutbaren Mitwirkungspflicht, einen entsprechenden Antrag auszufüllen und abzugeben. Wenn Erfolgsaussichten relativ gering sind, bedeutet dies immerhin, dass Erfolgsmöglichkeiten bestehen. Um dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs zu begegnen, genügt es bereits, dass der betreffende Ausländer einen PEP-Antrag stellt. Wenn ein solcher keinen Erfolg hat, ist dies dem Ausländer nicht vorwerfbar und begründet insofern keinen Rechtsmissbrauch mehr.