VG Ansbach

Merkliste
Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 06.02.2008 - AN 15 K 07.30262 - asyl.net: M13103
https://www.asyl.net/rsdb/M13103
Leitsatz:
Schlagwörter: Liberia, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Widerruf, Änderung der Sachlage, Sicherheitslage, politische Entwicklung, UNMIL, bewaffneter Konflikt, ernsthafter Schaden, Versorgungslage
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7; AsylVfG § 73 Abs. 3; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c; AufenthG § 60 Abs. 2 - 5
Auszüge:

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist zunächst, ob die Beklagte zutreffend das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aufgrund zwischenzeitlich eingetretener Veränderungen verneint hat und deshalb die frühere diesbezügliche Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach der bis 31. Dezember 2004 geltenden Bestimmung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, die ab 1. Januar 2005 von der Regelung des § 60 Abs. 7 AufenthG ersetzt wurde, widerrufen durfte.

Nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen ergibt sich aber nicht, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Liberia zum jetzigen Zeitpunkt und in überschaubarer Zukunft als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben im Rahmen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG (in der nach § 77 Abs. 1 AsylVfG heranzuziehenden Fassung des Gesetzes vom 19.8.2007 BGBl. I S. 1970) ausgesetzt wäre. Es ist weiter nicht feststellbar, dass er einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, die einen Rückgriff auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG trotz einer fehlenden allgemeinen Regelung nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG (in der Fassung des Gesetzes vom 19.8.2007 BGBl. I S. 1970) und § 60 a Abs. 1 AufenthG zulässt und voraussetzen würde, dass der Kläger alsbald und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Schaden an Leib, Leben oder Freiheit zu erleiden hätte (vgl. BVerwG Beschluss vom 26.1.1999 InfAuslR 1999, 265; Urteil vom 12.7.2001 InfAuslR 2002, 52).

Dies ergibt sich aus folgenden Entwicklungen:

Bis Sommer 2004 steigerte die UNMIL die Zahl ihrer im Land stationierten Soldaten auf über 15.000, die landesweit stationiert sind. Dies hat zu einer spürbaren Verbesserung der Sicherheitslage geführt. Die Friedensvereinbarung von 2003 wird, nachdem es zunächst noch zu Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppen und zu Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung kam, etwa am 29. Oktober 2004 in Monrovia, denen die Übergangsregierung und UNMIL entgegentrat, eingehalten. Der Bürgerkrieg kann als beendet gelten.

Die Lebensbedingungen haben sich in erster Linie in Monrovia verbessert. Im Landesinnern ist die humanitäre Situation weiter besonders angespannt, weil die Infrastruktur zerstört ist und es in Liberia keine öffentliche Strom- und Wasserversorgung gibt. Insgesamt hat sich aber die humanitäre Situation von März bis August 2007 weiter verbessert (Bericht des UN-Generalsekretärs vom 8.8.2007 Az. S/2007/479, S. 12).

Nachdem der Bürgerkrieg seit mehreren Jahren beendet ist, gibt es keine Kampfhandlungen und Übergriffe der verschiedenen Bürgerkriegsmilizen mehr, durch die die Bevölkerung gefährdet sein könnte. Daher wäre der Kläger im Fall einer Rückkehr als Angehöriger der Zivilbevölkerung keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben im Rahmen eines internationalen oder nationalen bewaffneten Konflikts ausgesetzt i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Zusammen mit freien Wahlen und dem Aufbau eines demokratischen politischen Systems hat die Befriedung des Landes auch wieder zur Präsenz zahlreicher internationaler Hilfsorganisationen geführt, die die Versorgung der Bevölkerung mit dem Lebensnotwendigen sicherstellen, so dass eine extreme Gefahrenlage bei einer Ausreise nach Liberia nicht mehr erkennbar ist, die, wie oben ausgeführt, voraussetzen würde, dass der Kläger alsbald und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Schaden an Leib, Leben oder Freiheit zu erleiden hätte.

Aus den Bestimmungen der EG-Richtlinie 83/2004 vom 29. April 2004 zum subsidiären Schutz (Art. 15) ergibt sich nichts anderes. Der hier allenfalls in Betracht kommende Art. 15 lit. c setzt für einen den subsidiären Schutzstatus begründenden "ernsthaften Schaden" voraus "eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts". Mangels eines bewaffneten Konflikts kommt es aber nicht darauf an, ob § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG etwa durch die Umsetzung von "willkürlicher" Gewalt in "generelle Gefahren" und von "ernsthafte individuelle Bedrohung" in "erhebliche individuelle Gefahr" in Verbindung mit der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG den Zugang auch zum subsidiären Schutzstatus sperrt (so Marx InfAuslR 2007, 413, 422 f.).

Zwar hat die Beklagte das Vorliegen von sonstigen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG nicht geprüft. Gleichwohl ist der angegriffene Bescheid im Ergebnis nicht zu beanstanden, weil sich auch aus diesen Bestimmungen kein Abschiebungsverbot für den Kläger ergibt.

Bei den Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG, handelt es sich, wie sich schon aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt (BVerwG Urteil vom 20.2.2001 DVBl 2001, 1000, 1002), um einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Streitgegenstand, für den nur verschiedene rechtliche Anspruchsgrundlagen geregelt sind, die aber alle auf eine gleichartige Rechtsfolge gerichtet sind. Zu diesen Anspruchsgrundlagen für denselben unteilbaren Streitgegenstand zählt spätestens seit der Rechtsänderung durch das Gesetz vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) ab 28. August 2007 auch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass bei einem Widerruf des Abschiebungsverbots, das auf diese Anspruchsgrundlage gestützt war, die anderen Anspruchsgrundlagen zu prüfen sind.