BVerfG

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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 15.10.2007 - 2 BvR 1680/07 - asyl.net: M13127
https://www.asyl.net/rsdb/M13127
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Auslieferung, Verfassungsbeschwerde, rechtliches Gehör, ordre public, Folter, menschenrechtswidrige Behandlung, Zusicherung, Unterzeichnerstaat, EMRK
Normen: BVerfGG § 93a; GG Art. 16a Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 1; GG Art. 25; IRG § 73
Auszüge:

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt, da sie keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

1. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 16a Abs. 1 GG rügt, hat er nicht dargelegt, dass ihm dieses Grundrecht nach Maßgabe des Art. 16a Abs. 2 und 3 GG überhaupt zusteht. Der Hinweis auf das allein in dem Auslieferungsersuchen begründete Abschiebungshindernis des früheren § 53 Abs. 3 AuslG genügt insofern nicht.

2. Eine Verletzung des Gehörsrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG ist auf der Grundlage des Vortrags des Beschwerdeführers ebenfalls nicht erkennbar.

Das Oberlandesgericht hat sich in seinen Entscheidungen mit den von dem Beschwerdeführer genannten "Ungereimtheiten" des Verfahrens in der Türkei teils ausdrücklich auseinandergesetzt. Insoweit geht die Begründung der Verfassungsbeschwerde über eine im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG unbeachtliche reine Ergebniskritik nicht hinaus.

3. Auch im Übrigen ist ein Verfassungsverstoß durch die angegriffenen Entscheidungen nicht erkennbar. Maßstab der verfassungsrechtlichen Prüfung im Auslieferungsverfahren sind nicht die Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte des Grundgesetzes in der Ausprägung, wie sie auf rein innerstaatliche Sachverhalte Anwendung finden. Das Grundgesetz geht von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft aus (vgl. Präambel, Art. 1 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2, Art. 23 bis 26 GG) aus. Es gebietet damit zugleich, fremde Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten, auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen. Sollen der im gegenseitigen Interesse bestehende zwischenstaatliche Auslieferungsverkehr erhalten und auch die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung unangetastet bleiben, so ist eine Beschränkung des verfassungsrechtlichen Maßstabs geboten. Die Gerichte haben daher lediglich zu prüfen, ob einer Auslieferung die Verletzung des nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandards sowie der unabdingbaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung entgegensteht (vgl. BVerfGE 63, 332 <337 f.>; 75, 1 <19>; 108, 129 <136 f.>; BVerfGK 3, 159 <163>). Auf der Ebene des einfachen Rechts nimmt § 73 IRG dieses verfassungsrechtliche Gebot auf, indem dort die Leistung von Rechtshilfe und damit auch die Auslieferung für unzulässig erklärt wird, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde. Ein derartiger Widerspruch gegen den ordre public liegt vor, wenn der Verfolgte durch die Auslieferung der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt würde. Dies folgt einerseits aus der im völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz mittlerweile fest etablierten Ächtung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (vgl. Art. 3 EMRK, Art. 7 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 <BGBl 1973 II S. 1533> und das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 <BGBl 1990 II S. 246>, vgl. auch BVerfGK 3, 159 <164>) sowie innerstaatlich aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

Die Auslegung und Anwendung der Gesetze auf den konkreten Sachverhalt und dessen Beurteilung sind allerdings grundsätzlich Sache des dafür zuständigen Fachgerichts (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>; stRspr). Auch in Auslieferungsverfahren prüft das Bundesverfassungsgericht insoweit nur, ob die Rechtsanwendung und das dazu eingeschlagene Verfahren unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (BVerfGE 108, 129 <137>; BVerfGK 2, 82 <85>).

Vor diesem Hintergrund ist ein Verfassungsverstoß durch die angegriffenen Entscheidungen nicht erkennbar. Das Oberlandesgericht hat zutreffend ausgeführt, dass eine die Auslieferung hindernde Gefahr menschenrechtswidriger Behandlungen nur angenommen werden kann, wenn stichhaltige Gründe vorgetragen sind, nach denen gerade im konkreten Einzelfall eine beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Verfolgte in dem ersuchenden Staat Opfer von Folter oder anderer grausamer, erniedrigender oder sonst unmenschlicher Behandlung werde, es sei denn, in dem ersuchenden Staat herrsche eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte (vgl. BVerfGE 108, 129 <138 f.>).

Anhaltspunkte dafür, dass die Annahme des Oberlandesgerichts, eine derartige ständige Praxis bestehe in der Türkei nicht oder jedenfalls nicht mehr, willkürlich sein könnte, sind auf der Grundlage des Vortrags des Beschwerdeführers nicht ersichtlich. Die Republik Türkei ist Mitglied des Europarates und Vertragsstaat der EMRK. Sie ist ferner Konventionsstaat des VN-Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 sowie des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vom 26. November 1987. Sie hat sich damit in mehrfacher Weise - auch gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, die ebenfalls Vertragsstaat der genannten Konventionen ist - völkerrechtlich verpflichtet, die Anwendung von Folter und sonstiger unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung zu bekämpfen. Vor diesem Hintergrund ist die von dem Oberlandesgericht geäußerte Erwartung, dass die Behandlung ausgelieferter Personen in der Republik Türkei von der Bundesregierung besonders beobachtet wird, zutreffend, zumal ein Verstoß gegen die genannten völkerrechtlichen Verpflichtungen das gegenseitige Vertrauen der beiden Staaten, wie es in der gegenseitigen Auslieferungsverpflichtung des Art. 1 EuAlÜbk zum Ausdruck kommt, nachhaltig enttäuschen würde (vgl. BVerfGE 108, 129 <140 ff.>). Weiter ist auf der Grundlage des Vortrags des Beschwerdeführers aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts dagegen zu erinnern, dass das Oberlandesgericht seiner Beurteilung der tatsächlichen Praxis in der Republik Türkei den Bericht des Auswärtigen Amtes zugrunde gelegt und auf dieser Basis zu dem Schluss gekommen ist, dass eine die Auslieferung hindernde Gefahr der Folter oder sonstiger menschenrechtswidriger Behandlungen nicht bestehe. Insgesamt fehlt es dem Vortrag des Beschwerdeführers an Anhaltspunkten dafür, dass die Einschätzung des Oberlandesgerichts, in der Republik Türkei herrsche keine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte, unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbar und damit willkürlich wäre.