OLG Bremen

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Zitieren als:
OLG Bremen, Beschluss vom 10.12.1999 - Ss 41/99 - asyl.net: M13180
https://www.asyl.net/rsdb/M13180
Leitsatz:

Zu den Voraussetzungen einer Verurteilung nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Strafrecht, unerlaubter Aufenthalt, Asylgesuch, Aufenthaltsgestattung, Drittstaatenregelung, Ausreisepflicht, Vollziehbarkeit, illegale Einreise, Duldung, Abschiebungshindernis, freiwillige Ausreise
Normen: AuslG § 82 Abs. 1 Nr. 1; AsylVfG § 55 Abs. 1; AsylVfG § 67 Abs. 1 Nr. 2; AuslG § 42 Abs. 1; AuslG § 42 Abs. 2 Nr. 1; AuslG § 55 Abs. 2
Auszüge:

Die Generalstaatsanwaltschaft Bremen hat in ihrer Antragsschrift vorn 22. November 1999 u.a. folgendes ausgeführt:

"Die Revision hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Annahme, der Beschuldigte habe ein Vergehen nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG begangen, wird von den Feststellungen nicht getragen.

a) Aufenthalt im Bundesgebiet, ohne Genehmigung am 16.04.1997

Dass der Angeklagte durch seinen Aufenthalt am 16.04.1997 eine Straftat mach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG begangen hat, kann den Feststellungen nicht entnommen werden. Der Angeklagte hat bei seiner Festnahme angegeben, er wolle eine Asylantrag stellen. Aufgrund dessen ist er mit der Auflage entlassen worden, sich bei der zuständigen Stelle zu melden (UA S. 3). Es ist deshalb davon auszugehen, dass ihm der Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestattet war. Das schließt - für die Zeit der Aufenthaltsgestattung - ein Vergehen nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG aus (Hailbronner, AuslR, § 92 Rdnr. 13). Im Einzelnen ist dazu auszuführen:

Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet. Die Aufenthaltsgestattung tritt nicht erst mit der Stellung eines (förmlichen) Asylantrags bei der dafür zuständigen Stelle ein, sondern kraft Gesetzes bereits mit jedem Nachsuchen um Asyl bei einer amtlichen Stelle, die mit ausländerrechtlichen Fragen befasst ist, z.B. bei einer Grenzbehörde, bei Ausländerbehörden oder - wie hier - bei einer Polizeidienststelle (Senge in: Erbs-Kohlhaas, strafrechtliche Nebengesetze, § 55 AsylVfG Rdnr. 2 m.N.). Eine Ausnahme gilt nach § 55 Abs. 1 Salz 3 AsylVfG nur für den Fall der unerlaubten Einreise aus einem sicheren Drittstaat. In diesem Fall erwirbt der Ausländer die Aufenthaltsgestattung erst mit der Stellung des (förmlichen) Asylantrags. Dass der Angeklagte aus einem sicheren Drittstaat eingereist war, hat das Amtsgericht indessen nicht festgestellt. Auch davon, dass der Angeklagte nicht ernsthaft vorhatte, einen Asylantrag zu stellen, kann nicht ausgegangen werden. Die Tatsache, dass er (möglicherweise) noch am selben Tag das Bundesgebiet wieder verfassen hat, kann zwar darauf hindeuten. Den Urteilsgründen ist jedoch nichts dafür zu entnehmen, dass das Amtsgericht dies als ein solches Indiz gewertet hat.

Nach § 67 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG ist die Aufenthaltsgestattung zwar erloschen, weil der Angeklagte innerhalb von zwei Wochen, nachdem er um Asyl nachgesucht hatte, noch keinen Asylantrag gestellt hatte. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich aber bereits in den Niederlanden.

b) Aufenthalt im Bundesgebiet ohne Aufenthaltsgenehmigung ab November 1997 bis zur Stellung das Asylantrags am 31.03.1998

Das Amtsgericht geht ohne Rechtsfehler davon aus, dass sich der Angeklagte in dieser Zeit ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufgehalten hat.

Strafbarkeit nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG tritt - nach zutreffender und unbestrittener Auffassung - erst dann ein, wenn die Ausreisepflicht auch vollziehbar ist (Hailbronner, a.a.O., Rdnr. 13; Senge in: Erbs-Kohlhaas, a.a.O. Rdnr. 2, jeweils mit Nachweisen der Rechtsprechung). Diese Voraussetzung war hier nach § 42 Abs. 2 Nr. 1 AuslG - jedoch ebenfalls erfüllt. Denn der Angeklagte ist ersichtlich ohne die vor der Einreise einzuholende Aufenthaltsgenehmigung (in Form eines Visums) und damit unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist (§ 42 Abs. 2 Nr. 1 AuslG).

Der Tatbestand des § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG wird dadurch erfüllt, dass der Ausländer es unterlässt, seiner (vollziehbaren) Pflicht zur Ausreise nachzukommen. Es handelt sich somit um ein echtes Unterlassungsdelikt (Hailbronner, a.a.O. Rdnr. 9 m.N.). Infolge dessen ist der Tatbestand dieser Vorschrift dann nicht erfüllt, wenn dem Ausländer die Ausreise nicht möglich ist, weil es kein Land gibt, das ihn einreisen lässt (Senge in: Erbs-Kohlhaas, a.a.O. Rdnr. 3). Diese Möglichkeit hat das Amtsgericht nicht geprüft, obwohl sie nach den Feststellungen in Betracht kommt. Der Angeklagte war nämlich - zur Zeit der Hauptverhandlung - im Besitz einer Duldungsbescheinigung (UA S. 2). Das Amtsgericht teilt zwar den Duldungsgrund nicht mit. Nach den Umständen - insbesondere aufgrund der Tatsache, dass der Angeklagte mit seinem Asylantrag gescheiten wer (a.a.O.) - liegt es aber nahe anzunehmen, dass die Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG erteilt werden musste, weil eine Abschiebung des Angeklagten (nach der Ablehnung des Asylantrags) aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen (z.B. wegen Passlosigkeit) unmöglich war (Senge in: Erbs-Kohlhaas, § SS AuslG Rdnr. 3 m.N.). Ein solcher Grund kann auch bereits während des unerlaubten Aufenthalts vorgelegen haben. Es liegt auf der Hand, dass der Angeklagte dann möglicherweise auch freiwillig nicht ausreisen konnte. Das gilt umso mehr, als nach den Urteilsgründen die Verteidigung sich ausdrücklich darauf berufen hat, dass es dem Angeklagten "praktisch nicht möglich gewesen" sei, "seinen illegalen Aufenthalt ... (durch Ausreise) zu beenden" (UA S. 4). Da sich das Amtsgericht mit dieser Frage nicht auseinandergesetzt hat, kann das Urteil keinen Bestand haben."

Diesen Ausführungen tritt der Senat aufgrund eigener Prüfung bei.