VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 21.02.2008 - 11 K 2432/07.A - asyl.net: M13330
https://www.asyl.net/rsdb/M13330
Leitsatz:

Es ist Homosexuellen grundsätzlich zuzumuten, Verfolgung im Heimatland zu vermeiden, indem sie ihre homosexuelle Veranlagung und Betätigung auf den Bereich des engsten persönlichen Umfeldes beschränken; Flüchtlingsanerkennung im Fall einer "offenkundigen" Homosexualität.

 

Schlagwörter: Ägypten, Homosexuelle, Verfolgungsbegriff, Zumutbarkeit, Folter, Verhaftung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Es ist Homosexuellen grundsätzlich zuzumuten, Verfolgung im Heimatland zu vermeiden, indem sie ihre homosexuelle Veranlagung und Betätigung auf den Bereich des engsten persönlichen Umfeldes beschränken; Flüchtlingsanerkennung im Fall einer "offenkundigen" Homosexualität.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Zwar folgt das Gericht den allgemeinen Ausführungen des Bundesamtes zu den Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, auf die verwiesen wird.

Das Gericht folgt auch der rechtlichen Bewertung von Homosexualität, die das Bundesamt in Bezug auf Ägypten in dem angefochtenen Bescheid vorgenommen hat. Die Ausführungen geben die Rechtsprechung eines anderen Einzelrichters der Kammer, auf die das Bundesamt verwiesen hat (VG Düsseldorf, Urteil vom 14. September 2006 - 11 K 81/06.A -, zitiert bei juris) zutreffend wieder.

Der erkennende Einzelrichter sieht trotz der an dem Urteil geübten Kritik (Bayrisches Verwaltungsgericht München, Urteil vom 30. Januar 2007 - M 21 K 04.51494 -) keine Veranlassung, von der in dem Urteil vom 14. September 2006 dargelegten generellen Rechtsauffassung abzuweichen. Danach ist es Homosexuellen in Ägypten grundsätzlich zuzumuten, ihre homosexuelle Veranlagung und Betätigung auf den Bereich des engsten persönlichen Umfeldes zu beschränken, so dass die ägyptischen Behörden nicht auf sie aufmerksam und Repressalien werden. Auf die Kritik des Bayrischen Verwaltungsgerichts München, soweit sie sachlich ist, bleibt anzumerken: Dass das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Artikel 2 Abs. 1 GG nur in den Schranken des Sittengesetzes gilt, ergibt sich ebenso unmittelbar aus der Norm, wie sich aus Artikel 8 Abs. 2 EMRK ergibt, dass das durch Absatz 1 der Norm gewährleistete Recht auf Achtung des Privatlebens unter einem Vorbehalt steht. Entscheidend ist die Anwendung der Norm im Einzelfall. Dabei stellen sich entgegen der Ansicht des Bayrischen Verwaltungsgerichts München nicht die Fragen, "ob sich der Schutz von Menschenrechten in Deutschland danach zu richten hat, was in anderen Ländern Praxis ist" und inwieweit hier das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Artikel 2 Abs. 1 GG bzw. der Schutz aus Artikel 8 Abs. 1 EMRK eingeschränkt werden kann. Entscheidend ist bei asylrechtlichen Entscheidungen vielmehr der Blick auf den Heimatstaat und ob insoweit - unter Berücksichtigung der Beschränkungen des Artikel 2 Abs. 1 GG bzw. des Artikel 8 Abs. 1 EMRK durch die jeweiligen Absätze 2 - eine Rückkehr zumutbar ist. Ausschlag gebend ist dabei nicht die subjektive Sicht des Einzelnen, sondern ein objektiver Maßstab, der sich daran zu orientieren hat, was im Heimatland des Betroffenen als herrschendes Wertesystem anzusehen ist. Bei der asylrechtlichen Beurteilung einer fremden Rechtsordnung kann diese nicht am weltanschaulichem Neutralitäts- und Toleranzgebot des Grundgesetzes gemessen werden, denn es ist nicht Aufgabe des Asylrechts, die Grundrechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland in anderen Staaten durchzusetzen (vgl. dazu Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 8 UZ 452/06.A - zitiert bei juris (Nichtzulassung der Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil, in dem diese Rechtsauffassung vertreten worden ist)).

Gleichwohl steht dem Kläger ein Anspruch auf die Feststellung, dass in seiner Person in Bezug auf Ägypten die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, zu: Auch wenn es ihm entsprechend der Einschätzung des Bundesamtes asylrechtlich zuzumuten ist, bei einer Rückkehr nach Ägypten seine homosexuelle Veranlagung ausschließlich im engsten privaten Umfeld auszuleben und sich zu bemühen, sie nicht nach außen bekannt werden zu lassen, ist das Gericht davon überzeugt, dass die ägyptischen Behörden trotzdem sehr schnell auf die tatsächliche Veranlagung des Klägers aufmerksam werden, weil sie offenkundig ist. Diese Einschätzung teilte offensichtlich schon der die Anhörung vor dem Bundesamt durchführende Sachbearbeiter, der in dem von ihm gefertigten Protokoll ausdrücklich seinen Eindruck festhielt, dass der Kläger aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes homosexuell ist. Dieser Eindruck wurde in der mündlichen Verhandlung nachhaltig in einer solchen Weise bestätigt, dass das Gericht davon ausgeht, dass es dem Kläger in Ägypten auch bei der gebotenen Zurückhaltung nicht gelingen würde, seine homosexuelle Veranlagung zu verbergen. Dabei wurde die Überzeugung des Gerichtes nicht durch änderbare Umstände, etwa die Kleidung, auffällige Schmuckstücke oder übertriebene Körperbewegungen, maßgeblich beeinflusst. Der Kläger vermied in der mündlichen Verhandlung vielmehr den Eindruck, seine Homosexualität bewusst und zum Zwecke des Asylverfahrens darstellen zu wollen. Entscheidend war vielmehr der Gesamteindruck, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung von der Persönlichkeit des Klägers gewonnen hat. Seine Körpersprache und sein Sprachverhalten waren einerseits so dezent, dass sie gegen die Annahme einer Übertreibung zum Zwecke der Steigerung der Erfolgsaussichten im Asylverfahren sprachen. Andererseits deuteten sie so eindeutig und offenkundig auf die homosexuelle Veranlagung des Klägers, dass das Gericht davon überzeugt ist, dass er diese Verhaltensmerkmale nicht ändern kann und seine Veranlagung deshalb auch bei einer Rückkehr nach Ägypten dort sehr bald bekannt wird.

Angesichts der Offenkundigkeit der Homosexualität des Klägers droht ihm bei einer Rückkehr nach Ägypten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Behandlung durch die ägyptischen Behörden, die die nötige Asylrelevanz aufweisen wird. Behördliche Verfolgung ist nicht nur bei Feststellung einzelner homosexueller Handlungen zu befürchten, sie richtet sich vielmehr auch gegen Personen mit einer ausgeprägten homosexuellen Identität, losgelöst von einzelnen Handlungen (amnesty international vom 29. Juli 2005, Stellungnahme gegenüber dem VG Frankfurt am Main). Allein der Umstand, dass eine Person als Homosexueller erkannt wird, kann zu Verhaftung und Folter führen (Süddeutsche Zeitung vom 7. Dezember 2006, Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an das VG Frankfurt am Main vom 6. Juni 2005). Ist eine homosexuelle Veranlagung so offenkundig, wie dies im Fall des Klägers gegeben ist, besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass die Behörde unmittelbar oder nach entsprechenden Anzeigen aufmerksam werden. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Frankfurt am Main vom 12. Januar 2005 wurden in den meisten Fällen der Verfolgung von Homosexuellen Strafen zwischen einem und drei Jahren Haft verhängt, häufig eher an der Obergrenze dieser Spanne. Auch amnesty international und das Deutsche Orient-Institut (a.a.O.) berichten über entsprechende Verurteilungen. Bei derartigen staatlichen Maßnahmen gegen eine homosexuelle Veranlagung wird die Schwelle der Asylrelevanz überschritten. Der Kläger wäre wegen seiner offenkundigen Homosexualität solchen Maßnahmen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt.