VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 02.06.2008 - 6 K 248/08.WI.A(V) - asyl.net: M13412
https://www.asyl.net/rsdb/M13412
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Folgeantrag, Änderung der Sachlage, Dauersachverhalte, Drei-Monats-Frist, beachtlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, exilpolitische Betätigung, Arbeiterkommunistische Partei Iran, Apostasie, Frauen, geschlechtsspezifische Verfolgung, Aufenthaltsdauer
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 71 Abs. 1 Nr. 1; VwVfG § 51
Auszüge:

Die zulässige Klage ist begründet. Die Voraussetzungen zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gem. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG liegen vor.

Zu Recht weist das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 12.02.2008 darauf hin, dass die ursprüngliche Beschränkung des Verwaltungsgerichtes hinsichtlich der Dreimonatsfrist nach § 51 VwVfG so nicht haltbar ist. Denn Qualitätssprünge sind möglich, weshalb bei einem Dauersachverhalt sich die Sachlage insgesamt so verdichten kann, dass es zu entscheidungserheblichen Veränderungen kommt. Mithin ist die Frist gewahrt.

Die Kläger haben auch aufgrund ihres Asylfolgeantrages einen Anspruch darauf, dass zu ihren Gunsten die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Auch wenn die Kläger unverfolgt aus dem Iran ausgereist sind, so droht ihnen jedoch bei einer Rückkehr in den Iran wegen ihres exilpolitischen Engagements in Deutschland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. Der Kläger zu 1. hat zur Überzeugung des Gerichtes dargelegt, dass er schon im Iran Politikwissenschaften studiert hat und sich insoweit mit marxistisch-kommunistischer Literatur auseinandersetzte sowie sich dieses Gedankengut zu Eigen machte. Durch seine "Dokumentationstätigkeit" als Fotograf und Filmer der Veranstaltungen der Arbeiter Kommunistischen Partei Irans und die damit zusammenhängenden Aktivitäten steht zur Überzeugung des Gerichtes im vorliegenden Einzelfall fest, dass der Kläger in den Bereich der herausgehobenen Position aufgerückt ist, für die nach ständiger Rechtsprechung auch des Hess. VGH bezüglich der Exilorganisation des Iran annimmt, dass eine Verfolgungsgefährdung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit entsteht (vgl. zuletzt Urteil Hess. VGH vom 23.11.2005, Az. 11 UE 3311/04). Im Gegensatz zu der Komala, deren Mitglieder nach Überzeugung des Hess. VGH grundsätzlich gefährdet sind, vermag eine solche Gefährdung das erkennende Gericht bei Mitgliedern der Kommunistischen Arbeiterpartei Irans nicht festzustellen. Hierauf kommt es jedoch im vorliegenden Fall aufgrund der besonderen Bedeutung der Tätigkeit des Klägers nicht an.

Gleiches gilt für die Klägerin zu 2. im Hinblick auf ihre in Deutschland entwickelten politischen Aktivitäten und Handlungen, wie sich dies auch in den vorgelegten Unterlagen und Aufzeichnungen über ihre Betätigung ergibt. Besonderes Gewicht spielt dabei ebenfalls, dass beide Kläger sich dem Islam abgewendet haben und diesen nicht mehr praktizieren, wie sie glaubhaft und nachvollziehbar dem Gericht in der mündlichen Verhandlung gegenüber darlegten. Hinzu kommt, dass die Klägerin zu 2. aufgrund ihres langen Aufenthalts in Deutschland sich in ihrem äußeren Wesen so verändert hat, dass ihr eine Rückkehr in den Iran nicht zuzumuten ist.

Aufgrund ihres in Deutschland praktizierten Lebensstils hätte sie bei einer Rückkehr in den Iran allein an das Geschlecht angeknüpfte Verfolgung bereits zu befürchten.